Familien in der Corona-Krise: „Der erste Lockdown war für uns eine Katastrophe“
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Sollten Schulen und Kitas nun doch wieder schließen, könnte das Eltern und auch Kinder stark belasten.
© Quelle: www.oberbergkliniken.de / Ketut/
Deutschland fährt den Betrieb wieder runter. Noch bleiben Schulen und Kitas geöffnet, doch wie lange noch? Was ist mit all den Feiern, den Festen und Ritualen? Werden sie fehlen oder liegt auch jetzt wieder in der Krise eine Chance, die Dinge noch einmal neu zu bewerten?
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Die Pandemie und wir
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Louisa Löwenstein, 36, Mutter und Mitgründerin der Gruppe „Eltern in der Krise“ aus Berlin:
Dass Kitas und Schulen offen bleiben, ist ein unglaublicher Gewinn.
Die Panik unter Eltern, dass es noch einmal zu Kita- und Schulschließungen wie im Frühjahr kommen könnte, ist groß. Uns erreichen viele Nachrichten von Eltern, die sagen: „Noch einmal schaffe ich das nicht!“ Viele haben erst im Nachgang gemerkt, wie traumatisch die Erlebnisse, die Belastungen mitunter waren. Dass die Kitas und Schulen jetzt im zweiten Lockdown erst einmal geöffnet bleiben, ist daher ein unglaublicher Gewinn – den es nicht gäbe, wenn wir Eltern nicht so laut geworden wären.
Jetzt muss die Politik Schulen und Kitas aber auch befähigen, eigenständig und effizient Entscheidungen treffen zu können. Stattdessen aber stehen sie vielerorts vor absurden bürokratischen Hürden. Es ist aus vielen Gründen von Bedeutung, dass die Einrichtungen offen bleiben können. Sehr wichtig ist, dass Kitas und Schulen essenzielle Bestandteile des kindlichen Sozialsystems sind. Und auch auf Elternseite: Zum Beispiel muss verhindert werden, dass sich als Resultat der Krise die Stellung der Eltern bei den Arbeitgebern verschlechtert. Ein Elternteil einzustellen darf kein Risiko sein und Eltern dürfen durch die Krise nicht ins berufliche Hintertreffen geraten.
Annett, 47, Mutter von sechs Kindern (10, 11, 14, 16, 20, 22) aus Sachsen:
Corona zeigt, was uns wirklich wichtig ist.
Allem, was jetzt kommt, sehe ich gelassener entgegen. Der Lockdown im Frühjahr war schwierig für uns, da habe ich jeden Tag bis halb fünf gearbeitet, und die Kinder mussten mit ihren Aufgaben allein klarkommen. Jetzt sieht es anders aus. Zum einen bin ich gerade arbeitslos, trete erst im Januar einen neuen Job an. Wenn die Schulen jetzt schließen, wäre ich also da. Vor allem aber bin ich gelassener, weil ich in dieser Zeit gesehen habe, wie sehr die Kinder in dieser Zeit gewachsen sind, ja wie selbstständig sie geworden sind. Und wir als Familie sind noch mal stärker zusammengewachsen. Statt die Kinder ständig zu irgendwelchen Aktivitäten zu fahren, verbringen wir mehr Zeit gemeinsam, entdecken hier in der Umgebung viele Orte, die wir bislang nicht kannten, wie kleine Berge, Seen, Wanderwege. Das empfinde ich als großen Schatz.
Und auch das, was in den kommenden Monaten auf uns zukommt, versuche ich vor allem als Chance zu begreifen. Weihnachten ist ein wichtiges Fest für uns, das sicher anders ablaufen wird. Sonst spielen die Kinder immer beim Krippenspiel mit, der Heiligabend ist dadurch immer sehr durchgetaktet. Dieses Jahr werden wir zu Hause bleiben, vielleicht die Weihnachtsgeschichte gemeinsam lesen. Ich finde, gerade weil die Rituale wegfallen, kommt man doch erst dazu, über die Dinge noch einmal genauer nachzudenken und sich zu fragen: Was ist mir wirklich wichtig? Manchmal begreifen wir ja erst durch den Verzicht die tatsächliche Wertigkeit der Dinge. Daher mache ich mir keine Sorgen um unser Weihnachtsfest. Nur die Menschen, die wirklich allein bleiben müssen, die dürfen wir nicht vergessen.
Rike, 35, Mutter zweier Töchter (6), aus dem Ruhrgebiet:
Lasst uns kreative Lösungen finden!
