Länger leben und kürzer arbeiten passt nicht zusammen
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Fachkräfte werden in allen Branchen händeringend gesucht.
© Quelle: Stephanie Pilick/dpa/Illustration
Wenn ich auf die aktuelle Lage der Wirtschaft in Deutschland schaue, dann macht mir ein Thema noch größere Sorgen als die aktuelle Energiekrise, und das ist der Fachkräftemangel. Denn während sich die Energieversorgung hoffentlich bald wieder stabilisiert, bleiben die fehlenden Arbeitskräfte ein strukturelles Problem, das sich in Zukunft noch weiter verschlimmern wird.
Zuerst trifft der Fachkräftemangel viele Unternehmerinnen und Unternehmer, weil sie weniger Aufträge annehmen können und einen geringeren Gewinn erwirtschaften. Damit trifft er anschließend die gesamte Gesellschaft: Denn Unternehmen mit weniger Gewinn zahlen weniger Steuern, weniger Arbeitnehmende bedeuten ein Loch für die Sozialversicherungen, und viele Dienstleistungen stehen dann nur noch eingeschränkt zur Verfügung – wie etwa zurzeit in den Arztpraxen. Diese Probleme sind uns als Gesellschaft bewusst, doch wirklich handeln tun wir nicht.
Vielmehr befördern wir in Deutschland geradezu den Fachkräftemangel. Schauen wir uns einen der Treiber des Fachkräftemangels an: Mit ihrem Projekt der Rente mit 63 hat die SPD dafür gesorgt, dass wir viele kompetente und erfahrene Arbeitskräfte vorzeitig verlieren. Regelmäßig höre ich von Unternehmerinnen und Unternehmern, wie sie wichtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund der attraktiven Frührentenangebote nicht mehr halten können. Meist sehr gut ausgebildete Fachkräfte, die eigentlich noch weiterarbeiten könnten und oftmals auch wollen. Das Angebot der Rente mit 63 ist jedoch für viele zu attraktiv, als dass sie es ungenutzt verstreichen lassen.
Selbstverständlich hat jeder einen Anspruch auf seine Rente. Die Frage ist nur, zu welchem Zeitpunkt und wie wir mit immer mehr schwindenden Fachkräften unseren Sozialstaat zukünftig finanzieren wollen? Klar ist: Die Menschen bei uns leben immer länger – was ein großes Glück ist. Das bedeutet aber auch eine längere Zeit des Rentenbezugs. Und wieder entsteht die Frage nach der Finanzierung. Bisher war die Antwort klar: Die Steuerzahlerinnen und -zahler stemmen die Kosten. Genau darin steckt die Krux. Denn durch den Fachkräftemangel wird es ab jetzt immer weniger Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und weniger Einzahlende in die Rentenkasse geben. Die Frühverrentung verschärft also nicht nur den Fachkräftemangel, sie untergräbt auch den bisherigen Generationenvertrag. Schon heute muss eine immer kleinere Zahl von uns jungen Menschen immer höhere Rentenzahlungen stemmen. „Länger leben und kürzer arbeiten passt nicht zusammen“, wie Franz Müntefering (SPD) einmal zu sagen pflegte.
Bis dato war und ist das Thema Rente ein gefährliches Pflaster, auf das sich nur wenige Politikerinnen und Politiker trauen. Man will ja seine Wählerschaft nicht verärgern oder gegen sich aufbringen. Daher hat es mich optimistisch gestimmt, als Kanzler Olaf Scholz vor Kurzem so ehrlich war, das Problem der Frühverrentung offen anzusprechen. Doch konkrete Reformvorschläge fehlten leider völlig. Fazit: Reflexionsvermögen top, Machermentalität flop.
Wir brauchen die Beendigung der Rente ab 63 oder eine Reform, um die Sozialsysteme endlich demografiefest zu machen. Hier muss die Regierung im nächsten Jahr liefern, denn jeder Unternehmer und jede Unternehmerin weiß: Eine Analyse allein reicht leider nicht, man muss auch handeln, wenn man Probleme überwinden möchte. Anders gesagt: Die Ampel ist bereit, den Generationenvertrag zu brechen, ohne unserer jungen Generation eine Alternative anzubieten.
Sarna Röser ist Vorsitzende des Verbands Die jungen Unternehmer und designierte Nachfolgerin für das 1923 gegründete Familienunternehmen Zementrohr- und Betonwerke Karl Röser & Sohn GmbH in Baden-Württemberg. Sie schreibt immer mittwochs im wöchentlichen Wechsel über Transformation, Digitalisierung und den weiblichen Blick auf die Wirtschaft. Alle bisherigen Beiträge finden Sie hier.