Wie funktioniert Energy Sharing?

Die Stromrebellen aus dem Schwarzwald

Die Energieagentur berät unter anderem Unternehmen bei Klimaschutzmaßnahmen.

Aufbau einer Solarenergieanlage auf einem Einfamilienhaus (Symbolbild).

Schönau. Walter Falger ist ein Stromrebell. Der 66-jährige Ex-Polizist war der erste im Schwarzwald-Dörfchen Wieden (Landkreis Lörrach), der Solarzellen auf seinem Dach installierte und eigenen Strom erzeugte. Noch vor dem Grünen-Politiker im Dorf, wie er grinsend betont. Das war vor 20 Jahren. Jetzt will Falger Teil der nächsten Revolution sein: Energy Sharing.

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Seit 2002 hat er, weithin sichtbar, eine Photovoltaikanlage mit einer Gesamtleistung von 14,6 Kilowatt auf dem Dach und an der Terrasse seines Hauses installiert. Im Dorf hielten ihn einige anfangs für einen Spinner, andere glaubten, der Falger haut sich jetzt die Taschen voll. Rund 80.000 Euro hat er investiert, sagt er. „Die Investition wirft, bei einer 20-jährigen Finanzierung, mit bis zu 3 Prozent keine wahnsinnigen Gewinne ab. Es kam bisher aber auch zu keiner negativen finanziellen Bilanz.“

Konsumenten werden zu Prosumern

Der Pensionär hatte sich die Frage gestellt, was er mit dem Strom machen soll, den er nicht selbst verbraucht, für den er aber auch bald keine Einnahmen aus der Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mehr erzielt. Den Strom selbst handeln? „Aufwendig“, sagt Falger und winkt ab. „Außerdem finde ich es unsinnig, überschüssige Energie durch halb Europa zu schicken, wenn sie möglicherweise der Nachbar gerade gut gebrauchen könnte.“

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Walter Falger (66) nimmt am Schönauer Pilotprojekt zum Energy Sharing teil. Er möchte damit ernst machen, wie er sagt.

Walter Falger (66) nimmt am Schönauer Pilotprojekt zum Energy Sharing teil. Er möchte damit ernst machen, wie er sagt.

Der Energiemarkt, das werden in Zukunft keine Großkraftwerke von Konzernen mehr sein und keine Kunden, die nur verbrauchen und dafür zahlen. So jedenfalls sehen es Energiewende-Enthusiasten. Die Zukunft heißt aus deren Sicht: Menschen werden zu Prosumern. Sie produzieren und konsumieren, speichern und handeln – in diesem Fall Strom. So wie Walter Falger es sich vorstellt.

Der bisherige Rekord-Bruttostromverbrauch wurde in Deutschland mit 624 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2007 registriert. Bis 2030 rechnet die Bundesregierung mit bis zu 750 TWh. In acht Jahren sollen 80 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen – also aus Wind, Sonne oder Wasser.

Habeck verspricht wettbewerbsfähige Preise

Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) versprach bei seiner Eröffnungsbilanz Anfang des Jahres: „Wir schaffen die Grundlage für mehr erneuerbaren Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen. Vor allem im Vergleich zu fossilen Energieträgern soll Strom günstiger werden.“

Schaffen wir das? Und vor allem, wie?

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Eine Antwort darauf könnte Energy Sharing heißen. „Für hohe Zubauraten bei erneuerbaren Energien innerhalb kürzester Zeit werden Akzeptanz und Investitionsbereitschaft der Menschen vor Ort benötigt. Energy Sharing ist dafür das perfekte Instrument“, ist Carolin Dähling vom genossenschaftlichen Energieversorger Green Planet Energy überzeugt.

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Stromgemeinschaft vom Geigenbauer bis zur Hausfrau

Die Energiewerke Schönau (EWS) im Schwarzwald, eine 1991 aus einer Bürgerinitiative gegen Atomenergie gegründete Genossenschaft, zählen zu den Vorreitern solcher Lösungen in Deutschland. 2017 startete hier im äußersten Südwesten der Bundesrepublik das Modellprojekt „Virtuelles Bürgerkraftwerk“. Im moderneren EWS-Slang heißt es „Rebellenkraftwerk“.

