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Sind Eiszungen bald Geschichte?

Wie der Klimawandel die Gletscher in den Alpen schmelzen lässt

Bis 2100 könnten die Alpengletscher Prognosen zufolge bereits fast vollständig geschmolzen sein.

Bis 2100 könnten die Alpengletscher Prognosen zufolge bereits fast vollständig geschmolzen sein.

Die Gletscher der Alpen haben ein stolzes Alter. Das älteste Eis der 3518 Meter hohen Weißseespitze in den Ötztaler Alpen stammt beispielsweise aus der Zeit vor gut 5900 Jahren, wie Eiskernbohrungen vermuten lassen. Der Gipfel ist nicht weit von dem Ort entfernt, an dem die geschätzt 5300 Jahre alte Gletschermumie Ötzi vor 31 Jahren entdeckt wurde.

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Von den mächtigen Eiszungen, die noch vor 100 Jahren bis in die Täler ragten, ist heute jedoch nicht mehr viel übrig. Die Alpengletscher schmelzen rapide dahin, allein die Tiroler Weißseespitze verlor laut einer im Januar veröffentlichten Studie des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zwischen 1914 und 2018 gut 40 Meter Eis. Die Forschenden befürchten, dass das dortige fast 6000 Jahre alte Eis schon in zehn Jahre verschwunden sein könnte. Der enorme Masseverlust ist demnach vor allem auf einen Faktor zurückzuführen: den Klimawandel.

Gletscherbruch in den Dolomiten – hohe Temperaturen auf Gipfel vor Unglück gemessen

Der Zustand der Gletscher bereitet Sorge, spätestens seit dem jüngsten Unglück in den Dolomiten in Norditalien. Bei einem Gletscherbruch an dem höchsten Berg der Dolomiten, die Marmolata, sind am Sonntag mindestens sechs Menschen ums Leben gekommen, 14 weitere wurden verletzt. Die genaue Ursache des Unglücks ist derzeit zwar noch nicht geklärt. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die hohen Temperaturen in den vergangenen Monaten eine Rolle gespielt haben. Auf dem Gipfel der Marmolata wurde nur einen Tag vor dem Gletscherbruch ein Rekordwert von zehn Grad gemessen.

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Die Temperaturen im Jahr 2022 haben zudem auch in anderen Teilen der Alpen spürbare Auswirkungen gehabt, unter anderem in den hinteren Ötztaler Alpen. Der dortige Gletscher namens Hintereisferner „hat aufgrund des schneearmen Winters und des warmen Frühlings bereits zur Sommersonnwende seine ausgeglichene Bilanz im Vergleich zum vorigen Herbst erreicht“, erklärte Gletscherforscher Rainer Prinz vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck nur wenige Tage vor dem Gletscherbruch in einer Mitteilung.

Dolomiten: Kaum noch Hoffnung auf Überlebende nach Gletscherunglück

Nach einem folgenschweren Gletscherbruch in den Dolomiten am Sonntag schwindet die Hoffnung, Vermisste noch lebend zu finden.

Ungewöhnlich früher „Glacier Loss Day“: Gletscherbilanz in Ötztaler Alpen bereits im Minus

Die Folge: Seit dem 22. Juni ist die Gletschermassenbilanz bereits im Minus. Das heißt, dass der Gletscher innerhalb eines Jahres an Masse verliert. Die Forscher und Forscherinnen der Universität Innsbruck messen die Bilanz immer vom 1. Oktober bis 30. September. Auffällig ist, dass der Zeitpunkt, ab dem die Gletscherbilanz ins Minus rutscht, dieses Jahr bereits Ende Juni erreicht worden ist. In den zwei Jahren zuvor war dieser sogenannte „Glacier Loss Day“ erst Ende August. „Selbst in den Jahren mit negativen Bilanzextremen – wie zum Beispiel 2003 und 2018 – wurde dieser Tag erst Ende Juli erreicht“, erklärt Prinz.

Laut des Gletscherforschers sind diese Entwicklungen eindeutig auf die menschengemachte Klimaerwärmung zurückzuführen. Forscher und Forscherinnen der Uni Innsbruck rechnen damit, dass der Gletscher jährlich rund 5 Prozent seines Volumens verlieren wird. Vor allem könnte aber die Tatsache, dass in den Alpenregionen im Winter viel weniger Niederschlag als gewöhnlich registriert wurde, viel Gletschereis zum Schmelzen bringen. „Es ist jetzt bereits mehr als die Hälfte des Gletschers nicht mehr mit Schnee bedeckt und somit der Sonnenenergie schutzlos ausgeliefert“, betont Prinz.

