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Zahl der Falschbeschuldigungen ist zu vernachlässigen

Sexuelle Gewalt gegen Frauen: Wie groß ist die Gefahr in Deutschland – und wo finden Opfer Hilfe?

Opfer von Vergewaltigungen sind mehrheitlich Frauen.

Opfer von Vergewaltigungen sind mehrheitlich Frauen.

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Vergewaltigungen sind die extremste Form von sexualisierter Gewalt. Jeder und jede kann betroffen sein – unabhängig vom Alter, von der Herkunft, von der Kleidung oder vom Aussehen.

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Doch warum sind ausgerechnet Frauen mehrheitlich die Opfer? Was bedeutet eine Vergewaltigung für die Betroffenen? Und was ist zu tun, wenn man Opfer einer derartigen Straftat wurde? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

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Wie ist eine Vergewaltigung definiert?

Eine Vergewaltigung ist eine Straftat, geregelt durch § 177 im Strafgesetzbuch. Gemeint ist eine sexuelle Handlung gegen den Willen eines Menschen – oder anders gesagt: jegliches (versuchte) Eindringen in den Körper einer anderen Person ohne deren Einverständnis.

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Im Jahr 2016 hat der Deutsche Bundestag das Sexualstrafrecht verschärft. Seitdem gilt: „Nein heißt nein!“. Das heißt, es ist nicht mehr entscheidend, ob körperliche Gewalt angewendet wurde oder sich die betroffene Person gewehrt hat. Sondern ein sexueller Übergriff ist schon dann strafbar, wenn er gegen den erkennbaren Willen einer Person ausgeübt wird.

Wie viele Vergewaltigungen gibt es jedes Jahr in Deutschland?

Der einfachste Weg, um diese Frage zu beantworten, wäre, einen Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik zu werfen. Darin gelistet sind für das vergangene Jahr 11.896 Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und Übergriffe im besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge. Das sind rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr. In der Fallzahl enthalten sind 987 versuchte Vergewaltigungen. Es zeigt sich: In den vergangenen fünf Jahren ist es in Deutschland zu immer mehr Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und Übergriffen gekommen.

Ein ähnlicher Trend zeigt sich auch bei den Fällen von Gewalt in der Partnerschaft: 157.550 Fälle hat das Bundeskriminalamt nach Informationen der „Bild“ im vergangenen Jahr registriert. Das sind 9,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Rund 80 Prozent der Opfer waren Frauen. Am Dienstag will die Behörde die Zahlen offiziell vorstellen.

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Dass sich in der Statistik mehr Vergewaltigungsfälle finden, muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass es mehr Straftaten gegeben hat. „Es kann auch daran liegen, dass sich das Dunkelfeld aufhellt“, sagt Sina Tonk von der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes. Das heißt: Mehr Menschen finden den Mut, Vergewaltigungen zur Anzeige zu bringen.

Opfer von Vergewaltigungen sind mehrheitlich Frauen. Im vergangenen Jahr waren 11.339 Opfer weiblich, 665 männlich.

Alkohol ist einer der Hauptgründe für die Fettleber. Aber es gibt auch noch andere Ursachen.

Wie wirken K.-o.-Tropfen?

Wenn es zu sexuellen Übergriffen kommt, die Erinnerung daran aber nicht oder nur diffus vorhanden ist, dann können Knock-out-Tropfen ein Grund dafür sein: Sie sind auch als „Vergewaltigungsdrogen“ bekannt, weil sie wehrlos machen und zu Gedächtnisverlust führen können. So wirken die Substanzen und so können Sie sich schützen: ein Überblick.

Warum Frauen häufiger Vergewaltigungen erleben? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Nicht nur individuelle Ursachen würden hierbei eine Rolle spielen, sondern auch strukturelle, erklärt die Frauenrechts- und Hilfsorganisation Medica Mondiale. Als Beispiel nennt sie diskriminierende Gesetze, Traditionen und Bräuche sowie frauenfeindliche Sprache, aber auch überholte Stereotype und Rollenzuschreibungen für Männer und Frauen. „Diese Strukturen haben sowohl bewussten als auch unbewussten Einfluss auf die Art und Weise, wie Menschen denken und handeln“, schreibt die Organisation auf ihrer Internetseite. So sei Männlichkeit ein soziales Konstrukt, das durch patriarchale Rollenerwartungen mit Aggression verbunden ist. „Das Zusammenspiel dieser gesellschaftlichen Erwartungen und der strukturellen Diskriminierung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Gewalt gegen Frauen kommt.“

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Es gibt bei der Kriminalstatistik allerdings ein Problem: Sie ist kein hundertprozentiges Abbild der Wirklichkeit. Darin enthalten sind nur Fälle von Vergewaltigungen, sexuellen Übergriffen und Nötigungen, die bei der Polizei zur Anzeige gebracht wurden. Aber nur wenige Betroffene melden die Vorfälle, somit ist von einer Dunkelziffer bei den Fallzahlen auszugehen.

