„Sanktionsfieber des Westens“: Putins Rede in Wladiwostok - im Osten nichts Neues
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KB62RCNWWFDLVFLZQ267U5HYWM.jpg)
Der russische Präsident Wladimir Putin bei einem seiner selten gewordenen öffentlichen Auftritte bei einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Moskau. Angekündigt war die Ansprache für 15 Uhr Ortszeit, doch als sich Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok auf die Bühne begab, war es 17.01 Uhr, in Mitteleuropa hatte der Tag an diesem Mittwoch da gerade erst begonnen. Der russische Präsident ist bekannt dafür, seine Zuhörer öfters warten zu lassen, offenbar mit dem Kalkül, die eigene Bedeutung zu betonen.
In dem Fall eröffnete die Plenarsitzung des Wirtschaftsforums aber wohl aus organisatorischen Gründen mit Verspätung. Denn eine ganze Reihe von Staatsrepräsentanten musste zusammengetrommelt werden. Bei diesem Forum geht es um Russlands Interessen im asiatischen und pazifischen Raum. So saßen neben dem Gastgeber Putin die Vertreter Chinas, Indiens, Malaysias, Vietnams, Armeniens sowie der Mongolei in weißen Sesseln vor dem Auditorium. Min Aung Hlain, den Militärdiktator Myanmars, der von den meisten Staaten der Welt nicht als Regierungschef seines Landes anerkannt wird, hatte der russische Präsident zuvor wie einen Staatsgast empfangen.
Putins Eingangsrede war mit Spannung erwartet worden. Denn die Kampfhandlungen in der Ukraine, die die Volkswirtschaften sowohl in Westeuropa als auch in Russland erschüttern, dauern nun schon länger als ein halbes Jahr an, und es war angekündigt worden, dass sich der Kremlchef dazu äußern würde: „Natürlich wird er erneut die Entwicklung unserer Wirtschaft in der jetzigen Phase bewerten“, hatte sein Sprecher Dmitrij Peskow am Vortag wissen lassen.
Sachliche Auseinandersetzung ist nicht zu erwarten
Ganz so selbstverständlich, wie es Peskow hinstellt, sind solche Erklärungen Putins seit der militärischen Eskalation in der Ukraine nicht mehr. Die Rede zur Lage der Nation, die üblicherweise im Frühjahr zu erwarten ist, fiel in diesem Jahr bislang ebenso aus wie die TV-Bürgersprechstunde im Sommer.
Insofern müssen sich Beobachter bei ihrer Deutung des russischen Präsidenten mit dem begnügen, was er ihnen bei seinen seltener gewordenen Reden anbietet. So wie beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg im Juni oder eben jetzt beim Östlichen Wirtschaftsforum am Pazifik.
Gegen Waffen und Sanktionen: Hunderte Teilnehmer bei prorussischen Protesten in Köln
Am Rande der Demonstration protestierten zahlreiche Menschen gegen die prorussische Kundgebung.
© Quelle: Reuters
Allerdings ist eine sachliche Auseinandersetzung mit den entstandenen Problemen vom russischen Präsidenten derzeit nicht zu erwarten. In einer Zeit, in der die Waffen sprechen, geht es ihm vor allem um die Bestätigung der eigenen Position. Schon in Sankt Petersburg hatte er den „wirtschaftlichen Blitzkrieg“ des Westens angesichts der Sanktionspakete der EU und der USA für gescheitert erklärt.
„Sanktionsfieber des Westens“
Ins selbe Horn stieß er nun auch in Wladiwostok: Der Westen habe versagt, sagt er, weil der vergebliche und aggressive Versuch, Russland mit Sanktionen zu isolieren, die Weltwirtschaft zerstöre, während Asien aufsteige und die Zukunft für sich beanspruche. Die Sanktionen kämen einer wirtschaftlichen Kriegserklärung gleich.
„Ich spreche vom Sanktionsfieber des Westens mit seinem dreisten, aggressiven Versuch, anderen Ländern Verhaltensmodelle aufzuzwingen, sie ihrer Souveränität zu berauben und sie ihrem Willen zu unterwerfen“, wetterte der Kremlchef.
In dem Versuch, sich dem Lauf der Geschichte zu widersetzen, untergraben die westlichen Länder die wichtigsten Pfeiler des über Jahrhunderte aufgebauten Weltwirtschaftssystems.
Wladimir Putin,
russischer Präsident
„In dem Versuch, sich dem Lauf der Geschichte zu widersetzen, untergraben die westlichen Länder die wichtigsten Pfeiler des über Jahrhunderte aufgebauten Weltwirtschaftssystems“, kritisierte Putin die USA und die EU und fügte hinzu, dass das Vertrauen in den Dollar, den Euro und das Pfund Sterling abnehme.
„Ausfälle können nicht durch chinesische Alternativen kompensiert werden“
Ob er das an dem derzeit starken Rubel festmacht, dessen Außenwert mancher Beobachter in Zukunft schwinden sieht, verriet der russische Präsident nicht, so wie seine Ausführungen insgesamt sehr an der Gegenwart ausgerichtet waren.
Die Meinung etwa, dass der Versuch des Westens schon jetzt als vergeblich anzusehen sei, Russland mit wirtschaftlichen Sanktionen zu isolieren, teilt sogar manch russischer Ökonom nicht. So äußerte sich zum Beispiel Ruben Enikolopow, früherer Rektor der „New Economic School“ in Moskau in einem Meinungsbeitrag für das unabhängige Nachrichtenportal „Meduza“ kürzlich pessimistisch in Bezug auf Russlands künftige Produktionskapazitäten.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/CNFTDWJXGZB4LL52JEKY6LZQ4U.jpg)
Das Entlastungspaket und die Tücke im Detail: Der wichtigste Punkt ist noch offen
Wie dämmt die Regierung die Energiepreise ein? Sie weiß es noch nicht. Der Grund dafür ist komplex, die Umsetzung der 65-Milliarden-Euro-Pläne eine Herausforderung. Derweil sorgt ein Tweet von Justizminister Buschmann für Aufsehen.