Die 25 Teilnehmer, zu denen Walter Falger zählt, sind Geigenbauer, Demeter-Landwirte, Sozialarbeiter, IT-Experten, Hausfrauen, Sänger, ganz Junge und Ältere. Der 31-jährige Frederik Penski betreut für die EWS die Gruppe, die sich regelmäßig zu Workshops trifft, als Projektingenieur. Worum geht es ihm? „Unser Anspruch ist, dass jeder über seinen eigenen Stromverbrauch hinaus an den Verbund denkt und darüber gemeinsamer Nutzen entsteht.“

Kosteneinsparung möglich

Zu idealistisch? Der Interessenverband Bündnis Bürgerenergie (BBE) hat im vergangenen Jahr ein Konzept für Energy Sharing vorgelegt. Im Kern geht es darum, dass sich Menschen zusammenschließen, um in ihrer Region Erneuerbare-Energien-Anlagen gemeinschaftlich zu finanzieren und zu betreiben. Bislang sind Teilnehmer in der Regel über eine Verzinsung ihrer Einlage an den Erträgen der Anlagen beteiligt. An der Stromrechnung ändert sich dadurch bisher jedoch nichts.

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Mit Energy Sharing soll ein neuer Marktrahmen geschaffen werden, mit dem Mitglieder von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften ihren gemeinschaftlich erzeugten Strom über das regionale Verteilnetz vergünstigt nutzen können. In einer Modellrechnung für einen Haushalt mit 3000 Kilowattstunden (KWh) haben die Autoren ermittelt, dass somit Einsparungen von 117 Euro jährlich möglich sind.

Die Vorteile von Energy Sharing gingen jedoch darüber hinaus, hat das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Auftrag des BBE in einer Potenzialstudie herausgefunden. Durch Energy Sharing könnten 90 Prozent der Haushalte in Deutschland von günstigeren Strompreisen profitieren.

Schönauer Rebellenkraftwerk

Der gesellschaftliche Nutzen, so die Forschenden, wäre noch ungleich höher. Würden Privatpersonen mindestens 12 Prozent der Investitionskosten für die Anlagen in ihren Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften beisteuern, ergäben sich insgesamt private Investitionen in Höhe von 6,5 Milliarden bis 12,8 Milliarden Euro. Jede Person wäre im Durchschnitt mit rund 100 bis 200 Euro selbst an den Anlagen beteiligt.

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Im Schönauer Rebellenkraftwerk bringen die Mitglieder Photovoltaikanlagen, Blockheizkraftwerke, unterschiedliche Batteriesysteme, Elektroautos und Wärmepumpen ein. „Je diverser das System ist, desto besser funktioniert die Eigenversorgung“, sagt Frederik Penski.

Stromverbrauch wird zur Kostenfrage

Er bestätigt Forschungsergebnisse des IÖW, wonach verbrauchsnahe Energieerzeugung entlastend auf die Stromnetze wirken kann. Besonders gut funktioniert dies, wenn Anreize für eine Lastverschiebung geschaffen werden, also grüner Strom vor allem verbraucht wird, wenn die Erneuerbare-Energien-Anlagen ihn erzeugen.

Zwänge sich beim Autoladen, Kochen oder Waschen einzuschränken wird es dabei nicht geben, so Penski. „Der Verbrauch wird zur Kostenfrage, nämlich wann er günstig oder ungünstig ist. Das ist eine wichtige Motivation.“

Frederik Penski (31) arbeitet als Projetingenieur der EWS für das Pilotprojekt "Bürgerkraftwerk"

Frederik Penski (31) arbeitet als Projetingenieur der EWS für das Pilotprojekt "Bürgerkraftwerk"

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Dass eine selbstbestimmte Energieversorgung auf klimafreundliche, dezentrale und bürgergetragene Art seinem Brötchengeber das Wasser abgräbt, lächelt Penski weg. „Wer an seiner Rolle als reiner Energieversorger festhält, wird verlieren. Doch es gibt Aufgaben im System, die Energieunternehmen übernehmen sollten. Dazu gehören Abrechnungen, Steuerung, viele Serviceleistungen.“ Penski: „Die meiste Arbeit bleibt bei uns, für den Kunden ändern sich nur Hardware und Vertrag.“

