Verhütung mit dem Smartphone
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Not fertile, nicht fruchtbar, gibt die App an – doch zuverlässig ist diese Aussage nicht.
© Quelle: Alexander Crispin
Berlin. Irgendwann begannen sich die Frauenärzte eines Stockholmer Krankenhauses zu wundern: Innerhalb von drei Monaten hatten sich 37 Frauen gemeldet, die allesamt ungewollt schwanger geworden waren, obwohl sie verhütet hatten. Rasch stellte sich heraus, dass die Frauen die Zyklus-App Natural Cycles benutzt hatten. Die vom TÜV Süd zertifizierte, mit renommierten Reproduktionsmedizinern entwickelte Zyklus-App sei so sicher wie die Pille, warben die Anbieter anfangs vollmundig. Doch 37 ungewollte Schwangerschaften sprachen eine andere Sprache.
Wie funktionieren diese Apps überhaupt? Um den Zeitpunkt des Eisprungs zu bestimmen, füttern die Nutzerinnen diese Miniprogramme aus dem Google oder dem Apple Store mit ihren Zyklusdaten: Sie messen regelmäßig Temperatur, prüfen die Konsistenz des Gebärmutterhalsschleims – oder beides. Daraufhin berechnet der Algorithmus die fruchtbaren Tage der Frau.
Die Apps heißen Lily, Ovy, Clue, Flo oder Maya und geben an, die fruchtbaren Tage der Frau zuverlässig bestimmen zu können. Im vergangenen Jahr testete Stiftung Warentest 23 deutschsprachige Zyklus-Apps – mit desaströsem Ergebnis. Nur zwei schnitten mit “gut“ ab. Der große Rest war mangelhaft.
Der Zyklus kann stark schwanken
Gynäkologin Petra Frank-Herrmann von der Universitätsfrauenklinik in Heidelberg überrascht das nicht. Sie weiß, wie stark der Zyklus vieler Frauen schwanken kann. “Intensiver Sport, Stress und Schlafmangel sorgen dafür, dass sich der Zyklus um bis zu zehn Tage verkürzen oder verlängern kann“, sagt sie. Zwei Drittel aller Frauen kennen derartige Schwankungen.
Blöd nur, wenn Apps diese natürlichen Schwankungen ignorieren und der Frau zu einem falschen Zeitpunkt Unfruchtbarkeit suggerieren. Verantwortungslos findet Susanna Kramarz, Pressesprecherin des Berufsverbands der Frauenärzte, solche Apps: “Die schließen auf Basis des Vormonats-Zyklus Rückschlüsse auf den aktuellen Monat. Das ist vollkommen unzulässig.“
Nur Anwendungen, die auf der sogenannten symptothermalen Methode basieren, die also Daten aus dem aktuellen Zyklus verwendeten und Körpertemperatur, Konsistenz des Gebärmutterschleims und Muttermundweite miteinander kombinierten, erfüllten die Kriterien einer zuverlässigen Verhütung.
Spermien überleben bis zu fünf Tage
Das Zeitfenster, innerhalb dessen eine Frau pro Zyklus fruchtbar sein kann, ergibt sich aus der Lebensdauer der weiblichen Eizelle und der Lebensdauer des Spermas. Obwohl eine Eizelle nur zwölf bis 24 Stunden lang befruchtungsfähig ist, bedeutet das nicht, dass eine Frau nur an zwei Tagen im Monat schwanger werden kann. Denn Spermien überleben bis zu fünf Tage im Eileiter der Frau. Dort warten sie auf den Eisprung.
Entsprechend erstreckt sich die Dauer der fruchtbaren Phase auf fünf bis sechs Tage pro Zyklus. Zudem kann sich der Zeitraum um bis zu zehn Tage nach vorne oder hinten verschieben. Das vergrößert den Zeitraum einer möglichen Befruchtung immens.
Apps, deren Algorithmus Störfaktoren wie Schlafmangel, Alkoholkonsum, Stress und Krankheit nicht berücksichtigt, und sich nicht streng an die Vorgaben der symptothermalen Methode nach Sensiplan hält, gelten daher als höchst unzuverlässig.
