Kommt ein Finanzinvestor zum Arzt – und kauft die Praxis
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Blick ins Sprechzimmer einer Arztpraxis. In Stötteritz gründet das Diakonissenkrankenhaus ein neues Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ).
© Quelle: Monika Skolimowska/dpa (Symbolbild)
München. Arztpraxen werden für Finanzinvestoren offenbar immer attraktiver. „2022 hat trotz Zinswende einen neuen Höhepunkt gebracht“, sagt Aurora Li, die die Beteiligungsgeschäfte für den Verein Finanzwende untersucht hat. Obwohl die Entwicklung von den steigenden Zinsen gebremst wird, übernahmen Privatinvestoren im vergangen Jahr mehr Arztpraxen als je zuvor. Von 174 Käufen berichtet Li, nach 140 Akquisitionen im Jahr davor – und 21 Eigentümerwechseln im Jahr 2016.
Gemessen an Zehntausenden Arztpraxen in Deutschland sind das bescheidene Zahlen, aber klar ist, dass Praxiskonzerne an Bedeutung gewinnen: Li zufolge geht es um mehr als 174 gekaufte Praxen, denn auch ganze Verbünde seien übernommen worden. Es ist ein vielversprechendes Investment: Die Krankenversicherungen garantieren stete Einnahmen, die alternde Bevölkerung lässt zugleich die Nachfrage steigen.
Wichtige Vorsorgeuntersuchungen fallen unter den Tisch
Die Übernahme könne die Praxen aber auch schwächen, warnt Li: „Sie weisen fast alle einen außerordentlich hohen Verschuldungsgrad auf.“ Die Übernahmen seien zum Großteil fremdfinanziert, wobei dann oft Schulden auf erworbene Praxen übertragen würden. Diese zuvor wirtschaftlich gesunden Betriebe müssten teils über 10 Prozent ihrer Umsätze allein für den Schuldendienst aufbringen. Nun aber steigen Kreditzinsen stark an. „Das erhöht Pleiterisiken“, warnt Li.
Außerdem präge Gewinnstreben die Praxis. Operationen etwa gelten als Werttreiber, während wichtige, aber wenig rentable Vorsorgeuntersuchungen unter den Tisch fallen könnten. Solche Kalkulationen sind im Gesundheitswesen gang und gäbe. Wo aber Investoren 20 Prozent Rendite erwarten, bekommen sie noch deutlich mehr Gewicht.
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Ist eine Gebühr von 20 Euro in der Notaufnahme sinnvoll?
Patientinnen und Patienten klagen über lange Wartezeiten in der Notaufnahme, Ärztinnen und Ärzte über angebliche Lappalien, mit denen Menschen zu ihnen kommen. Jetzt werden die Stimmen lauter, die die Einführung einer Notaufnahmegebühr von 20 Euro fordern. Ist das der richtige Weg?
Die Hälfte aller Augenarztpraxen in Kiel gehört einem einzigen Konzern
Private Equity kauft sich deshalb gern gezielt in besonders lukrative Fachbereiche wie Augenheilkunde, Radiologie oder Zahnarztpraxen ein. Li beobachtet allerdings, dass auch die bisher als wenig lukrativ erachteten Allgemeinarztpraxen in den Blick rücken. Wenn Investoren zuvor schon Facharztpraxen gekauft haben, könnten die Allgemeinmediziner ihren Fachkollegen gezielt Patienten überweisen. Das führe dazu, dass in ersten Fällen regional bereits monopolartige Strukturen entstanden seien. So gehört in Kiel die Hälfte aller Augenarztpraxen zu einem einzigen Konzern.
„Es ist aber schwierig, Monopolstrukturen aufzudecken, weil ein Register zu Eigentumsverhältnissen für Arztpraxen fehlt“, sagt Li. Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fordern das bereits. Schon am Praxisschild sollten Eigentumsverhältnisse künftig ersichtlich werden, heißt es in einem jüngsten Bundesratsantrag der drei Bundesländer.
Ihre ehrgeizigen Renditeziele erreichen Investoren indessen auch durch Tricks, wie die Studie zeigt. So vergeben sie eigene Gesellschafterkredite an erworbene Arztpraxen. „Wir haben dafür Zinssätze von bis zu 18 Prozent errechnet“, sagt Li. Das Geld holen sich die Investoren ihrerseits weit günstiger von Banken. Vor allem aber werde beim Weiterverkauf kräftig abgesahnt. Oft kaufe ein weiterer Privatinvestor, dann beginne das Spiel von vorn.
Investoren und Medizinische Versorgungszentren
Insolvenzen mit Private Equity-Firmen sind über alle Branchen hinweg keine Seltenheit. So hat in Deutschland die Insolvenzquote bei Firmen, die von Investoren übernommenen wurden, zwischen 2012 und 2015 bei 17 Prozent gelegen. Ermittelt hat das 2020 eine Studie des Instituts für Arbeit und Technik. Heute stehen Arztpraxen im Fokus, weil die deutsche Versicherungspflicht dafür sorgt, dass Patientenrechnungen in aller Regel ohne Ausfallrisiko bezahlt werden. Alternde Bevölkerung lässt zudem die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigen. Begünstig wurde der Griff auf Arztpraxen 2004 durch das Modell Medizinischer Versorgungszentren (MVZ), die eine neue Form von Gesundheitseinrichtungen schuf. Seit 2012 können zwar nur Mediziner solche MVZ gründen. Investoren umgehen das aber, indem sie die nicht gründen, sondern kaufen. Oder sie erwerben ein Krankenhaus, das dann ein MVZ gründet. So entstehen nach und nach Praxiskonzerne. 2015 wurden dann fachspezifische MVZ erlaubt, also Zentren für einzelne Fachgebiete wie Augen- oder Zahnheilkunde, was Monopole begünstigt.
Bundeskartellamt soll eingreifen
So warnen die Autoren der Studie vor einer maximal profitorientierten Sichtweise auf Patienten. Li fordert deshalb rechtliche Schritte. „Anteile an Arztsitzen, die ein einzelner Praxiskonzern regional betreiben darf, könnten limitiert werden, um Monopole zu verhindern“, rät die Ökonomin. Dem Bundeskartellamt müsse es zudem ermöglicht werden, den Kauf von Arztpraxen zu untersagen. Die Fusionskontrolle erlaube das derzeit erst bei Firmen ab 17,5 Millionen Euro Umsatz, was einzelne Praxen in der Regel nicht erreichen.
Begünstig wurde der Griff nach Arztpraxen 2004 durch das Modell Medizinischer Versorgungszentren (MVZ), die eine neue Form von Gesundheitseinrichtungen schuf. Seit 2012 können zwar nur Mediziner solche MVZ gründen. Investoren umgehen das aber, indem sie die nicht gründen, sondern kaufen. Oder sie erwerben ein Krankenhaus, das dann ein MVZ gründet.
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Insbesondere bei MVZ leiden einer Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung auch die Beschäftigten: „Der Kostendruck wirkt sich negativ auf die Arbeitsbedingungen sowie die Vergütung der Beschäftigten in MVZ aus“, heißt es in einer jüngst veröffentlichten Studie. Die warnt, dass deshalb auch die ohnehin rar gesäten nicht ärztlichen Beschäftigten abwandern würden.