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Markenprofessor über Kultgetränk und Comebacks

Aus nach 45 Jahren: Warum es Punica nicht mehr gibt – und wieso der Saft zurückkommen könnte

Der Saft wurde abgedreht: Die Produktion von Punica ist nach mehr als 40 Jahren eingestellt worden (Archivfoto).

Der Saft wurde abgedreht: Die Produktion von Punica ist nach mehr als 40 Jahren eingestellt worden (Archivfoto).

Hallo, Professor Errichiello, Punica gibt es nicht mehr. Nach 45 Jahren verschwindet die bundesweit bekannte Getränkemarke vom Markt. Ist das für Sie eine traurige Nachricht?

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(lacht) Da muss ich jetzt differenzieren. Für jemanden, der in den 70er- und 80er-Jahren aufgewachsen ist wie ich, ist das durchaus eine traurige Nachricht. Weil Punica tatsächlich mal zu meinem Alltag gehört hat. Punica hat man sich als Erfrischung geleistet, wenn man von der Schule kam. Als Markenwissenschaftler sieht man das Ganze wiederum eher emotionslos und sagt sich: Na ja, wenn Marken irgendwann mal nicht mehr gekauft werden, dann haben sie wahrscheinlich nicht mehr verstanden, den Geist der Zeit ins Tagesgeschäft zu integrieren.

Punica – war das für Sie ein Erfolgsmodell?

Durchaus. Punica war das, was man heute als Trendprodukt bezeichnet. Entstanden Ende der 70er-Jahre, wurde damit ein neues Segment im Getränkemarkt aufgebaut. Damals fing man an, aus den bis dato sehr langweilig und behäbig daherkommenden Säften etwas zu machen. Punica war von Anfang an eine sehr moderne, offene und trendangebende Marke, die nicht nur die Geschmacksvorstellung von Saft veränderte und sich damit an eine jüngere Zielgruppe wandte, sondern auch mit seinem Auftritt, mit seiner bunten und Zeichentrick verwendenden Werbung die Branche beeinflusst hat.

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„Der gesamte Getränkemarkt wurde massiv ausgeweitet“

Worin ist Ihrer Meinung nach das Ende begründet? Lag die Angebotspalette nicht mehr im Trend? Oder gab es Konkurrenten, die ein gefragteres Produktsortiment auf dem Markt hatten?

Natürlich entzieht sich kein Produkt den veränderten Konsumgewohnheiten der Menschen. Produkte sind immer auch eine Interpretation des Zeitgeistes. Sie drücken aus, was den Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr wichtig ist. Starke Marken verstehen, ihren sogenannten genetischen Code immer wieder an den Erfordernissen der Zeit auszurichten, sich aber dabei treu zu bleiben. Der erste VW Golf hat relativ wenig mit dem achten VW Golf zu tun, den man heute kaufen kann. Aber man merkt, dass sozusagen die Spezifik dessen, was dieses Auto ausmachte, auch weiterhin realisiert wird. Das Gleiche gilt prinzipiell auch für einen Fruchtsaft. Punica hat zu einem bestimmten Zeitpunkt eben den Gewohnheiten oder den Wünschen einer bestimmten Klientel entsprochen. Der gesamte Getränkemarkt wurde nun aber – wie fast alle Produkte des Lebensmitteleinzelhandels – in den letzten Jahrzehnten massiv in seiner Angebotsstruktur ausgeweitet.

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Man wird dann nur noch zu einem von ganz vielen Angeboten.

Beispiel Margarine. Ganz früher gab es vielleicht drei Sorten, heute sind es 20. Man hat quasi für jede Sorte Mensch und seine individuellen Bedürfnisse ein individuelles Produkt geschaffen. Ein Single um die 20 hat andere Bedarfe als eine Familie, in der fünf Personen zwischen fünf und 45 Jahren zusammenleben. Es kam in den letzten Jahrzehnten zu einer Explosion des Angebotes – in jedem Supermarkt liegen heute mehr oder weniger 20.000 unterschiedliche Artikel. Dadurch werden die Marktanteile aller Marken im Schnitt, verglichen mit früheren Zeiten, immer geringer. Konkurrenz ist aber nur eine Erklärung. Produkte fallen nicht aus der Zeit, weil sie plötzlich nicht mehr von ihrer Kundschaft gemocht werden. Meistens fallen sie aus der Zeit, weil die Marken vergessen haben, was eigentlich das Besondere an ihnen ist, und dieses Besondere nicht in die Gegenwart bringen. In der Markensoziologie spricht man von der Fähigkeit, sich als Marke „selbstähnlich anzupassen“. Und das ist Punica anscheinend nicht gelungen.

