Wie der Stör in Deutschland ausgerottet wurde – und wie er jetzt zurückkommen soll
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Störe sind in Deutschland durch das Bundesnaturschutzgesetz und die Fischereigesetze der Länder streng geschützt.
© Quelle: Patrick Pleul/Dpa
Seit etwa 200 Millionen Jahren leben Störe auf der Erde. Sie waren schon da, als noch Dinosaurier den Planeten bevölkerten. Sie haben Kontinentalverschiebungen, Vulkanausbrüche und Eiszeiten überlebt, sich immer perfekt an ihre veränderten Lebensräume angepasst. Doch mit dem Eingriff des Menschen in die Natur sollte die Geschichte des Störs ein jähes Ende finden. Waren die Knochenfische bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Nord- und Ostsee noch weit verbreitet, gelten sie in Deutschland mittlerweile als ausgerottet. Von den weltweit 27 bekannten Störarten sind 80 Prozent gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Diese Störarten lebten in Deutschland
In den Nord- und Ostseezuflüssen Deutschlands waren zuletzt zwei Störarten zu finden: der Europäische und der Atlantische Stör. Der vom Mittelmeer bis in die Nordsee vorkommende Europäische Stör (lateinisch: Acipenser sturio) schwamm zum Laichen Flüsse wie den Rhein, die Weser, die Elbe, die Eider oder die nach ihm benannte Stör in Schleswig-Holstein hinauf. Heute gibt es nur noch eine wild lebende Population dieser Art mit wenigen Hundert Tieren in Frankreich, in der Gironde. Der Baltische oder Atlantische Stör (lateinisch: Acipenser oxyrinchus), auch in Nordamerika beheimatet, kam in Europa seit etwa 200 Jahren nur noch in der Ostsee und ihren Zuflüssen vor. Er wanderte für die Eiablage in Flüsse wie die Oder und die Weichsel.
Beide Störarten will Jörn Geßner wieder in Deutschland ansiedeln. Der Biologe vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin führt mit seinem Team regelmäßig Besatzaktionen durch, bei denen Jungtiere in der Elbe und der Oder ausgesetzt werden. Keine einfache Aufgabe, wo doch Störe – die mehr als hundert Jahre alt werden können – erst nach zwölf bis 17 Jahren überhaupt geschlechtsreif werden. „Die Tiere zum Aussterben zu bringen ist wesentlich einfacher, als sie wieder zurückzubringen“, sagt Geßner.
„Das Aussterben der Störe ist ein Indikator dafür gewesen, dass etwas in unserem Ökosystem nicht stimmt.“
Jörn Geßner,
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei
Darum ist der Stör in Deutschland ausgestorben
Dass die Atlantischen und Europäischen Störe hierzulande ausgestorben sind, hatte gleich drei Ursachen: Erstens gab es in der Vergangenheit eine massive Überfischung. „Überall, wo die Tiere vorgekommen sind, ist ihnen intensiv nachgestellt worden“, erklärt Geßner. Aufgrund ihrer zeitlich eng begrenzten Wanderung in die Flüsse und ihrer Körperlänge von maximal vier bis sechs Metern gingen die Knochenfische leicht ins Netz. Zweitens hat der Mensch ihre Wanderwege verbarrikadiert und umgestaltet. Meterhohe Staudämme und Wehre machten es den Tieren unmöglich, in ihre Laichgewässer zu gelangen. Flüsse wurden begradigt, Kiesbänke, die als Laichplätze dienten, weggebaggert. Und drittens nahm die Gewässerverschmutzung zu. Abwässer und Chemikalien wurden in die Flüsse geleitet, was nicht nur dem Stör selbst, sondern auch seinem Nachwuchs zu schaffen machte.
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Jörn Geßner vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei hält einen jungen Europäischen Stör in der Hand, der in die Elbe ausgesetzt werden soll (Archiv).
© Quelle: dpa
Der Stör ist nur einer von vielen Wanderfischen, denen der Mensch zusetzt. Auch repräsentiert er nur eine von Tausenden Tierarten, die in naher Zukunft dauerhaft von der Erde verschwinden könnten. Die Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN umfasst aktuell mehr als 40.000 gefährdete und vom Aussterben bedrohte Spezies. Doch warum ist es überhaupt relevant, ob nun eine Fischart mehr oder weniger aus den Gewässern verschwindet?
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„Das Aussterben der Atlantischen und Europäischen Störe ist im Prinzip ein Indikator dafür gewesen, dass etwas in unserem Ökosystem nicht stimmt, was allerdings niemand wirklich zur Kenntnis genommen hat“, sagt Geßner. „Und jetzt ist das Erstaunen groß, dass wir Jahr für Jahr mehr Tierarten verlieren – global, aber auch hier in Deutschland –, weil den Tieren einfach ihre angestammten Lebensräume abhandenkommen.“ Besonders deutlich mache sich die Biodiversitätskrise in den Binnengewässern bemerkbar, also genau dort, wo der Lebenszyklus des Störs seinen Anfang hat.
