„Ich fühle mich wie Kanonenfutter!“ – Wie es Lehrern, Schülern und Eltern in der Corona-Krise geht

„Die Klassenräume kühlen durch das Lüften derart aus, dass wir sogar Probleme mit dem Arbeitsschutz bekommen“, erzählt ein Schulleiter – und das ist nur eines von vielen Problemen.

„Die Klassenräume kühlen durch das Lüften derart aus, dass wir sogar Probleme mit dem Arbeitsschutz bekommen“, erzählt ein Schulleiter – und das ist nur eines von vielen Problemen.

Hannover. Seit über einem halben Jahr befinden sich auch die Schulen aufgrund der Corona-Pandemie im Ausnahmezustand. Unterricht in Schichten, Unterricht online, manchmal gar kein Unterricht. Die Beteiligten – Lehrer, Schüler, Eltern – können die Situation allmählich nicht mehr hinnehmen. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) schildern sie ihre Probleme und Sorgen.

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Moritz, 37, stellvertretender Schulleiter an einer Realschule in einem sozialen Brennpunkt

„Zwar haben wir als Schulleitung viele Pläne für unterschiedliche Szenarien, aber am Ende haben wir nur sehr wenig Handlungsspielraum. Wir sind auf das angewiesen, was in den Ministerien entschieden wird – und inzwischen fühle ich mich wie Kanonenfutter. Das RKI empfiehlt ab einem Inzidenzwert von 50 halbierte Klassen. Wir haben in unserer Kommune einen Wert von 240. Passiert ist aber nichts. Gar nichts! Und handeln wir in den Kommunen oder Schulen selbst, wie es in Solingen passiert ist, werden wir vom Ministerium zurückgepfiffen. Das ist so unflexibel.

Ich glaube übrigens, dass wir es noch irgendwie bis zum Winter mit der geöffneten Schule schaffen, aber unter welchen Bedingungen, das weiß ich nicht. Die Klassenräume kühlen durch das Lüften derart aus, dass wir sogar Probleme mit dem Arbeitsschutz bekommen. Und gehen Klassen in Quarantäne, müssen Lehrer de facto doppelt so viel Arbeit leisten. Wie sie das schaffen sollen, sagt aber keiner. Das alles ist für Lehrer gerade eine absolute Mammutaufgabe. Das alles, was die Kollegen täglich leisten, um das System Schule aufrecht zu erhalten, wird überhaupt nicht wertgeschätzt.“

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Das RKI empfiehlt ab einem Inzidenzwert von 50 halbierte Klassen. Wir haben in unserer Kommune einen Wert von 240. Passiert ist aber nichts. Gar nichts!

Moritz, stellvertretender Schulleiter

Der Corona Newsletter "Die Pandemie und wir" vom RND.

Die Pandemie und wir

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Offene Schulen sind wichtig – daher brauchen wir Kleingruppen

Maria, 48, Risikopatientin, Mutter dreier Schulkinder und Lehrerin an einer Brennpunktgesamtschule

„Ich finde die Situation insgesamt sehr schwierig gerade. Für meine eigene Gesundheit wäre es vielleicht besser, wenn die Schulen schließen würden, aber für die Kinder ist es wichtig, dass die Schulen geöffnet bleiben. Allerdings fühle ich mich auch wie ein Versuchskaninchen: Die Restaurants mussten schließen, obwohl dort viel in den Gesundheitsschutz investiert wurde, die Schulen aber bleiben weiterhin offen – und das Einzige, was wir als Lehrer zum Schutz bekommen, ist eine Flasche Bleiche, mit der wir die Tische abwischen müssen. Nicht einmal die FFP2-Masken, die wir jetzt alle tragen sollen, werden uns gestellt.

