Der Feind könnte überall lauern: China weitet Anti-Spionage-Gesetz massiv aus
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Ein Blick in ein Büro: In China kann es aktuell (fast) jeden treffen. Das Anti-Spionage-Gesetz wurde massiv ausgeweitet.
© Quelle: picture alliance / NurPhoto
Peking. Seit Tagen bereits kursierten die Gerüchte, nun sind sie offiziell bestätigt: Die Sicherheitsbehörden in Shanghai haben eine Razzia in der Zweigstelle der US-Unternehmensberatung „Bain“ durchgeführt und dabei unzählige Laptops und Smartphones konfisziert. Einige Mitarbeiter sprachen gar von mehreren unangekündigten Besuchen berichtet.
Worum es in der Causa geht, ist bislang nicht an die Öffentlichkeit durchgesickert. Der betroffene Konzern hat lediglich mitgeteilt, dass man „mit den chinesischen Behörden kooperieren“ werde. Doch der Verdacht liegt nahe, dass die sich zuletzt häufenden Gängelungen gegen US-Unternehmen politisch motiviert sind.
Viel Spielraum für Willkür: China weitet Anti-Spionage-Gesetz aus
Und sie folgen just zu einem kritischen Zeitpunkt: Am Donnerstag hat der Ständige Ausschuss des Volkskongresses eine Überarbeitung des sogenannten „Anti-Spionage-Gesetz“ verabschiedet. Das Dokument sieht eine massive Ausweitung der Befugnisse der Staatssicherheit vor, die künftig leichter Razzien und Festnahmen ohne Gerichtsbeschluss durchführen kann.
Erstes Gespräch zwischen Xi und Selenskyj seit Beginn des Krieges
Chinas Präsident Xi Jinping hat erstmals seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert.
© Quelle: Reuters
Vor allem aber wird der Strafbestand der Spionage neu definiert: So sollen nicht mehr nur Staatsgeheimnisse geschützt werden; sondern sämtliche Dokumente oder Dateien, welche die „nationalen Interessen“ berühren. Letztere sind jedoch derart vage formuliert, dass sie den Behörden Spielraum für eine willkürlichen Anwendung geben. Jene Ambivalenz ist von der kommunistischen Partei gewollt: Sie kreiert eine diffuse Angst, die schlussendlich zu vorauseilendem Gehorsam führt. Niemand weiß schließlich, wo genau die roten Linien verlaufen.
Ausländische Unternehmen verunsichert
Das Gesetz verunsichert damit auch die in China tätigen, ausländische Unternehmen. Gewöhnliche Marktanalysen können möglicherweise als Spionage ausgelegt werden, Interviews mit westlichen Journalisten als Verstoß gegen die nationale Sicherheit gedeutet werden.
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„Diskussionen über zu viele oder zu wenige Menschen auf der Welt lenken von den eigentlichen Problemen ab“
Mehr als acht Milliarden Menschen leben auf der Erde. Bei manchen schürt diese Zahl Ängste. Zu viele Menschen seien schädlich fürs Klima, unter zu wenigen leide die Wirtschaft. Doch die wachsende Bevölkerung ist nicht der entscheidende Faktor für die Klimakrise, betont eine Expertin.
Europäische Unternehmen dürften vorerst nicht primär ins Visier der Behörden geraten, da die chinesische Regierung seit einigen Monaten eine regelrechte Charme-Offensive gegenüber ihren größten Handelspartner fährt. Doch sobald die politischen Beziehungen eskalieren sollten - etwa, wenn die deutsche Bundesregierung eine neue China-Strategie vorlegt -, dann könnte das Anti-Spionage-Gesetz eine willkommene Steilvorlage bilden, um zu ökonomischen Vergeltungsschlägen auszuholen.
Zuletzt mehrere Firmen betroffen – Prozesse hinter verschlossenen Türen
Dass es sich dabei nicht um unbegründete Paranoia handelt, zeigt eine ganze Liste an Beispielen: Im März traf es einen Mitarbeiter des japanischen Pharmakonzerns Astella, der wegen Spionage verhaftet wurde. Ebenfalls im selben Monat schlossen die Behörden das Pekinger Büro der US-amerikanischen Mintz Group, die sogenannte „Due Dilligence Prüfungen“ für Unternehmensverkäufe und Börsengänge durchführt. Sämtliche der fünf Angestellten in Festlandchina wurden wegen „rechtswidriger Geschäftstätigkeiten“ verhaftet. Zum Zeitpunkt der Verhaftung hatte das Unternehmen keinerlei Informationen darüber, dass überhaupt ein rechtliches Verfahren läuft.
Und da solche Prozesse – mit Hinweis auf die nationale Sicherheit – stets hinter verschlossenen Türen stattfinden und auch Diplomaten keinen Zugang erhalten, ist oftmals gar nicht ersichtlich, ob die Vorwürfe überhaupt begründet sind. Denn es ist mehr als auffällig, dass es nahezu immer Firmen aus denjenigen Ländern trifft, deren Beziehungen zu China kürzlich eskaliert sind.
Sicherheit ist Xi Jinpings Lieblinsschlagwort
„Sicherheit“ ist seit einigen Jahren bereits das wohl am häufigsten verwendete Schlagwort von Staatschef Xi Jinping, der damit gezielt innerhalb der Bevölkerung ein Gefühl der latenten Bedrohung forciert. Sowohl im Außen als auch Inneren kann jederzeit ein potenzieller Staatsfeind lauten, lautet die Botschaft. In Staatsunternehmen ist es längst Usus, die Belegschaft diffus vor ausländischen Spionen zu warnen. Auch ausländische Journalisten werden nicht selten von den Staatsmedien als potenzielle Geheimdienstmitarbeiter porträtiert.
Es ist ein schmaler Grat zwischen Sicherheitswahn und wirtschaftlichen Ambitionen: Gleichzeitig nämlich versucht die Regierung auch, die Handelsbeziehungen zum Ausland nach der ökonomisch katastrophalen „Null Covid“-Isolation aktiv zu fördern. Den wieder eintrudelnden Geschäftsdelegationen wird dieser Tage sprichwörtlich der rote Teppich ausgerollt, damit die großen Konzerne bloß nicht ihre Produktion von China nach Indien oder Südostasien abziehen.