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„Es ist vollkommen falsch, jeden abholen zu wollen“

Das heißt, indem man auf zu viele Saftsorten setzt, dann auf viele Schorlen und Fruchttees und die Produktpalette zu sehr verbreitert, geht der Markenkern verloren?

Genau. Viele Unternehmen versuchen in diesen Zeiten, ihre bedrohten Marktanteile zu konservieren, indem sie sich anpassen, also jeder Gruppe ein Produkt bieten wollen, um irgendwie noch den kleinsten aller Märkte zu erreichen. Das ist ein strukturelles Problem – aber nur weil es alle machen, wird es noch lange nicht richtig. Gerade dann, wenn ich immer mehr um Wahrnehmung zu kämpfen habe, immer mehr Produkte konkurrieren, 8000 Werbebotschaften pro Tag prasseln, ist es vollkommen falsch, jeden abholen zu wollen. Richtig ist es, sich auf die Werte und auf die Produkte zu fokussieren, für die ich stehe. Nur so habe ich überhaupt noch eine Chance, in einem überaus unübersichtlichen Markt durchzukommen.

War das der Punica-Fehler?

Ich glaube, ja – das war der strategische Fehler. Man hat unter dem bekannten Namen Punica Schorlen und Tee und was sonst noch angeboten. Zum Schluss konnten sich die Menschen unter dieser Marke gar nichts mehr vorstellen.

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Spielten Gesundheitsaspekte womöglich eine weitere Rolle? Dass immer mehr Eltern ihren Kindern weniger Süßes zu trinken geben?

Natürlich hat man als Eltern ein Problem, wenn man seine Kinder heutzutage in der Schule oder im Kindergarten mit Süßem versorgt. Da wird man schon merkwürdig angeschaut, wenn das nicht den ungesagten Regeln dessen entspricht, was man als gute Eltern zu tun hat. Eine mögliche Strategie wäre für Punica gewesen, eine „gesunde“ Version des bunten, fröhlich-freudigen Produkts zu machen, das aber als Punica erkennbar wäre. Selbstähnlichkeit – sich den Gegebenheiten der Zeit in einem Rahmen anpassen, der typisch für mich ist. Strategie B wäre gewesen, der Marke und ihren Werten einfach treu zu bleiben und sich gar nicht nach Trends auszurichten. Damit man erkennbar bleibt.

„Ich sehe Potenzial für ‚ungesunde Produkte‘“

Also besser kein Bio-Punica.

Man denkt immer, alle kaufen jetzt Bio. De facto ist der Anteil der Bioprodukte im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland bei 10 Prozent. Das ist immer noch ein Minoritätenmarkt. Ich sehe also durchaus auch Potenzial für „ungesunde Produkte“. An wen wende ich mich damit? An die Eltern? Oder nicht doch lieber an die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen? Punica hätte bei seinen Leisten bleiben sollen.

Hat die Optik Teil am Erfolg oder Misserfolg?

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Es kommt dabei auf die Zeit an. Die Coca-Cola-Flasche ist inzwischen über 100 Jahre alt. Und bei Coca-Cola schert man sich einen feuchten Kehricht darum, was heute als Form oder Design „in“ ist. Irgendwann unterliegt eine Marke den Gewohnheitserfahrungen der Öffentlichkeit. Irgendwann kommt es auch gar nicht mehr darauf an, ob die Ästhetik gefällt oder nicht, sondern irgendwann hat eine Marke ihre unverwechselbare „Verpackung“. Auch im Fall Punica war die Flasche sehr besonders. Diese Flasche war von der Kundschaft „gelernt“. Wenn ich dann so etwas Gelerntes in einer Zeit des ständigen Wechsels austausche, vernichte ich buchstäblich Werte.

