Freiheit auf vier Rädern: Warum das Campen in Corona-Zeiten beliebter ist denn je

Die neue Lust am Campen

Reduktion statt Reizüberflutung: In der Corona-Pandemie hat Caravaning einen regelrechten Boom erlebt.

Der Regen prasselte mit so unbarmherziger Wucht auf das Dach unseres Campers, dass wir davon aufwachten. Früh morgens, es war wohl gerade erst 7 Uhr. Eigentlich ein Worst-Case-Wetterszenario. Erst recht im Urlaub.

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Beim Camping allerdings nimmt man das Wetter ein bisschen anders wahr. Man versucht, den Einklang hinzubekommen mit der Natur. Ein Stück weit zurückzufinden zu den Wurzeln. Also kuschelten wir uns an diesem verregneten Morgen noch mal ein – und öffneten die Schiebetür unmittelbar vor unserem Bett.

Nur wenige Zentimeter vor uns prasselte der Regen auf den Boden und bildete kleine Rinnsale. Beinahe eine halbe Stunde lagen wir so da und beobachteten fasziniert das Spektakel aus erster Reihe. Keiner sagte ein Wort: Waldbaden in der Endlosschleife.

Beim Campen gerät der Alltag in Vergessenheit

Regen erzeugt beim Campen eine unvergleichliche Gemütlichkeit – solange die Luftmatratze im Zelt nicht auf dem Wasser zu treiben beginnt. Das ist der Horror eines jeden Anti-Campers, so habe ich es oft gehört, wenn ich begeistert von unseren Reisen erzählte. Für leidenschaftliche Camper indessen hat die Gewissheit, zwar unmittelbar in der Natur, aber gut geschützt vor allen Wetterwidrigkeiten zu sein, etwas Beruhigendes.

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Forscher der Universität von Michigan in den USA fanden unlängst heraus, dass 20 Minuten im Grünen bereits reichen, um das Level an Stresshormonen merklich zu reduzieren. Tatsächlich rückt der Alltag beim Campen sehr schnell sehr weit weg – schon nach kurzer Zeit fühlt es sich an, als sei man schon ewig on Tour.

Campingbranche erlebt Corona-Boom

Immer mehr Menschen machen derzeit diese Erfahrung. Zum generellen Trend in Richtung Natur kommt der spezielle Schub durch die Pandemie: Das Coronavirus hat der Campingbranche einen Boom beschert wie noch nie.

“Wir sehen, dass die Popularität der Urlaubsform Caravaning gerade in der derzeitigen Lage steigt und viele neue Kunden anzieht”, freut sich Daniel Onggowinarso, Geschäftsführer des Caravaning-Industrie-Verbandes, vor der Eröffnung des Caravan-Salons. Steigende Popularität heißt immer auch steigende Preise. Es wird jetzt ordentlich Geld verdient rund ums Caravaning.

Caravan-Salon lockt mehr als 40.000 Besucher an

Die Messe ist weltweit eine der größten Schauen rund ums Thema. Und es dürfte kaum ein Zufall sein, dass ausgerechnet der Caravan-Salon die erste große Ausstellung nach dem Lockdown im Frühjahr ist, die ihre Türen mit einem ausgefeilten Hygienekonzept aktuell wieder öffnen darf. Das Motto: “Leidenschaft, die verbindet.” Weit mehr als 40.000 Besucher strömten bereits am ersten Wochenende in die Hallen auf dem Düsseldorfer Messegelände.

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Camping ist in der Tat eine hoch leidenschaftliche Sache: Würde ich unseren geliebten Camper aktuell zum Verkauf anbieten, würde ich wohl einen satten Gewinn einstreichen. Würde. Denn tatsächlich trennt sich kaum ein Besitzer leichtfertig von seinem Tiny Home auf vier Rädern.

Camping bedeutet frei sein

Für viele Camper ist ihr Gefährt der Inbegriff von Freiheit und Abenteuer: ein wahr gewordener, großer (und oft kostspieliger) Traum, der sich nach Jahren des Für und Wider erfüllt hat. Und so tragen die Mobilchen liebevolle Namen – ein Zeichen für den engen Bezug.

Unseren knallroten Nugget haben wir Red Butler getauft, und nicht ohne Grund nennen wir ihn auch “unser Fluchtmobil”. Mit ihm suchen wir das Weite. Wie oft habe ich mir allein morgens auf dem Weg zur Arbeit schon folgendes Szenario ausgemalt: Einfach jetzt den Fuß fest aufs Gas drücken und dann ab ans Meer.

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Start-up bietet Leihservice für Wohnmobile an

Katrin Witt lebt als Dörflerin heute in der Großstadt. Ihr zehn Jahre alter T5 war ebenfalls ein lang gehegter Traum. Heute steht er für die 40-Jährige für “Freiheit, Flexibilität und Natur, den perfekten Ausgleich zur Stadt”. Wann immer sie will, steigt die Wahl-Berlinerin in ihren Camper und fährt raus ins Grüne oder an die See, um die “Schönheit der kleinen Dinge zu genießen”, wie sie sagt – etwa einen guten Kaffee aus ihrer italienischen Kaffeemaschine, die sie als einziges Luxusgut immer an Bord hat.