Fischtreppen sollen Wanderfischen helfen
Um die Flüsse für den Knochenfisch und andere Wanderfische wie Lachse, Barben oder Maifische wieder attraktiv und passierbar zu machen, wurden in Deutschland zum Teil Fischtreppen errichtet. Es handelt sich dabei entweder um aufeinanderfolgende Wasserbecken, durch die die Fische durchschwimmen können, um so Wanderbarrieren wie Stauwehre oder Wasserkraftwerke zu überwinden, oder um Umgehungsgerinne, die wie ein kleiner Fluss gestaltet sind. Die größte Fischtreppe Europas in Geesthacht in Schleswig-Holstein war eine der ersten Anlagen, die auch Störe nutzen konnten.
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Die Fischtreppe in Geesthacht ist die größte Europas.
© Quelle: Timo Jann
Seit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 2010 seien dort mehrere Störe gesichtet worden, sagt Geßner. Allerdings seien es keine einheimischen gewesen, sondern Tiere aus Zuchtanlagen oder Aquarien, die zum Teil illegal ausgesetzt worden seien. Diese Exoten könnten für die Wiederansiedlung der Atlantischen und Europäischen Störe noch zum Problem werden, denn sie übertragen Krankheitserreger, vor denen die heimischen Störarten schlimmstenfalls nicht geschützt sind. Kreuzen sich die Arten untereinander, könnte sich das zudem nachteilig auf den Genpool des Atlantischen und Europäischen Störs auswirken.
Viele Flüsse bleiben für Störe unpassierbar
Dass zumindest die exotischen Störarten die Fischtreppe in Geesthacht nutzen, ist ein gutes Zeichen. Mithilfe dieser Bauten könnten demnach auch die heimischen Störarten zukünftig ihre Laichplätze erreichen. Noch mangelt es aber an entsprechend ausgestalteten Fischtreppen in Deutschland. Viele Staudämme, Wehre oder Wasserkraftwerke bleiben für die Tiere unüberwindbar. Erst wenn die Flüsse für die Wanderfische wieder passierbar sind und diese ausreichend geeignete Lebensräume finden, dürften Wiederansiedlungsversuche wirklich erfolgreich sein. Und selbst dann müssten Besatzmaßnahmen wohl noch einige Jahre fortgesetzt werden.
Bislang haben Biologe Geßner und sein Team mehr als 20.000 Europäische Jungstöre im Elbegebiet ausgesetzt. Sie stammten aus der Reliktpopulation aus der Gironde. Weitere Störe sollen folgen, aber aus der eigenen Zucht in Berlin. Der Elterntierbestand umfasst zurzeit 400 Tiere, die jedoch noch zu jung sind, um sich zu vermehren. Die Besatzaktionen sind deshalb vorerst zum Stillstand gekommen. Anders sieht es bei den Atlantischen Stören aus: Seit 2007 werden regelmäßig Jungtiere in der Oder und ihren Nebenflüssen ausgewildert. Insgesamt rund 3,5 Millionen Fische sind mittlerweile in die Freiheit entlassen worden.
Störbestände werden nicht mehr so groß sein wie früher
Wie viele der Jungtiere überleben werden, bleibt fraglich. Es gab jedoch schon kleine Erfolge: So ließen sich im vergangenen Jahr fünf geschlechtsreife Europäische Störe in der Elbe nachweisen, und auch bei den Atlantischen Stören gab es erste Rückkehrer. Diese überhaupt ausfindig zu machen gleiche „einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, so Geßner. Er ist überzeugt: Die riesigen Störbestände wie früher, als allein in der Unterelbe rund 10.000 ausgewachsene Störe pro Jahr angelandet wurden, wird es in Deutschland nicht mehr geben. Dafür sei bereits zu viel Lebensraum der Tiere verloren gegangen.
Auch werde es der Stör nicht in allen Flüssen schaffen zu überleben. „Es wird darauf hinauslaufen, dass es einzelne Flüsse geben wird, die für den Stör gut geeignet sind, und andere, die in absehbarer Zeit nicht geeignet sind“, erklärt Geßner. Wichtig sei vor allem, der weiteren Zerstörung dieser sensiblen Lebensräume entgegenzuwirken. Ob es jemals wieder einen wild lebenden Bestand von Europäischen und Atlantischen Stören in Deutschland geben wird? Das hängt nicht zuletzt davon ab, wie der Mensch mit der Natur in Zukunft umgeht. „Ich wäre froh, wenn wir in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren den Nachweis bringen könnten, dass wir eine selbst erhaltende Population haben“, sagt Störexperte Geßner. „Wir haben es in der Hand, ob wir den bisherigen Weg weitergehen oder uns doch noch dem Schutz der biologischen Vielfalt nachdrücklich widmen wollen.“