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Zugspitze in Bedrängnis: schwindender Permafrost und graue Eisflecken

In anderen Worten: Schnee schützt Gletscher – und wenn dieser Schutz schwindet, schmelzen die Gletscher bei massiver Sonneneinstrahlung deutlich schneller. Auf der Zugspitze, Deutschlands größtem Berg, zeigt sich dies aktuell wieder besonders deutlich: Wo idealerweise eine Schneedecke sein sollte, befinden sich nun vermehrt graue Eisflecken. Sie deuten darauf hin, dass der Schnee bereits stellenweise weggetaut ist. Das kann vor allem für Bergsteigerinnen und Bergsteiger zur Herausforderung werden – denn der Übergang von Gletscher zum Fels könnte durch Randspalten und große Lücken gefährlicher werden.

Auf der Zugspitze besteht zudem eine andere Gefahr durch den Klimawandel, die auch in anderen Teilen der Alpen bereits beobachtet wird: der schwindende Permafrost, also Eiskern der Gebirge. Laut einer Permafroststudie des Bayerischen Landesamts für Umwelt von 2021 ist die Temperatur des Inneren des Gipfels in zehn Jahren von minus 1,14 Grad Celsius auf minus 0,73 Grad Celsius gestiegen. Sollte dieser Trend anhalten, ist in 20 Jahren die Grenze von null Grad Celsius überschritten – mit großen Folgen: „Geht der Permafrost verloren, verlieren die Berge zusätzlich an Stabilität. Auch außen schmilzt das Eis“, betonte Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber Ende Dezember in einer Mitteilung.

Forscher und Forscherinnen wollen Felsstürze vorhersehen – und Gletscher mit künstlichem Schnee retten

Auch die zunehmende Instabilität der Berge kann schwerwiegende Folgen haben. Etwa nimmt dadurch die Gefahr von Felsstürzen zu. Denn der Permafrost ist der Kitt, der die Felsmassen zusammenhält. Und wenn er verloren geht, können Felsen abbrechen. Am Matterhorn, einem der größten Berge der Alpen, brachen 1500 Kubikmeter Fels während des Hitzesommers 2003 ab. 16 Jahre später riss dort ein weiterer Felsausbruch zwei Menschen in die Tiefe, die dabei ihr Leben verloren.

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Forscher und Forscherinnen versuchen mit fortschrittlichen Technologien, lebensgefährliche Bedrohungen wie Gletscherbrüche und Felsstürze besser vorherzusehen. Der Schweizer Glaziologie Felix Keller versucht etwa, die Gletscher in den Alpen mit künstlichem Schnee zu beschneien, um sie vor Sonneneinstrahlung zu schützen. Und die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich hat am Matterhorn mehrere Akustik- und Seismik-Messinstrumente installiert, um identifizieren zu können, wie und wann sich Felsköpfe in Richtung der Täler bewegen. Allerdings ist noch unklar, ob die Forschenden durch diese Methode auch größere Felsabbrüche zuverlässig vorhersehen können.

Düstere Prognose: Alpen könnten schon 2100 nahezu eisfrei sein

Der aktuelle Zustand der Gletscher sagt viel über den Klimawandel aus. Gletscher und Permafrost gelten als sensible Klimaindikatoren, daher ist ihr Schwund besorgniserregend. Die Prognose zur Entwicklung der Gletscher in den Alpen sieht trotz aller Bemühungen düster aus. Forscher und Forscherinnen der Universitäten Basel und Lausanne haben im Zuge des Klimawandels einen Schwund des Schnees bei gleichzeitig steigender Vegetation in den Alpen beobachtet, wie sie in der Anfang Juni im Fachmagazin „Science“ veröffentlichten Studie betonten.

Die Alpen werden somit immer grüner, dafür immer weniger weiß. Die European Geosciences Union befürchtet, dass die Alpen schon bis 2100 nahezu eisfrei sein werden. Glaziologinnen und Glaziologen können diesen Trend kaum aufhalten. „Die einzige Möglichkeit, den globalen Rückgang der Gletscher wirksam zu begrenzen, ist die Verringerung der Treibhausgasemissionen und damit der Erwärmung der Atmosphäre“, sagte David Volken, einer der renommiertesten Gletscherexperten der Schweiz, im November gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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