Witt arbeitet für das Start-up Paul Camper – seit dem Jahr 2013 eine Plattform für all jene, die sich ein Reisemobil von privat leihen wollen, oder eben jene, die ihr “liebgewonnenes Fahrzeug an reiselustige Menschen verleihen wollen”, so steht es auf der Seite, deren Gründer, Dirk Fehse, ebenfalls leidenschaftlicher Camper ist.

Am Camping scheiden sich seit jeher die Geister: Entweder man hasst es – oder man liebt es. Auf jeden Fall aber ist es die wohl kultivierteste Art des Sich-Gehen-Lassens, oder wie es ein weit verbreiteter Kalenderspruch etwas flapsiger umschreibt: “Camping ist der Zustand, in dem der Mensch seine eigene Verwahrlosung als Erholung empfindet”. Heißt: Schmutzige Füße vom Barfußlaufen und pragmatischer Schlabber- oder Outdoorlook sind des Campers Markenzeichen, das er – egal welcher Herkunft – lässig vor sich her trägt.

Wohnmobile werden von jungen Leuten wiederentdeckt

Was in den Goldenen Zwanzigern als günstige Urlaubsalternative einen zaghaften Anfang nahm – mit dem Aufschwung nach dem ersten Weltkrieg kam der gesetzliche Urlaubsanspruch – ist längst zu einer Art Lebensphilosophie geworden. Oder eben, wie aktuell, zu einer recht sicheren, autarken Art des Reisens – wie sie unsichere Zeiten wie diese erfordern.

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Das hat auch Camperin Witt bei ihren Kunden beobachtet: Nachdem der Lockdown dem Unternehmen kurzfristig zusetzte, seien sie regelrecht überrannt worden. Im Mai, Juni und Juli hätten sie ein hundertprozentiges Wachstum im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen können – zum einen, weil Campen als flexibel und kontaktarm gelte, zum anderen aber auch, weil junge Menschen zunehmend ein anderes Bewusstsein entwickelten, und nach umweltschonenderen Reisealternativen zum Fliegen suchten.

Camper lieben es minimalistisch

Diese Rückbesinnung auf die Natur und die Sicherheit des autarken Reisens hat im Sommer zeitweilig zu einem totalen Kollaps auf den Campingplätzen entlang von Nord- und Ostseeküste geführt: Der Andrang war teils so groß, dass eingefleischte Camper noch jetzt, zum Ende der Saison, in Foren um ihr Gefühl von Freiheit und Gemütlichkeit bangen. Denn die Freiheit steht beim Campen über allem – und das nicht erst, seit wir sie während der Corona-Pandemie zeitweilig einbüßen mussten.

Wir können bleiben oder fahren, Abstand halten ist kein Problem.

Das zeigt auch ein kleiner Rundruf im Camperforum für diesen Artikel: Auf die Frage, was für meine Mitstreiter das besondere Freiheitsgefühl beim Campen ausmache, war der allgemeine Tenor doch recht ähnlich: “Einfach dorthin fahren, wo die Sonne scheint”, “Kein Zwang, wie im Hotel – etwa wenn es ums Essen geht”, “Wir können bleiben oder fahren, Abstand halten ist kein Problem”. Ein Universitätsprofessor schreibt außerdem, dass er sich auf Dienstreisen immer nur in der gleichen Gesellschaftsschicht bewege, auf dem Campingplatz aber sei das anders: “Da sind wir alle einfach Camper.”

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Neben der Freiheit liegt tatsächlich in der Einfachheit das Geheimnis des Camperglücks, oder wie Hanni Ab es umschreibt: “Ich mag das Minimalistische, mit wenig zurechtzukommen.”

Nach dem Campen kommt das Fernweh

Für andere wiederum wurde das Reisemobil während der Hochphase der Pandemie zum Büro, etwa für Katja Seidel: “Mein Bulli gibt mir die Freiheit, von überall zu arbeiten wo es LTE-Netz gibt.” Für wieder andere ist es ein motorisiertes Heim, das auch in der Fremde Behaglichkeit vermittelt, wie für Ide Kreike: “Wo der Bulli steht, ist das Zuhause!”, schreibt sie.

Die Camperwerte Freiheit, Naturverbundenheit und Reduktion – der Glamping-Trend mit viel Technik und hochgetunten Mobilen bleibt hier außen vor – sind während der Pandemie für viele offenbar zur Tugend geworden, oder vielleicht besser gesagt, zu einer Art Sehnsucht.

Wohl jeder Camper kennt dieses eigenartige Gefühl, eine Mischung aus Wehmut und Demut, das einen nach der Rückkehr zu Hause befällt – wenn die Wohnung plötzlich riesig wirkt und die Luft darin eigenartig dünn. Wir reißen dann immer alle Fenster weit auf, atmen tief durch. Und schmieden Pläne für den nächsten Trip.

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