Für die Kinder fällt gerade so viel weg, so viele Feste, so viele Rituale. Adventsmarktbesuche, Theater, Weihnachtskonzerte. Das sind alles Dinge, die auch ich gern mache und die mir eine Unbeschwertheit geben. Die fehlt mir und die fehlt auch meinen Kindern. Und gerade weil uns die Pandemie noch eine Weile begleiten wird, können wir nicht einfach alles absagen. Ich bin selbst Risikoperson und nehme die Schutzmaßnahmen ernst. Genau deshalb sage ich: „Lasst uns doch kreative Lösungen finden!“
An Halloween zum Beispiel haben wir uns in der Nachbarschaft so abgesprochen, dass alle Familien die Süßigkeiten draußen aufhängen und die Kinder abends bei einem Spaziergang die Tütchen einsammeln. Spielbesuche und Kindergeburtstage finden in unserem Freundeskreis draußen statt. Wie das jetzt im Winter wird, weiß ich natürlich auch noch nicht. Aber demnächst sind die Mädels auf einem Geburtstag eingeladen – der wird im Wald gefeiert. Viele kritisieren das Stoßlüften in der Schule. Ich aber finde, es ist eine praktikable Lösung. Es gibt mir ein sicheres Gefühl, und gleichzeitig können die Schulen offen bleiben. Die Kinder müssen sich halt wärmer anziehen.
Martin, 45, alleinerziehender Vater dreier Kinder (14, 11 und 6) aus der Nähe von Dortmund:
Wenn wir wieder ins Homeschooling müssen, kann das nur in die Hose gehen!
Jetzt in der Corona-Zeit wird einmal mehr deutlich, wie schwierig die Sache mit der Vereinbarkeit ist. Neulich wurde mein Jüngster mittwochmittags vorsorglich in Quarantäne geschickt. Den halben Arbeitstag verbrachte ich erst damit, die Betreuung zu koordinieren. Die restlichen zehn Tage blieb ich dann mit ihm zu Hause in Quarantäne. Die fiel aber in die Ferien, weswegen mir auch der Verdienstausfall nicht bezahlt wurde. Homeoffice geht bei mir auch nicht, also musste die Kinderärztin mein eigentlich gesundes Kind krankschreiben, damit ich überhaupt noch Geld bekomme. Die Großeltern konnte ich ja auch schlecht in die Betreuung einbinden. Das war schon eine schwierige Zeit und vor allem eine, die ich nicht dauerhaft schaffen kann.
Deshalb habe ich auch wirklich große Sorge vor Schulschließungen. Wenn wir wieder ins Homeschooling müssen, kann das nur in die Hose gehen! Im ersten Lockdown haben die beiden Großen ihre Aufgaben eigentlich gar nicht erledigt. Wenn sie niemanden haben, der da total hinterher ist, machen sie es nicht. Und ich kann das nach der Arbeit auch nicht immer leisten. Hinzu kommt die fehlende Ausstattung. Wahrscheinlich wird es dann der Opa sein, der schnell noch ein Tablet kaufen muss. Letztlich haben die Kinder dieses verpasste Vierteljahr im Homeschooling erstaunlich gut kompensiert. Aber wenn die Schule jetzt noch mal längere Zeit geschlossen bleibt, muss irgendwas auf der Strecke bleiben – entweder Personen oder Unterrichtsstoff. Ist ja wohl klar, dass ich dann eher auf Religion oder Kunst verzichten könnte.
Jana, 34, hat in der Corona-Zeit ihr zweites Kind bekommen, aus Erlangen:
Ich habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen.
Dass durch Corona Dinge wie Babykurse eingeschränkter sind, finde ich persönlich gar nicht so schlimm. Ich habe gar nicht das Gefühl, so viel zu verpassen. Beim ersten Kind war es noch anders, da bin ich jede Woche zu irgendeinem Kurs gelaufen. Jetzt habe ich ja mitten in der Corona-Zeit noch ein Kind bekommen und in den ersten Wochen wirklich deutlich weniger Programm gemacht. Das war auch gut, denn es liegen wirklich anstrengende Monate hinter uns. Der erste Lockdown war für uns eine Katastrophe: Ich, schwanger, und an meiner Promotion arbeitend mit meiner Dreijährigen zu Hause. Mein Mann ist Arzt und war in dieser Zeit natürlich viel im Dienst.
Im Sommer dann die Geburt, die zum Glück positiver war als gedacht. Mein Mann konnte die ganze Zeit dabei sein, und ich durfte auch die Maske im Kreißsaal ablegen. Die Tage nach der Geburt hat er mich auch im Krankenhaus besuchen können. Schwierig fand ich aber, dass meine große Tochter nicht zu uns kommen durfte. In all den Kinder-Geschwister-Büchern sind Bilder dabei, wie das Baby im Krankenhaus begrüßt wird. Das fiel bei uns völlig weg. Auf die kommende Zeit blicke ich mit gemischten Gefühlen. Ich habe wieder angefangen, ein paar Stunden die Woche zu arbeiten. Gleichzeitig hat uns der Kindergarten angekündigt, demnächst wohl wieder die Gruppen zu verkleinern. Damit wäre meine Große dann wieder nur alle zwei Wochen in der Betreuung – und unser Stress geht wieder von vorn los.