So etwas nennt man wohl eine Traumsaison: Die Hannover Scorpions haben in der Eishockey-Oberliga eine bislang überragende Spielzeit hingelegt und sich mit 52 Siegen aus 56 Partien die Meisterschaft der Staffel Nord gesichert. Dafür gab es zwar einen Pokal - es liegt aber im für den Eishockey-Sport typischen und auch beliebten Modus, dass damit noch nichts gewonnen ist. Denn nach der Beendigung der regulären Saison schließen sich die Play-offs an. In einer bis zu sechs Wochen langen Ausscheidungsrunde wird dann der Deutsche Oberligameister gekürt, der zugleich Aufsteiger in die DEL 2 ist. Für die Scorpions geht es also ab dem 17. März fast bei Null los - aber auch nur fast, denn als Nordmeister haben sie die bestmögliche Ausgangsposition und in jeder Runde den Heimvorteil (siehe Kasten). ,,In den Play-offs kann immer viel passieren. Wir sind auf jeden Fall bereit und haben jetzt die nötige Tiefe im Kader für möglichst lange Play-offs", sagt Scorpions-Sportchef Eric Haselbacher. Zuletzt verpflichtete er mit James Bettauer und Brock Maschmeyer noch zwei starke Verteidiger nach, die bereits ihr Können in höheren Ligen unter Beweis gestellt haben - wie so viele weitere Spieler im aktuellen Kader.
Scorpions-Sportchef
Einen Aufstieg in die zweithöchste deutsche Spielklasse wäre in diesem Frühjahr auch ziemlich passend. Denn bis 2013 spielten die Scorpions in der DEL, zogen sich aus der deutschen Eliteliga aber zurück und verkauften ihre Lizenz an die Schwenningen Wild Wings. Seitdem jagen die Scorpions in der drittklassigen Oberliga dem Puck hinterher, ein Aufstieg in die DEL 2 würde also genau zehn Jahre nach dem damaligen Rückzug ein Comeback auf bundesweiter Ebene bedeuten.


Scorpions klopften heftig ans Tor der DEL 2

Dass die Mellendorfer Play-offs können, zeigten sie in den vergangenen Saisons. In den Jahren 2018, 2019 und 2022 erreichte man jeweils das Halbfinale, 2020 wurden wegen der Corona-Pandemie nach der regulären Saison keine Play-offs ausgetragen. Ganz heftig ans Tor zur DEL 2 klopfte die Mannschaft des damaligen Trainers Tobias Stolikowski in der Saison 2020/2021. Das Team um Kapitän Alexander Heinrich erreichte das Finale, es kam gegen die Selber Wölfe zum entscheidenden fünften Spiel. Die Scorpions verloren mit viel Pech und mussten den Wölfen auf eigenem Eis zum Aufstieg gratulieren. Es hätte so schön gepasst zum Saisonende 2021 - ein Aufstieg exakt 25 Jahre, nachdem die damaligen ESC Wedemark Wildcats den Aufstieg in die DEL schafften und sich danach in Wedemark Scorpions umbenannten. Trainer damals wie heute: Kevin Gaudet.
Der sympathische Kanadier kam 1991 in die Wedemark und pflegt seitdem ein mehr als nur freundschaftliches Verhältnis zur Familie Haselbacher. 1994 übernahm der heutige Scorpions-Geschäftsführer Jochen Haselbacher den Vorsitz des ESC Wedemark, dem Vorgängerverein der Scorpions. In der Sommerpause 2022 kehrte Gaudet, nach zuvor diversen weiteren Stationen, nach Mellendorf zurück. ,,Wir haben immer eine gute Mannschaft gehabt. Aber es hatte etwas gefehlt - darum haben wir Kevin geholt. Er macht großartige Arbeit", sagt Jochen Haselbacher.
Gaudet-Team verliert nur vier Saisonspiele
Und die Arbeit des Coaches lässt sich an den Zahlen ablesen: Sein Team ging in 56 Partien nur viermal als Verlierer vom Eis. Die Scorpions holten 156 Punkte und erzielten satte 321 Tore. In allen Mannschafsteilen, angefangen von Torhüter Brett Jaeger über die Abwehrspieler bis zu den Stürmern, zeigten die Scorpions starke Leistungen. Herauszuheben sind jedoch die drei Ausländer, die pro Team erlaubt sind, bei den Mellendorfern. So belegte Angreifer Allan McPherson mit 30 Toren und 75 Vorlagen Platz eins in der Scorerwertung der Oberliga Nord - und das alles in nur 43 Spielen. Hinter ihm befindet sich mit Pascal Aquin (40 Tore, 61 Vorlagen) sein Mannschaftkollege. Brandon Alderson kommt als Siebter dieser Rangliste auf 37 Treffer und 42 Torbeteiligungen. Alle drei Kanadier verpflichtete Sportchef Eric Haselbacher in der vergangenen Sommerpause- und lag mit diesen Entscheidungen goldrichtig.
Scorpions-Trainer
Zuerst gegen den Achtbesten der Südstaffel
In der ersten Play-off-Runde treffen die Scorpions auf das achtbeste Team der Südstaffel, das jedoch noch ermittelt werden muss. ,,Ich bin sehr stolz, was die Mannschaft geschafft hat. Jetzt geht es darum, in den Play-offs Spaß zu haben", sagt Kevin Gaudet. Was ihm in den vergangenen Wochen weniger Spaß bereitete war die Tatsache, dass er wegen kranken und verletzten Spielern teilweise mit zwölf Feldspielern auskommen musste. ,,Bis zu den Play-offs werden wir trainieren, aber den Spielern auch Regeneration bieten. Ich gehe davon aus, dass es möglich ist, mit vier Reihen zu spielen."


Definitiv fehlen wird jedoch Ralf Rinke, der sich kurz vor dem Ende der regulären Saison einen Kreuzbandriss zuzog. Nach dem letzten Heimspiel der Vorrunde in der vergangenen Woche erhielten die Scorpions von Markus Schubert, beim Deutschen Eishockey-Bund in München der Chef der Oberliga, den Pokal für die Nordmeisterschaft überreicht. Scorpions-Kapitän Robin Just überließ Rinke, der im Rollstuhl aufs Eis geschoben und von den Fans gefeiert wurde, den Moment der Pokalentgegennahme.
Von Stephan Hartung