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Abstiegskampf mit dem FC Santos

Hoffnungsträger trotz Krise: Neymar und die schwierige Rückkehr in die Heimat

Es läuft wenig zusammen: Neymar kämpft mit dem FC Santos um den Klassenverbleib.
Es läuft wenig zusammen: Neymar kämpft mit dem FC Santos um den Klassenverbleib.

Hannover. Diese Szene ist ein Sinnbild für die aktuelle sportliche Situation von Neymar und seinem Klub FC Santos. Bei der 2:3-Niederlage gegen Flamengo vor einigen Tagen lief der Offensivspieler bei einem Abstoß seines Teams von der Mittellinie in den eigenen Strafraum, um diesen selbst auszuführen. Offenbar war der ehemalige Superstar nicht zufrieden mit dem Aufbauspiel seiner Mannschaft, wollte den Ball flach von hinten herausspielen. Das Nächste, was sein Mitspieler nach dem kurzen Anspiel Neymars tat, war allerdings, den Ball erneut lang nach vorne zu schießen. Neymar blieb kurzzeitig stehen – fassungslos, mit den Armen in die Hüfte gestützt.

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Es ist ein weiteres negatives Kapitel, das der immer noch teuerste Spieler der Welt bei seinem Jugend- und Herzensklub in der ersten brasilianischen Liga schreibt. Mit Santos schlittert der frühere 222-Millionen-Euro-Mann – nie wurde bei einem Wechsel mehr Geld für einen Fußballer ausgegeben – sogar der 2. Liga entgegen. Nach 32 von 38 Ligapartien steht der Traditionsverein, der 2023 erstmals abstieg, ein Jahr später aber wieder in Brasiliens Eliteklasse zurückkehrte, auf einem Abstiegsplatz.

Symbol der erneuten Krise: Neymar. Die Hälfte der Partien verpasste der schon seit seiner Zeit beim FC Barcelona und Paris Saint-Germain verletzungsanfällige Angreifer aufgrund von immer wieder auftretenden Oberschenkelproblemen. Schon zweimal musste der Rekordtorschütze der brasilianischen Nationalmannschaft aufgrund von Sperren zudem aussetzen. Nur drei Tore (kein Assist) gelangen dem 33-Jährigen. Die Fans beschimpften ihn nach schwacher Leistung gegen Flamengo von der Tribüne.

Rettungsanker Santos entpuppt sich als weiteres negatives Kapitel

Neymar steht in der Kritik. Dabei sollte der FC Santos der Verein sein, bei dem er seine Freude am Fußball wiederfindet. Anfang des Jahres wechselte Neymar nach einem eineinhalbjährigen, von Missverständnissen und Verletzungen geprägten Intermezzo bei Al-Hilal (Saudi-Arabien) zurück zu seinem Jugendklub. Bei seiner Vorstellung beim FC Santos sprach er damals von „einer Rettung - einer fußballerischen Rettung und einer Wärme der Fans“, die ihn zurückbrachte, „in die Jahre als ich 17, 18, 19 war“.

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Leistungsträger: Bei der WM 2014 führte Neymar seine Nation mit herausragenden Leistungen bis ins Halbfinale. Bei der 1:7-Niederlage gegen Deutschland in der Runde der letzten Vier fehlte er verletzt.
Leistungsträger: Bei der WM 2014 führte Neymar seine Nation mit herausragenden Leistungen bis ins Halbfinale. Bei der 1:7-Niederlage gegen Deutschland in der Runde der letzten Vier fehlte er verletzt.

Von dieser Wärme ist nach 15 Niederlagen in 32 Saisonspielen nicht viel übrig geblieben. In seiner Heimat hat Neymar in den vergangenen Jahren viel Kredit verspielt. „Die brasilianischen Fans sind allgemein enttäuscht von ihm“, sagt der brasilianische Sportjournalist Rodrigo Oliveira im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er arbeitet für den Radiosender Radio Gaucho und ergänzt: „Seit geraumer Zeit sorgt er eher mit Kontroversen, Social-Media-Auftritten und Verletzungen als mit seinen fußballerischen Leistungen für Schlagzeilen.“

Hätte er seine gesamte Karriere mit der gleichen Disziplin wie Ronaldo trainiert, wäre er mit Sicherheit mindestens einmal der beste Spieler der Welt gewesen.

Rodrigo Oliveira, brasilianischer Journalist

Fellipe Camargo berichtet in Brasilien unter anderem auf seinem YouTube-Channel „De Olho no Peixe“ über den FC Santos und schließt sich seinem Kollegen an. Er erklärt gegenüber dem RND: „Neymar durchlebt zweifellos eine der schwierigsten Phasen seiner Karriere. Seine Muskelprobleme machen es ihm schwer, regelmäßig zu spielen.“ Dennoch: „Wenn er spielt, ist seine Qualität überdurchschnittlich.“ Allerdings müsse Neymar, so der Journalist, „körperlich fit sein, um das zu zeigen.“ Das allerdings sei aufgrund seiner Verletzungen nur schwer möglich. Sage und schreibe drei Jahre ist es her, dass der Champions-League-Sieger von 2015 und Olympiasieger von 2016 mehr als sieben Pflichtspielpartien am Stück absolvierte.

Brasilianischer Journalist: Neymar hätte der beste Spieler der Welt sein können

Das liegt laut Oliveira auch an Neymars Einstellung. „Meiner Ansicht nach hatte er das Potenzial, ein ähnliches Niveau wie Cristiano Ronaldo und Lionel Messi zu erreichen. Hätte er seine gesamte Karriere mit der gleichen Disziplin wie Ronaldo trainiert, wäre er mit Sicherheit mindestens einmal der beste Spieler der Welt gewesen.“ Allerdings habe es Neymar vorgezogen, so Oliveira, „das Leben zu genießen, anstatt sich voll und ganz dem Ziel zu widmen, ein Weltklasse-Athlet zu werden“.

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Die beiden Journalisten glauben dennoch daran, dass der wohl talentierteste brasilianische Fußballer seiner Zeit noch einmal wichtig werden kann – sowohl in den letzten sechs Saisonspielen für den FC Santos als auch für die Nationalmannschaft, für die er letztmals im Oktober 2023 auflief.

Das große Ziel Neymars ist es, die WM 2026 zu spielen. „Wenn er fit ist und Höchstleistungen als oberstes Ziel verfolgt, kann er uns auf dem Weg zum sechsten WM-Titel anführen“, sagt Oliveira. Camargo meint: „Wenn Neymar in der ersten Hälfte des Jahres 2026 verletzungsfrei bleibt, wird er bei der WM dabei sein. Coach Carlo Ancelotti hat mehrfach betont, dass ein Neymar mit hundertprozentiger Fitness wichtig werden kann.“

Zunächst einmal wird die Konzentration Neymars aber darauf liegen, mit dem FC Santos die Klasse zu halten. Immerhin ist er nach einer Oberschenkelverletzung, die ihn von Ende September bis Ende Oktober außer Gefecht setzte, wieder einsatzbereit. Der Saison-Endspurt beginnt in der Nacht zum Sonntag (1 Uhr, MEZ). Die Herausforderung könnte größer kaum sein. Der FC Santos trifft auf den Tabellenführer Palmeiras. Und die Fans des FC Santos werden darauf hoffen, dass sich Neymar nicht erneut dazu gezwungen fühlt, einen Abstoß selbst auszuführen.