Wie hoch ist die Dunkelziffer?

„Insgesamt kann das Dunkelfeld im Bereich von Vergewaltigungen, sexuellen Übergriffen und Nötigungen als sehr hoch eingeschätzt werden“, teilt des Bundeskriminalamt auf Anfrage mit. Um abschätzen zu können, wie hoch die Dunkelziffer ist, werden sogenannte Opferbefragungen – auch bekannt als Viktimisierungssurveys – durchgeführt. Dabei werden Menschen zufällig ausgewählt und nach ihrer Erfahrung als Betroffene von Straftaten befragt.

Allerdings gibt es auch hier einen Haken: Die Studien sind veraltet. „Das ist ein Problem“, macht Katharina Göpner, Geschäftsführerin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt (bff), deutlich. „Wir fordern schon seit Langem, dass es mehr Forschung in diesem Bereich braucht. Denn es gibt immer noch Gewaltformen, die statistisch schlecht erfasst sind.“

Das Bundesfamilienministerium hat zuletzt 2003 mehr als 10.000 Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren in Deutschland zu Gewalterfahrungen befragt. Das Ergebnis: Jede siebte Befragte hat schon einmal sexuelle Gewalt erlebt. Von körperlichen Übergriffen war jede dritte Frau schon einmal betroffen. Allerdings haben sie nur sehr selten die Polizei darüber in Kenntnis gesetzt: Rund 85 Prozent der Fälle blieben ohne Anzeige.

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Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte kam in ihrer letzten Befragung von 2014 zu etwas anderen Ergebnissen. Befragt wurden 42.000 Frauen aus der Europäischen Union. Eine von zehn Frauen hat demnach seit ihrem 15. Lebensjahr irgendeine Form von sexueller Gewalt erlebt, eine von 20 wurde vergewaltigt. Nur 14 Prozent meldeten Vorfälle von Gewalt in ihrer Partnerschaft der Polizei, bei Gewalt durch eine fremde Person waren es 13 Prozent.

Selbst wenn eine Vergewaltigung bei der Polizei angezeigt wird, bedeutet das nicht, dass automatisch strafrechtliche Konsequenzen folgen. Die Aufklärungsquote lag im vergangenen Jahr bei 84 Prozent. Das heißt, es ist durchaus möglich, dass Verfahren eingestellt werden.

Warum bringen Frauen Vergewaltigungen nicht zur Anzeige?

Es gibt verschiedene Gründe, warum Frauen davor zurückschrecken, ihre Peiniger anzuzeigen. Einer der Hauptgründe ist, dass sie die Täter in der Regel kennen. Es sind Menschen aus ihrem privaten Umfeld wie ihre Ehepartner. „Für die Betroffenen ist es eine große Hürde, dann Anzeige zu erstatten“, weiß Göpner. Sie nennt noch einen weiteren Grund: die Angst vor langwierigen Gerichtsprozessen. „Die sind sehr belastend für die Frauen und können im schlimmsten Fall mehrere Jahre dauern.“

Hinzu kommt noch, dass die Prozesse nicht immer erfolgreich sind. Von 8376 männlichen Tatverdächtigen, die 2020 in die Kriminalstatistik wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und Übergriffen eingegangen sind, wurden gerade einmal 612 verurteilt, wie Zahlen des statistischen Bundesamts verdeutlichen. Dass Verfahren eingestellt werden, hängt unter anderem damit zusammen, dass eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt. „Die Betroffenen müssen nachweisen, dass sie ihren entgegenstehenden Willen geäußert haben“, erklärt Göpner. „Und das wird nicht anerkannt.“

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Immer wieder müssen vergewaltigte Frauen feststellen, dass ihnen nicht geglaubt wird. Sie werden zum Teil als Lügnerinnen hingestellt, die ihre Peiniger nur der Vergewaltigung bezichtigen würden, um sich zu rächen oder Aufmerksamkeit zu bekommen. „Frauen sehen ganz genau, wie mit diesen Fällen umgegangen wird und überlegen sich deshalb genau, ob sie diesen Spießroutenlauf mitmachen wollen“, sagt Tonk. Statt auf ihren Fall aufmerksam zu machen, verschweigen sie ihn lieber.

