Warum die Ukraine-Krise die Energiepreise nach oben treibt – auch ohne militärische Konfrontation
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Die Alternative zu Pipelinegas aus Russland: Verflüssigtes Gas wurde zuletzt verstärkt nach Europa exportiert.
© Quelle: dpa / picture alliance
Frankfurt. Die steigenden Spannungen im Ukraine-Konflikt treiben die Energiepreise in die Höhe. Wir erläutern, was bei einer weiteren Eskalation geschehen könnte und welche Folgen für die Verbraucher drohen.
Wie stark sind die Preise gestiegen?
Rohöl der Nordseesorte Brent kostete am Montagmorgen erstmals seit Herbst 2014 wieder mehr als 96 Euro pro Fass (159 Liter). Ende voriger Woche war es noch knapp ein Dollar weniger gewesen. Bei Erdgas gab es zur gleichen Zeit an den Terminbörsen einen Aufschlag von etwa 13 Prozent. Händler sind sich einig, dass der Ukraine-Konflikt die Ursache dafür ist. Laut US-Geheimdiensten könnte ein russischer Angriff unmittelbar bevor stehen.
Was wären die Folgen?
Die USA und die europäischen Staaten haben Russland mit harten Wirtschaftssanktionen gedroht. Die Folge könnte ein Boykott von Energielieferungen durch Russland sein. Viele Experten, wie die Rohstoffexperten der UBS-Bank in einer aktuellen Studie, betonen, dass die Akteure auf den Energiemärkten derzeit „sehr empfindlich auf Neuigkeiten über mögliche Versorgungsunterbrechungen“ reagieren. Allein diese Befürchtungen treiben die Preise in die Höhe.
Wie weit könnte das gehen?
Viele Analysten erwarten, dass der Ölpreis schon bald die 100-Dollar-Marke überspringt – selbst wenn es zu keiner militärischen Auseinandersetzung kommt, die gegenwärtigen Spannungen aber weiter bestehen bleiben. Sicher ist: Die hohen Energiepreise bringen üppige Einnahmen für den russischen Staatshaushalt.
Warum sind die Preissprünge so stark?
Zur Ukraine-Krise kommt, dass in Europa die Nachfrage nach Energie aufgrund der wirtschaftlichen Erholung hoch ist – und womöglich noch steigen könnte, wenn die Pandemie in den nächsten Monaten tatsächlich deutlich zurückgedrängt wird. Fast alle Volkswirte erwarten dann einen massiven Nachfrageschub sowohl durch Konsumenten als auch durch Unternehmen – so sind die Auftragsbestände vieler deutscher Firmen so hoch wie seit Jahren nicht mehr.
Wie sieht es auf der Angebotsseite aus?
Beim Erdgas liefert der russische Monopolist Gazprom nur so viel, wie er unbedingt muss. Unter anderem die Internationale Energieagentur (IEA) ist davon überzeugt, dass deutlich mehr möglich wäre. Die Politisierung des Gasmarkts nutze weder Produzenten noch Konsumenten, sagte IEA-Chef Fatih Birol am Montag. Beim Erdöl gilt, dass das Opec+-Kartell – inklusive Russland – zwar die Erhöhung der Förderung um 400.000 Fass pro Tag beschlossen hat. Doch Branchenkenner gehen davon aus, dass die Ölstaaten dies gar nicht umsetzen können.
Das gilt für Libyen und Nigeria, aber auch für Russland, weil es unter anderem logistische und technische Probleme bei der Förderung und beim Transport gibt. Birol hat dennoch erneut appelliert, mehr zu pumpen, da der Markt allein durch eine höhere Rohölgewinnung in Kanada, in den USA und in Brasilien (die nicht der Opec+ angehören) nicht auszubalancieren sei. Unter anderem Saudi-Arabien könnte die Förderung steigern.
Wie stark ist Deutschland überhaupt von russischen Energielieferungen abhängig?
Bei Rohöl und Erdgas werden jeweils etwa 40 Prozent des Bedarfs durch Russland gedeckt. Ähnlich ist es in anderen Ländern der EU, wobei die Abhängigkeiten der EU-Staaten in Ost- und Südosteuropa teilweise noch erheblich höher sind. Generell gilt, dass Ersatzlieferungen von anderswo möglich sind. Öl und verflüssigtes Erdgas (LNG) können verstärkt per Schiff nach Europa gebracht werden. Allerdings ist LNG ungefähr ein Viertel teurer als russisches Pipelinegas. Ferner ist aber auch zu bedenken, dass die EU der wichtigste Abnehmer der Energierohstoffe aus Russland ist. Eine Umorientierung bei der Energieversorgung kann also langfristig nicht im Interesse von Putin sein.
Was bedeutet das alles für die Verbraucher hierzulande?
Die höheren Rohölpreise werden sich schon in den nächsten Tagen an den Tankstellen mit weiteren Aufschlägen für Benzin und Diesel bemerkbar machen. Das teurere Erdgas schlägt mit einiger Verzögerung bei vielen Produkten durch. So wird der leicht flüchtige Brennstoff für viele Prozesse in der Industrie benötigt, was zahlreiche Konsumgüter verteuern könnte.
Privathaushalte, die neue Gaslieferverträge abschließen, müssen mit sehr hohen Tarifen rechnen. Auch Strom verteuert sich, da Erdgas bei der Erzeugung von elektrischer Energie wichtig ist. Es hatte in jüngster Zeit einen Anteil von 10 bis 12 Prozent am Strommix. Wobei zu bedenken ist, dass Gas die mit Abstand teuerste Energiequelle für die Stromerzeugung ist.
Wie sehen die Perspektiven für die nächsten Monate aus?
Die Experten der DZ-Bank erwarten in einer aktuellen Studie zwar, dass sich beim Öl der „Knappheitsgrad“ im Laufe des Jahres abbaut. Es dürfte sogar ein „Angebotsüberschuss entstehen“. Die Analysten gehen davon aus, dass aufgrund der hohen Preise die Investitionen in Förder- und Transporttechnik gesteigert werden und das Angebot dann doch wieder ausgebaut wird.
Zugleich werde sich „ein Nachfragedynamikverlust“ ergeben, was letztlich geringeres Wirtschaftswachstum bedeuten würde. In der Studie wird hinzugefügt: „Allerdings überlagert die Geopolitik die Versorgungslage, sodass wir zukünftig einen Risikoaufschlag berücksichtigen.“