Und von den versprochenen Endgeräten ist immer noch nichts da. Ich habe Schüler weinend vor mir stehen, weil sie in der Quarantänezeit Aufgaben auf ihrem Handy bearbeiten mussten und jetzt schlechte Noten bekommen, weil das nicht richtig funktioniert hat. Wie sollen diese Schüler wieder über Wochen ins Distanzlernen gehen? Gerade für die benachteiligen Schüler sind Schulschließungen eine Katastrophe. Umso wichtiger wäre es, über die Verkleinerung der Lerngruppen das Risiko eines Lockdowns zu verhindern.“

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Ich habe Schüler weinend vor mir stehen, weil sie in der Quarantänezeit Aufgaben auf ihrem Handy bearbeiten mussten und jetzt schlechte Noten bekommen, weil das nicht richtig funktioniert hat.

Maria, Mutter und Risikopatientin

„Meine Akzeptanz schwindet“

Laura, 36, Klassenlehrerin einer fünften Klasse am Gymnasium

„Die Maske ist Alltag, niemand stellt sie mehr infrage. Dabei empfinde ich sie und auch die Art des Unterrichts als große Belastung. Der Geräuschpegel ist enorm, weil Flüstern mit Maske ja nicht geht. Auch ich muss lauter sprechen. Da wir fast nur Frontalunterricht machen dürfen, bin ich permanent gefordert – mit der Konsequenz, dass ich gerade mit einer Stimmbandentzündung krankgeschrieben bin. Neben der alltäglichen Belastung bin ich auch wahnsinnig genervt davon, dass die Maske als Allheilmittel gepriesen wird, andere Maßnahmen aber nicht umgesetzt werden. Inzwischen bin ich müde davon, die Kinder ständig zu ermahnen und auf die Corona-Regeln hinzuweisen.

Meine eigene Akzeptanz schwindet, wenn ich sehe, dass wir zwar auf Abstand achten sollen, die Kinder aber wie die Sardinen in die Schulbusse gezwängt werden. Warum werden die Schulen nicht anders getaktet und mehr Busse eingesetzt? Oder Beispiel Luftfilter: Dass Millionen in die Wirtschaft fließen, die Schulen aber leer ausgehen, ist das eine. Das andere aber ist, dass wir nicht einmal mit eigenem Geld solche Luftfilter anschaffen dürfen! Mir sind also die Hände gebunden. Mein Schulleiter hat mir sogar geraten, auf die Videokonferenzen mit meinen Quarantäneschülern zu verzichten, weil das eine Mehrarbeit ist, die nicht entlohnt wird. Ich habe es trotzdem gemacht, weil mir die Schüler wichtig sind und ich einfach einen gewissen Anspruch an mich und meine Arbeit habe. Aber alles in allem ist das eine frustrierende Situation, die mich auch sehr traurig macht.“

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Meine eigene Akzeptanz schwindet, wenn ich sehe, dass wir zwar auf Abstand achten sollen, die Kinder aber wie die Sardinen in die Schulbusse gezwängt werden.

Laura, Klassenlehrerin

Schule offen, aber Kinder sollen Kontakte vermeiden? Das ist ein Witz!

Sebastian, 41, Vater von einer Erst- und einem Drittklässler

„Die Schule ist dieser eine Bereich, in dem offensichtlich keine wirklichen Schutzmaßnahmen getroffen werden. Das finde ich sehr schwierig. Vor allem verglichen damit, dass dann ins Private wild hineinreguliert wird, ist das alles ein Witz. Die Kinder sollen in der Schule weiterhin in großen Gruppen in einem Raum sitzen, privat dürfen sie sich aber nur noch mit einem Freund treffen? Das werde ich meinen Kindern nicht auferlegen. Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der sich gern an Regeln hält und auch im ersten Lockdown haben wir die Kontaktbeschränkungen sehr ernst genommen. Aber das kann ich doch meinen Kindern nicht mehr erklären! Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Menschen in der Regierung besser auf die zweite Welle vorbereitet hätten.