Diese Art der Verhütung erfordert viel Übung
Die Sensiplan-Methode ist markenrechtlich geschützt, weil sie als einzige wissenschaftlich untersucht und getestet wurde. Bei richtiger Anwendung hält Gynäkologin Frank-Herrmann die symptothermale Methode für genauso sicher wie die Antibabypille. Das bestätigt auch der sogenannte Pearl-Index, der anzeigt, wie sicher eine Verhütungsmethode vor einer ungewollten Schwangerschaft schützt.
Doch wie funktioniert die symptothermale Methode genau? Um den Zeitpunkt des Eisprungs festzustellen, misst die Frau jeden Tag ihre Körpertemperatur morgens vor dem Aufstehen. Denn: Kurz vor dem Eisprung steigt die Temperatur der Frau leicht an. Zusätzlich beobachtet sie ihren Gebärmutterhalsschleim in der Scheide. Die Konsistenz und die Menge des Schleims verändern sich im Laufe des Zyklus. Um die Tage des Eisprungs herum ist er dünnflüssig und klar, später wird er dickflüssiger und hindert die Samenzellen daran, in den Gebärmutterhals zu gelangen. So kann die Frau erkennen, wann ihre fruchtbaren Tage enden.
Diese Art der Verhütung erfordert viel Übung und entsprechende Beratung. Die Methode muss erst intensiv eingeübt werden, bevor sie ausreichend Schutz bietet. Bis dahin müssen die Partner mit Kondom, Diaphragma oder sonstigen Barrieremethoden verhüten.
Forderung nach bundeseinheitlicher Zertifizierung
Was ist nun von jenen Zyklus-Apps zu halten, die die Stiftung Warentest mit “gut“ bewertete? Sowohl Lady Cycle als auch My NFP beziehen sich auf die symptothermale Methode nach Sensiplan. Doch im Gegensatz zum Original fehlt es den Apps an individueller, persönlicher Beratung ihrer Nutzerinnen. Zwar erklären beide App-Anbieter auf ihren Homepages und in der App ausführlich, wie die App angewandt werden sollte. Doch eine wissenschaftliche Auswertung, wie gut die Frauen tatsächlich damit klarkommen, gibt es bislang nicht.
Aus diesem Grund fordert der Berufsverband der Frauenärzte eine bundeseinheitliche Zertifizierung von Verhütungs-Apps. Auf dem Fortbildungskongress der Frauenärztlichen Bundesakademie Foko in Düsseldorf formulierte der Verband Kriterien an eine zuverlässige und datensichere Verhütung.
Die Hauptbotschaften lauten: Auch wenn die App nach den wissenschaftlich-fundierten Sensiplan-Methoden die Daten ausrechnet, müssen die Anbieter den Nutzerinnen ermöglichen, mit qualifizierten Beraterinnen Kontakt aufzunehmen. Zudem sollten Zyklus-Apps explizit darauf hinweisen, dass die Methode mehrere Monate erprobt werden muss und in der überwiegenden Zeit des Zyklus Barrieremethoden zur Verhütung benutzt werden sollten.
Rückgang der Verkäufe hormoneller Verhütungsmittel
Auch fordern die Gynäkologen, dass die Anbieter von Zyklus-Apps auf Anfrage ihre langfristigen Finanzierungen offenlegen sollten. Nur eine seriöse Finanzierung stelle sicher, dass die gesammelten persönlichen Daten der Anwenderinnen – entgegen eventuell anderslautender Aussagen – nicht doch irgendwann an Dritte verkauft werden. Außerdem müsse die Weitergabe von Daten an kommerzielle Adressaten künftig ausdrücklich freigegeben werden. Ob es in naher Zukunft tatsächlich eine bundeseinheitliche Zertifizierung geben wird, soll noch dieses Jahr entschieden werden.
Relevant ist das Thema allemal. Denn seit Herbst 2015 verzeichnet die Pharma-Industrie einen noch nie da gewesenen Rückgang der Verkäufe hormoneller Verhütungsmittel in Deutschland. Zudem hat die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland im Jahr 2017 nach Angaben des Statistischen Bundesamts um 2,5 Prozent im Vergleich zum Jahr 2016 zugenommen.
Die steigende Zahl ungewollter Schwangerschaften könnte aber durchaus auch an dem unkritischen Umgang mit den Verhütungs-Apps liegen. Eine Zertifizierung solcher Apps böte Mädchen und Frauen, die keine Pille nehmen wollen, seriöse Hilfe bei der Wahl der natürlichen Verhütung.
Von Nadine Zeller