Die EWS stellt im Rebellenkraftwerk die umfangreiche und teure digitale Mess- und Regeltechnik, die viertelstündlich anhand von Wetter- und Verbrauchsprognosen einen zwei Tage vorausdenkenden Energiemanagementfahrplan aktualisiert. Mittelfristig sollen Elektromobilität, elektrische Wärmeerzeugung über Wärmepumpen oder Heizstäbe mit der Solarstromerzeugung zusammengeführt und somit die Energiesektoren Strom, Wärme und Verkehr flexibel gekoppelt werden.

Strom vom Nachbarn

Walter Falger öffnet auf seinem Handy eine App, in der er jederzeit sehen kann, wieviel Strom er gerade erzeugt, wieviel er verbraucht, wie hoch sein Speicherstand ist und wieviel Strom er gerade in die Community einspeist. Im vergangenen Jahr hat er 3900 Kilowattstunden (KWh) verbraucht und knapp 10.000 KWh abgegeben. Dafür erhält der Hobby-Imker Geld und Abnehmer der Gemeinschaft günstigen Strom.

In Zukunft wird es auch reine Konsumenten in den Stromgemeinschaften geben müssen, weiß Projektingenieur Penski. „Das wird zweifellos möglich sein, denn die regionalen Communities werden weitaus größer sein als 25 Teilnehmer. Wichtig ist allein die Absicherung der Netzstabilität.“

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Sharing-Befürworter glauben, dass regionaler Strombezug für Konsumenten an Bedeutung gewinnen wird. Nicht allein wegen der geringen Transportverluste. Strom aus der Nachbarschaft ist dann vielleicht genauso beglückend wie der Kauf von Eiern vom Bauernhof in der Nähe.

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Experten warnen Politik

Es gibt jedoch ein paar Haken. Energy Sharing ist seit 2019 europäisches Recht, das bis Mitte 2021 in den Mitgliedsstaaten umgesetzt sein sollte. In Deutschland ist das nicht geschehen, es steht aber im Koalitionsvertrag der Ampel. Es geht vor allem darum, Möglichkeiten und Grenzen solcher Gemeinschaften so klar zu definieren, dass solche Projekte aus der Pilotphase herauskommen und wirtschaftlich arbeiten können.

Derzeit ringen noch im Rahmen des sogenannten Osterpakets Ministerium und Bundestag um die Definition der Erneuerbaren-Energien-Gemeinschaft. Dabei geht es darum, wer dazu gehören darf, auch um Missbrauch auszuschließen, und welche Rechte sie haben. Entscheidend ist jedoch auch, welche Größe die Beteiligungsgebiete haben dürfen. Derzeit wird von den Grenzen von Kreisen und kreisfreien Städten ausgegangen. Praktiker warnen: So können die Projekte nicht wirtschaftlich werden.

Unklar ist auch, wie Sharing-Projekte finanziell angestoßen werden könnten. Über Stromnebenkostenreduktionen oder die Zahlung einer Prämie wie in Österreich oder über eine Förderung wie in Italien. Beides, räumt Viola Theesfeld vom Bündnis Bürgerenergie ein, funktioniert in der Praxis bislang noch nicht überzeugend.

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Bundesregierung unter Zeitdruck

Die Bundesregierung sitzt ein wenig in der Zwickmühle. Der deutsche Strommarkt muss durch die Schwerpunktverlagerung auf die erneuerbaren Energien neu designt werden und der Handlungsdruck ist enorm. Es steht viel auf dem Spiel und es geht um Milliardeninvestitionen. Und hierbei schaut die EU-Kommission ganz genau hin, ob auch alle Beihilferichtlinien eingehalten werden. Theesfeld erkennt das alles an. „Wir erwarten jedoch mehr Mut in Berlin.“

So sieht es Walter Falger auch, eine Dekade sei da verschlafen worden. „Irgendwann sollten wir aus dem Projektmodus raus und ins kalte Wasser springen.“ Wenn es nach den Stromrebellen geht, könnte es 2024 richtig losgehen, meint Ingenieur Penski. „Wir wären dann soweit.“

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