Ideallösungen wird es nicht geben, aber ein bisschen Fantasie wäre nicht schlecht. Es gibt hier bei uns leerstehende Jugendzentren und Kirchen, dort könnten Kinder in kleineren Gruppen betreut und unterrichtet werden. An unserer Schule gibt es dafür auch genug Personal. Gleichzeitig ist auch die Wirtschaft gefragt, denn wir Eltern laufen gerade ständig Gefahr, mit unseren Kindern in Quarantäne gehen zu müssen. Ich habe Glück, bei meinem Arbeitgeber kann ich in solchen Fällen um bis zu 30 Prozent meine Arbeitszeit reduzieren, bei vollem Lohnausgleich. Eine solche Solidarität würde ich mir auch von anderen Arbeitgebern wünschen.“

Die Kinder sollen in der Schule weiterhin in großen Gruppen in einem Raum sitzen, privat dürfen sie sich aber nur noch mit einem Freund treffen? Das werde ich meinen Kindern nicht auferlegen.

Sebastian, Vater

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Die Oberstufen sollten ins Distanzlernen, damit die Kleinen in die Schule gehen können

Sarah, 17, Abiturientin

„Inzwischen habe ich mich mit der Situation arrangiert. Gerade zum Beispiel bin ich in so einer Art Tandemunterricht, bei dem ich nur vereinzelt an der Schule sein muss, denn Zweidrittel meines Jahrgangs sind aktuell in Quarantäne. Das Distanzlernen hat sich eingespielt – auch wenn ich mit meinen Lehrern über vier verschiedene Plattformen kommunizieren muss, weil jeder etwas anderes nutzt. Aber wir Älteren kommen damit klar und werden uns auch aufs Abi irgendwie vorbereiten können.

Ganz ehrlich: Wir wollen auch bald studieren oder unsere Ausbildung machen, da müssen wir uns auch selbst organisieren können. Nur für die jüngeren Schülerinnen und Schüler ist das digitale Lernen längst nicht so einfach und ich sehe da auch für die Eltern einfach große Betreuungsprobleme. Daher plädiere ich dafür, vor allem uns Oberstufenschülerinnen und -schüler ins Distanzlernen zu schicken, damit die jüngeren so lange wie möglich im Präsenzunterricht bleiben können.”

Das Distanzlernen hat sich eingespielt – auch wenn ich mit meinen Lehrern über vier verschiedene Plattformen kommunizieren muss, weil jeder etwas anderes nutzt.

Sarah, Abiturientin

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„Wir verwalten nur noch“

Ulrike, 53, stellvertretende Leiterin einer Grundschule

„Die Stimmung im Kollegium ist noch verhältnismäßig gut, aber es schwebt eben immer dieses Damoklesschwert über uns. Jeden Morgen denkst du: Mal gucken, was heute passiert. Ich träume sogar schon davon. Das alles ist so anstrengend. Das Ziel, ja, die ganze Orientierung geht gerade verloren, weil einfach nichts mehr planbar ist. Im Prinzip verwalten wir nur noch den Schulalltag. Und das ist es doch nicht, wie Schule sein soll. Ich habe eine zweite Klasse, und wenn das so weitergeht, frage ich mich schon: Was für eine Grundschulzeit hatten diese Kinder? Nach den Sommerferien hatte ich noch das Gefühl, es gehe langsam bergauf. Jetzt höre ich nur noch die Warnungen vor dem ‚harten Winter‘. Ich würde mir von Seiten der Regierung ein bisschen mehr ‚Wir packen das‘-Mentalität wünschen und für unseren Schulalltag gezieltere Maßnahmen.

Im Prinzip verwalten wir nur noch den Schulalltag. Und das ist es doch nicht, wie Schule sein soll.

Ulrike, stellvertretende Leiterin einer Grundschule

Grundsätzlich bin ich froh, dass die Schulen offen sind, denn das ist es, was ich gerne mache. Aber vielleicht würden wirklich kleinere Lerngruppen helfen. Mehr jedenfalls, als dass ein Mann einmal am Tag in meinen Unterricht platzt, um die Lichtschalter abzuwischen. Und mehr, als dass ich die Uhr stelle und alle 20 Minuten ‚Fensterdienst‘ rufe, damit die Kinder die Fenster zum Lüften öffnen.“

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