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Fassungslosigkeit in Frankreich

Bahnstreiks ausgerechnet an Weihnachten: „So etwas hat es noch nie gegeben“

Ein landesweiter Warnstreik in Frankreich könnte an diesem Mittwoch (6. Juli) den Bahnverkehr behindern. Im TGV-Verkehr innerhalb Frankreichs werden einige Ausfälle erwartet, am stärksten betroffen sein werden IC-Verbindungen und der Regionalverkehr.

Im TGV-Verkehr innerhalb Frankreichs werden über Weihnachten etliche Ausfälle erwartet.

Die Hilferufe und Wutausbrüche französischer Nutzer in den sozialen Netzwerken häufen sich. „Kennt ihr jemanden, der in der Nähe des Bahnhofs von Mulhouse wohnt und meine Katze und mich am Freitagabend für ein paar Stunden im Warmen beherbergen würde?“, fragt eine Frau. Ihr gebuchter Anschlusszug falle aus, jetzt müsse sie einen späteren nehmen, aber fürchte sich davor, mit ihrem Tier stundenlang in einer kalten Halle zu warten.

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Ein Opa aus Südfrankreich klagt, dass er zum dritten Mal in Folge Weihnachten ohne seine Pariser Enkel verbringen werde – die letzten beiden Jahre wegen der Corona-Pandemie, jetzt aufgrund eines Streiks bei der französischen Bahn SNCF. Hunderte veröffentlichen E‑Mails, die sie über Zugausfälle informieren. „Merci, liebe Bahn, und wie komme ich jetzt am Montag in die Arbeit ins Pariser Krankenhaus Pompidou?“, fragt ein Arzt.

Zwei von fünf TGV-Schnellzügen fallen aus

Viele sind fassungslos darüber, dass eine große Zahl der französischen Zugbegleiter ausgerechnet vom 23. bis 26. Dezember die Arbeit niederlegen wird. Dadurch fallen am Weihnachtswochenende zwei von fünf TGV-Schnellzügen aus, und rund 200.000 von 800.000 Passagieren können nicht wie geplant ihre Reise antreten. Ihnen erstattet die SNCF die Tickets komplett und gibt zusätzlich Gutscheine in Höhe des Kaufpreises aus.

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Die streikenden Zugbegleiter lehnten das Angebot der Unternehmensleitung als unzureichend ab, das ihnen zusätzlich zu einer Erhöhung von 5,7 Prozent im Jahr 2022 insgesamt weitere 5,9 Prozent für 2023 garantiert hätte, Prämien mit eingerechnet.

„So etwas hat es noch nie gegeben“

Neu und ungewöhnlich an der Bewegung ist, dass sie nicht von den Gewerkschaften ausgeht, sondern von einer informellen Gruppe. Damit der Streik im legalen Rahmen bleibt, kündigten zwei Gewerkschaften diesen lediglich an, ohne zur Teilnahme aufzurufen. „Alles begann im Frühling mit einer Gruppenunterhaltung auf Whatsapp unter Zugbegleitern in Marseille“, sagte Olivier, einer der Initiatoren, in den französischen Medien. Daraus sei eine nationale Facebook-Gruppe entstanden, die inzwischen mehr als 3500 Mitglieder zählt und damit rund ein Drittel der SNCF-Zugbegleiter.

Da die Gewerkschaften ihre Interessen in den vergangenen Jahren nicht ausreichend verteidigt hätten, kämpften sie nun für sich selbst, so Olivier. SNCF-Chef Jean-Pierre Farandou sagte, er verstehe diesen „untypischen“ Streik nicht: „So etwas hat es noch nie gegeben.“

In der Regierung wecken diese Vorgänge böse Erinnerungen an die Protestbewegung der Gelbwesten, die im Herbst 2018 ebenfalls unabhängig von den traditionellen Arbeitnehmervertretern und lediglich über die sozialen Netzwerke entstanden war. Über Monate hinweg erschien sie unkontrollierbar, auch weil die Forderungen ihrer Mitglieder sehr vielfältig, ja diffus erschienen.

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“Gelbwesten“-Proteste in Paris.

Gelbwesten-Proteste in Paris.

Emmanuel Macron ist wütend

Beim Ministerrat am Mittwoch, seinem 45. Geburtstag, zeigte sich Präsident Emmanuel Macron seinem Umfeld zufolge wütend. Er habe das „völlige Fehlen von Empathie, Solidarität und Brüderlichkeit“ der Zugbegleiter beklagt und forderte Lösungen für die betroffenen Reisenden. Doch auch die zuständigen Minister können kaum mehr tun, als an das Gewissen der Streikenden zu appellieren. „Angesichts der Feiertage sollten sie Verantwortungsbewusstsein zeigen“, sagte Verkehrsminister Clément Beaune. Die Ausfälle werde das ohnehin verschuldete Staatsunternehmen „mehrere Hundert Millionen Euro“ kosten.

Dennoch sagte der Politikwissenschaftler Yves Crozet in der Zeitung „Le Figaro“, es gebe immer Menschen in Frankreich, die Verständnis für einen Bahnstreik haben – das sei kulturell: „Würden Sie Petitionen dagegen machen, würde keiner unterschreiben“, mutmaßte er. SNCF-Chef Farandou warnte die Zugbegleiter trotzdem davor, den Streik in einer Woche zu wiederholen: „Bestrafen Sie die Franzosen nicht zweimal“, sagte er mit Blick auf Silvester und Neujahr.

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