Was ist noch wichtig für andauernden Erfolg?

Das Logo. Die Werbeslogans. „Nichts ist unmöglich“ steht für Toyota – das weiß jeder. Eigentlich ein ganz grauenhafter, theoretisch auch für Opel und Mercedes einsetzbarer Spruch. Aber der schlechteste Werbespot wird gut, wenn ich ihn nur lang genug durchhalte. Dann ist er „gelernt“ und wird sofort mit dem Produkt in Verbindung gebracht.

„Produkte sind das Wohnzimmer der Seele“

Es gibt nicht nur Verschwinder- wie Punica, sondern auch Rückkehrermarken: Diverse Eissorten etwa wurden nach langer Auszeit ins Sortiment genommen – zum Beispiel das Karamelleis Brauner Bär. Der Fruchtsirup Tri Top tauchte auch wieder auf, und im orangefarbenen statt früher gelben Look ist jetzt auch der alte Erdnussklicker Treets wieder in den Süßwarenregalen – ein Vorläufer von M&Ms. Wie kommt es zu solchen „Auferstehungen“?

Produkte sind das Wohnzimmer der Seele, sagt man. Früher haben sich die Menschen sehr stark durch ihren Wohnort identifiziert, durch die Zugehörigkeit zur Kirche, zu bestimmten Milieus oder Berufen. Diese Aspekte sind schwächer geworden. Man redet nicht mehr so über Religionszugehörigkeit, jemanden auf seine Herkunft anzusprechen, gilt geradezu als verpönt. Indem wir nun bestimmte Marken kaufen, erzählen wir von uns selbst und wie wir gesehen werden wollen. Marken sind individuelle Erinnerungen – vom Auto, das die Eltern fuhren, als wir Kinder waren, bis hin zu dem, was damals auf dem Frühstückstisch stand. Und so haben manche Marken – gerade dann, wenn sie mit Kindheit oder Jugend zu tun haben – das Potenzial zum Emotionsträger. Und deswegen sind, so glaube ich, Menschen durchaus bereit – vielleicht mit einem Augenzwinkern –, ein Produkt zu vermissen. Weil damit auch ein Teil ihrer Identität, ihrer Geschichte in Gefahr gerät.

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Woher wissen die Marketingleute, dass etwas breit vermisst wird, dass die Zeit reif ist für das Comeback einer Marke?

(lacht) Man kann so etwas natürlich nicht genau prognostizieren. Aber gerade die Marken aus der Zeit der beginnenden starken Konsumbereitschaft in der Gesellschaft der 70er- und 80er-Jahre sind für Comebacks besonders prädestiniert. In dieser Zeit sind viele neue Marken entstanden, die gerade für Kinder und Jugendliche eine Rolle gespielt haben. Und Werbung ist damals tatsächlich noch bei der Masse angekommen, war auch noch nicht so hochgradig segmentiert wie heute. Die Menschen, die das als Kinder erlebt haben, schieben heute selbst die Einkaufswagen durch die Supermärkte und haben deshalb für Unternehmen eine besondere Kaufrelevanz.

Die werden dann mit Treets und Tri Top erfreut.

Genau. Und da spielt auch der sogenannte Retrotrend mit hinein. Da sieht ein noch erfolgreiches Produkt in der Jubiläumsverpackung aus wie vor 40 Jahren. „Kinderschokolade“ hat das gemacht.

Fanta kam in der nostalgischen braunen Riffelflasche, und Mannerschnitten gab es in rosa Blechdosen mit Uraltaufdruck.

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Das lohnt sich. Solche Aktionen werden auch von Medien wahrgenommen. Der PR-Erfolg ist damit quasi garantiert. Klar ist aber auch, dass man so etwas nicht beliebig oft machen kann.

Welche Rolle spielt der „historische“ Geschmack eines Produkts? Coca-Cola hat ihn mal geändert, und hat nach Protesten Classic Coke auf den Markt gebracht. Erdinger hat für die Urweiße ein Rezept aus den Anfangstagen der Brauerei verwendet.

