„Polarstern“-Forscherin Arndt: „Die Rückkehr war schon speziell diesmal“

Die „Polarstern” – eingefroren im Eis der Zentralarktis.

Die „Polarstern” – eingefroren im Eis der Zentralarktis.

Vor wenigen Tagen lief die „Polarstern“ nach ihrer einzigartigen Arktis-Expedition in Bremerhaven ein. Das Forschungsschiff war mehr als ein Jahr lang im Nordpolarmeer unterwegs – angedockt an eine riesige Scholle. Auf der Mosaic-Expedition sammelten mehr als 300 Forscher ungezählte Daten. Mit dabei: Stefanie Arndt vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Als Teil der zweiten Forschergruppe fuhr die 31-jährige Meereisphysikerin im Januar in den hohen Norden, im Juni kehrte sie wieder zurück.

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Frau Arndt, was war das Erste, was Sie nach Ihrer Ankunft getan haben?

Frisches Obst und Gemüse gegessen. (lacht) Ich hatte das große Glück, dass mein Bruder da war und für mich eingekauft hatte. Von ihm wurde ich auch in die Corona-Welt eingewiesen. Denn als ich im Juni herkam, war das für mich ja eine neue Welt. Ich habe erst einmal eine schnelle Einführung bekommen, wie es ist, mit Maske unterwegs zu sein und was man darf und was nicht.

Das klingt ja wie in einem Film. Sie waren weit weg im ewigen Eis und kommen wieder zurück in eine von einer Pandemie heimgesuchte Welt.

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Genauso kann man sich das tatsächlich vorstellen. Als wir losfuhren, war Corona zwar schon ein Thema. Aber natürlich nicht in unseren Breiten in Mitteleuropa. Dementsprechend war es tatsächlich weit weg. Wir waren an Bord zwar auch von den Auswirkungen betroffen. Aber da wir das alles nicht so miterlebt und aus der Ferne gesehen haben, war das für mich tatsächlich wie ein Film.

Die Meereis-Physikerin Stefanie Arndt während der Mosaic-Expedition der „Polarstern“.

Die Meereis-Physikerin Stefanie Arndt während der Mosaic-Expedition der „Polarstern“.

Wie erlebt man das denn dann, wenn man auf einmal zurückkommt?

Normalerweise ist es so: Wenn man von einer Expedition zurückkommt, freut man sich, seine Freunde und die Familie wiederzusehen. Dass man nicht mehr in dieser Isolation lebt – auf dem Schiff, gefangen mit hundert Leuten. Diesmal war es aber komplett andersherum. Irgendwann haben wir verstanden: Es sind jetzt nicht mehr wir, die in Isolation leben – sondern eigentlich lebt die ganze Welt in Isolation.

Man hat wirklich die Perspektive gewechselt. Auf einmal waren wir diejenigen, die feiern konnten. Wir haben Osterfeuer gemacht, Geburtstage gefeiert – alles, was hier undenkbar war. Dann kamen wir wieder in eine Welt, in der das alles nicht mehr ging. Wo man nicht mal schnell seine Freunde und Familie sehen konnte, sondern das mit gewissen Hürden verbunden war. Das war schon speziell diesmal.

Wie kann man sich Ihren Alltag vorstellen? Beispielsweise haben Sie ja ganz lange die Sonne nicht gesehen.

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Genau, also die komplette Zeit auf dem russischen Versorgungseisbrecher (der die Forscher zur „Polarstern“ brachte, Anmerkung der Redaktion) von Tromsø bis zur „Polarstern“ sind wir durch die komplette Dunkelheit gefahren. Mit dem Tag, an dem wir an der Mosaic-Scholle bei der „Polarstern“ ankamen, kam die Dämmerung wieder. Und dann ging es total schnell, weil wir so weit im Norden waren. Drei Wochen später war schon der Polartag. Komplett im Dunkeln haben wir eigentlich nur die ersten Tage mit dem vorherigen Team gemeinsam gearbeitet.

Sie sind Meereisphysikerin. Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Also ich komme aus der Meeresphysik, aber mein eigener Forschungsschwerpunkt ist der Schnee auf dem Meereis. Ich beschäftige mich mit Fragen wie: Wie dick ist der Schnee, wie verteilt er sich auf der Scholle und wie ist die Struktur des Schnees? Ein Großteil meiner Arbeit ist, dass ich Löcher in den Schnee buddle und mir die verschiedenen Schichten anschaue und die einzelnen Schneekristalle. Zusätzlich dazu haben wir unfassbar viele Schneeproben genommen für spätere chemische Analysen im Labor.