Wie häufig kommt es zu Falschbeschuldigungen?

„Falschbeschuldigungen sind kein Problem“, stellt Göpner klar. „Das ist immer die reflexartige Reaktion, wenn man von solchen Vorfällen hört.“ Tatsächlich sei die Zahl der Falschbeschuldigungen aber zu vernachlässigen. Eine Studie aus dem Jahr 2009 beziffert den Anteil der Falschbeschuldigungen bei Vergewaltigungen in Deutschland auf 3 Prozent. In anderen Ländern würden die Werte zwischen 1 und 9 Prozent rangieren.

Dass es häufig zu Falschbeschuldigungen komme, sei einer von vielen Vergewaltigungsmythen, sagt Göpner. „Den Betroffenen wird die Schuld an dem gegeben, was ihnen widerfahren ist, oder sie bekommen zumindest eine Mitschuld.“ Obwohl die Zahl der Falschbeschuldigungen nicht höher ist als bei anderen Straftaten, seien sie jedoch in der Debatte um sexualisierte Gewalt gegen Frauen deutlich präsenter.

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Welche Folgen hat eine Vergewaltigung?

Werden Menschen vergewaltigt, kann das unterschiedliche Folgen haben. Zum einen kann es körperliche Verletzungen geben wie Risse in der Scheide oder im After, Schnitte oder Blutergüsse, die medizinisch versorgt werden müssen. Auch könnten Geschlechtskrankheiten wie Chlamydien oder Hepatitis B beim sexuellen Übergriff übertragen worden sein.

„Die medizinische Versorgung nach sexualisierter Gewalt ist jedoch ein großes Problem in Deutschland“, merkt Göpner an. Den Kliniken würden entweder die Ressourcen dafür fehlen oder Betroffene würden abgewiesen beziehungsweise müssten lange auf eine medizinische Behandlung warten.

Auch Tonk sieht hier noch Nachholbedarf: „Frauen finden viel zu wenige Anlaufstellen, wo sie gut versorgt werden, wo sie unterstützt werden. Das muss ausgebaut werden.“ Viele Betroffene wüssten zudem gar nicht, dass es eine vertrauliche Spurensicherung gibt. Dabei können Spuren und Verletzungen, die durch die Gewalttat am Körper des Opfers verursacht wurden, sichergestellt werden. „Auch das gibt es noch viel zu selten und ist nicht flächendeckend ausgebaut.“

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Zum anderen kann Gewalt schwere psychische Folgen hinterlassen. Dazu gehören zum Beispiel psychische Belastungsstörungen, Traumata, Ängste (zum Beispiel vor einer ungewollten Schwangerschaft), aber auch Emotionen wie Schock, Scham oder Schuldzuweisungen. Die psychischen Folgen können teilweise erst nach einer Weile zum Vorschein kommen, sagt Göpner.

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Was tun, wenn man Opfer einer Vergewaltigung wird?

Ein erster wichtiger Schritt, über den sich Opfer von Vergewaltigungen Gedanken machen sollten, ist: Die Polizei unter der Notrufnummer 110 anzurufen und eine Strafanzeige zu erstatten. Das ist jedoch keine Pflicht. „Es ist Ihre Entscheidung und es macht Sinn sich für diese Entscheidung Zeit zu lassen“, rät der Frauennotruf Marburg. Wichtig zu wissen: Ist die Anzeige einmal erstattet, ist es nicht mehr möglich, sie zurückzunehmen. Diese Entscheidung ist unwiderruflich.

Was Betroffene dagegen unbedingt tun sollten, ist, sich Hilfe zu suchen. „Vertrauen Sie sich einer Person an, die Ihnen nahesteht“, rät Göpner. Wichtig ist, dass man nicht mit dem Problem allein bleibt. Da kann es auch hilfreich sein, sich an eine Beratungsstelle zu wenden.

Auf der Internetseite des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt können Betroffene nach Beratungsstellen in ihrer Nähe suchen: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/hilfe-beratung.html.

Auch die Hilfsorganisation Weißer Ring hat ein solches Angebot: https://weisser-ring.de/weisser-ring/standorte.

Zusätzlich gibt es Hilfetelefone, die Opfer von Vergewaltigungen anrufen können:

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Um Wunden und Verletzungen zu versorgen, sollte man zu einem Arzt oder einer Ärztin oder in die Notaufnahme einer Klinik gehen. Dort können auch Spuren der Tat gesichert werden.

Wir haben diesen Artikel am 10. Juli 2023 zuletzt aktualisiert.



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