Geschmack ist wichtig. Und es ist nicht so ratsam, damit zu spielen oder nach einer Erneuerung schnell wieder etwas zurückzunehmen. Es gibt diesen wunderbaren Spruch in der Soziologie: „Jede Innovation muss so schnell als möglich ‚denoviert‘ werden. Denn Menschen wollen nicht ständig etwas Neues. Neues bedeutet immer Anstrengung, bedeutet immer Unsicherheit. In den meisten Einkaufskörben ist vielleicht eins von zehn Produkten neu. Man hängt an vertrauten Waren – sie geben ein Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten von Corona und Krieg. Das DDR-Cola Vita-Cola schmeckte richtig nach Chemiekeule. Nach der Wende wollte das Unternehmen den Geschmack etwas gefälliger machen. Die Leute protestierten, der alte chemische Geschmack kehrte zurück.

„Man fährt nicht nur ein Auto, man fährt ein Lebensgefühl“

Designs kehren auch zurück. Der Beetle erinnerte an den VW Käfer, der Fiat 500 unserer Tage an die alte Fiat-Mücke aus den 60er-Jahren. Wollen Unternehmen damit aus dem Einheitsautolook ausbrechen oder zielen auch diese „Hommagen“ auf eine erinnernde Kundschaft ab?

Indem ich als Unternehmen an die alte Geschichte des Fiat 500 anknüpfe, arbeite ich mit Erinnerung: alle sehen diese kleinen Autos, denken an Italien, fühlen Dolce Vita und so weiter. Man fährt dann nicht nur ein Auto, sondern ein Lebensgefühl. Wenn ich so etwas Authentisches habe, ist das ein absoluter Wert in Zeiten der Austauschbarkeit.

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Könnte es Ihrer Meinung nach auch bei Punica eines Tages zu einem Comeback kommen?

Ja, das kann ich mir vorstellen. Die Markenbekanntheit von Punica ist ziemlich hoch, und ich glaube auch, dass mit der Marke Punica bestimmte Vorstellungen verbunden sind: Erfrischungsgetränk. Süßlich. Lecker. Aber ein Comeback wird es ausschließlich dann geben, wenn sich diese Marke auf ihre Ursprungsprodukte fokussiert und versucht, diese zunächst in einem kleinen Rahmen zu revitalisieren. Die Menschen müssen erst wieder dessen versichert werden, was Punica im Kern war.

Aber jetzt erst mal Rückzug. In der Rockmusik muss man vor dem Comeback auch erst einmal eine Weile weg sein.

So ist es. Damit sich die Irritationen der Kundschaft zerstreuen. Die Ausweitungen, die davor stattgefunden haben, geraten in Vergessenheit. Soweit ich weiß, hatte dieser Markt auch keine Skandale zu verzeichnen oder irgendwelche Vorgänge, die unredlich waren. Und so könnte man zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich noch mal überlegen, was denn die Gründungsidee von Punica war und dort ansetzen. Dann werden die Menschen diese Erinnerung sehr dankbar aufgreifen. Punica war schließlich Teil ihrer Lebensgeschichte.

"Neues bedeutet immer Anstrengung, bedeutet immer Unsicherheit": Markenexperte Professor Oliver Errichiello hält es für unabdingbar für dauerhaften Erfolg, dass Marken sich treu bleiben.

"Neues bedeutet immer Anstrengung, bedeutet immer Unsicherheit": Markenexperte Professor Oliver Errichiello hält es für unabdingbar für dauerhaften Erfolg, dass Marken sich treu bleiben.

Oliver Errichiello hat Sozioökonomie, Markensoziologie und Psychologie studiert und ist Experte für Werbe- und Markenstrategien, bekannt als „Der Markenprofessor“ und „Konsumphilosoph“. 2018 wurde er auf die weltweit erste Professur für Markensoziologie durch die Hochschule Mittweida berufen. Als Markenberater hat er in den letzten 20 Jahren mehr als 200 Unternehmen in 12 Branchen in Fragen der Marken- und Werbestrategie sowie der Positionierung unterstützt.

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