Das war der Großteil der Arbeit für mich an Bord. Ansonsten umfasst die Meereisphysik unfassbar viel – etwa Messungen der Schnee- oder der Eisdicke. Auf der Expedition wurden beispielsweise mehr als 1000 Eiskerne genommen, die jetzt zu Hause in den Laboren analysiert werden. Dann kann man sich außerdem die Eisdicke aus verschiedenen Perspektiven anschauen. Wir haben sie aus der Luft und von der Scholle selbst gemessen.

Was fasziniert Sie denn an dem ewigen Eis?

Dass es gar nicht so ewig ist. Das ist es ja, was wir beobachten: dass das Meereis immer weniger wird. Und das ist Teil des großen Problems. Das Besondere derzeit ist, dass wir alles noch erleben können. Wir dürfen noch eine Arktis kennenlernen, die im Sommer wie im Winter eine Eisdecke hat. Wer weiß, wie lange das noch der Fall ist.

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Dann ist es die besondere Natur, die fasziniert. Diese Abgeschiedenheit. Einem wird schon sehr bewusst, dass es etwas Besonderes ist, was man da tut. Und dass man Dinge sieht und erlebt, die nicht jeder sieht. Deshalb merkt man auch: Es ist wichtig, was wir tun – aber es ist noch viel wichtiger, dass wir das auch kommunizieren und nach Hause tragen. Dieser Punkt fällt mir immer wieder schwer: Man bringt zwar Bilder und Videos mit – aber die können dieses Gefühl kaum beschreiben.

Ich spiele immer wieder das Spiel, dass ich mir vorstelle, wo ich auf dem Globus bin und wie weit ich von Landmassen und von zu Hause entfernt bin. Meereis hat etwa ein bis zwei Meter Dicke, und unter mir sind 4000 Meter Ozean. Sich das zu verdeutlichen – das ist besonders.

Sie haben es schon angerissen: Das Meereis wird weniger. Inwiefern haben Sie die Auswirkungen des Klimawandels erlebt?

Man erlebt auf der Scholle den Klimawandel nicht in dem Sinne. Wenn man seine Messungen macht, hat man aber andere Messungen im Hinterkopf. Wir hatten auf unserem Abschnitt zum Beispiel die kältesten Temperaturen der Expedition: minus 42 Grad. Wir wissen aber, dass Fridtjof Nansen vor 125 Jahren noch zehn Grad kälter gemessen hat. Oder wir haben auch erlebt, dass sich unsere Scholle sehr schnell bewegt hat. Wir haben also wesentlich schneller die komplette Transpolardrift gemacht, als das noch vor 100 Jahren oder selbst vor 30 bis 40 Jahren der Fall war.

Der offensichtlichste Punkt der Klimaveränderung, den wir in der Arktis bemerken, ist der Rückgang der Meereisausdehnung. Das ist der Teil des Ozeans, der mit Meereis bedeckt ist. Auch das ist aber nichts, was wir auf der Expedition direkt beobachten, sondern was wir aus den Satellitendaten haben. Wir sehen also den Klimawandel an sich nur im Vergleich zu dem, was war.

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Wie ist denn Ihr persönliches Fazit der Expedition, was nehmen Sie mit?

Dass nichts planbar ist. Und zwar in vielerlei Hinsicht. Als wir ankamen, hatten wir die perfekte Mosaic-Scholle, alles war stabil und schön. Dann ist uns tatsächlich fast zeitgleich zu dem Lockdown in Deutschland die Scholle nach und nach zerbrochen. Wir mussten immer wieder unsere Infrastruktur retten und uns neue Methodiken überlegen. Damit haben wir natürlich auch unser wissenschaftliches Programm angepasst. Und gleichzeitig kam die Pandemie. Das heißt, ab einem gewissen Punkt war auch jeder Logistikplan, den wir mal hatten, komplett hinfällig. Ich glaube, ich habe für mich mitgenommen, wesentlich flexibler und entspannter in puncto Planung zu werden.

Und natürlich, dass es eine besondere Situation war, da oben zu sein – nicht nur in Zeiten des Klimawandels, sondern auch in Zeiten der Pandemie.


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