Derzeit sei der Regelbetrieb in den Fabriken noch gegeben, schrieb er, weil die Maschinenparks noch funktionierten: „Aber wenn die Anlagen aufgrund des ganz normalen Verschleißes in großen Mengen ausfallen, ist es höchstwahrscheinlich nicht möglich, dies auszugleichen. Dies kann nicht durch chinesische Alternativen kompensiert werden, da es sich um abweichende Technologien handelt.“
Auch die Turbine wird einmal mehr bemüht
Immerhin räumte Putin an dem Punkt Probleme ein. In einigen Branchen und Regionen gebe es in seinem Land Schwierigkeiten. So hätten Unternehmen zu kämpfen, die auf Zulieferungen aus Europa angewiesen seien, sagte er.
Dennoch erwarte Russland in diesem Jahr einen Haushaltsüberschuss von 0,5 Billionen Rubel (8,18 Milliarden US-Dollar), während das Bruttoinlandsprodukt um 2,0 bis 2,5 Prozent zurückgehen werde, so der russische Präsident.
Putin ging in seiner Rede auch auf die Gegensanktionen ein, die Russland inzwischen wohl als Antwort auf die Strafmaßnahmen des Westens gegen diesen erhoben hat, ohne sie so zu benennen. Der Stillstand von Nord Stream 1 sei durch die westlichen Repressalien begründet. Der russische Energiekonzern Gazprom könne den ausgesetzten Gasfluss durch die Röhre wiederherstellen, wenn eine entscheidende Turbine zurückgegeben werde, gab Putin zum wiederholten Mal zu Protokoll. Dass Russland die Annahme der Turbine verweigert, die Deutschland seit Juli liefern will, sagte er nicht.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QFMEBKKOQRAVZN6FFIATFYC434.jpeg)
Die Turbine hat für viel Diskussion gesorgt. Erst war deren Lieferung diplomatisches Thema, danach forderte Gazprom immer neue Dokumente.
© Quelle: Bernd Thissen/dpa
Kämpfe in der Ukraine: „Stärkung unserer Souveränität“
Auch könne Nord Stream 2 „bei Bedarf“ in Betrieb genommen werden, so Putin: „Wir bauen nichts umsonst.“
Bei allen anderen Konfliktthemen, die derzeit im Raum stehen, gab sich der Kremlchef ebenfalls unversöhnlich: Die Kämpfe im Nachbarland Ukraine, die auf seinen Befehl hin ausgelöst wurden, verteidigte er erneut als angeblich notwendig zum Schutz Russlands. „Ich kann sagen, dass der hauptsächliche Zugewinn die Stärkung unserer Souveränität ist – und das ist ein unweigerliches Ergebnis dessen, was gerade passiert“, sagte er und fügte hinzu: „Wir haben (dadurch) nichts verloren und werden nichts verlieren.“ Den Vorwurf, sein Land verstoße gegen das Völkerrecht, wies er zurück: Die ukrainische Regierung sei ein „illegitimes Regime“, das 2014 nach einem „Putsch“ an die Macht gekommen sei.
Der Ukraine warf er zudem vor, die nukleare Sicherheit Europas zu gefährden, indem sie das von russischen Truppen besetzte Kernkraftwerk im südukrainischen Saporischschja beschieße. Er vertraue einem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die das Kraftwerk vergangene Woche besucht hatte. Dabei pochte der russische Präsident darauf, dass Russland keine militärische Ausrüstung in der Anlage habe. IAEA-Chef Rafael Grossi hatte nach seiner Inspektion Saporischschjas allerdings gefordert, dass die dort vorhandenen Militärfahrzeuge entfernt werden müssten.
Forderungen nach Sicherheitszone um Atomkraftwerk in Saporischschja
Als ersten Schritt müssten beide Seiten sich dazu verpflichten, keine militärischen Aktivitäten in Richtung des AKW oder von dort aus zu unternehmen.
© Quelle: Reuters
„Die Entwicklungsländer werden hintergangen“
Putin gab dem Westen auch die Schuld für mögliche Probleme auf den weltweiten Lebensmittelmärkten, die für viele Menschen katastrophale Auswirkungen haben könnten. Russland habe alles getan, damit die Ukraine Getreide exportieren könne, betonte er. Doch das Korn gehe nicht in die ärmsten Regionen der Welt, sondern in die EU. „Die Entwicklungsländer werden hintergangen.“ Mit einer solchen Herangehensweise werde „das Ausmaß der Ernährungsprobleme in der Welt nur zunehmen“, sagte der Kremlchef. Er warnte vor einer „beispiellosen humanitären Katastrophe“.
Was es mit dieser Aussage auf sich hat, ist schwer nachvollziehbar: Das erste Frachtschiff aus der Ukraine legte in Istanbul an. Weitere Schiffe gingen unter der Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei zum Beispiel nach Äthiopien. Was Putin meinte, als er sagte, er wolle mit der Türkei über eine Änderung des Abkommens sprechen, wird sich insofern noch zeigen müssen.
Ansonsten sparte der russische Präsident nicht mit generellen Angriffen auf den Westen. Die dortigen Eliten dienten nicht mehr ihren Wählern, empörte er sich: „Sie opfern ihren Wohlstand und ihre Industrie auf Befehl Washingtons.“
Im Osten nichts Neues, kann man da wohl nur sagen.
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter