E-Paper
Russlands Nachbar geht auf Distanz

Wie Putin seinen Verbündeten Kasachstan vergrault

Kassym-Schomart Tokajew, amtierender Präsident von Kasachstan, begrüßt Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung. Gut drei Monate nach dem überraschenden Machtwechsel in Kasachstan will sich Kassym-Schomart Tokajew am 10.06.2019 offiziell zum Präsidenten wählen lassen. +++ dpa-Bildfunk +++

Kassym-Schomart Tokajew, amtierender Präsident von Kasachstan, begrüßt Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung. Gut drei Monate nach dem überraschenden Machtwechsel in Kasachstan will sich Kassym-Schomart Tokajew am 10.06.2019 offiziell zum Präsidenten wählen lassen. +++ dpa-Bildfunk +++

Artikel anhören • 6 Minuten

Almaty. Aus Sicht des Kreml ist die mangelnde Unterstützung, die Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Verbündeten Kasachstan erfährt, eine der bittersten Enttäuschungen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Dabei war es Russland, das im Januar 2022, also Wochen vor Beginn des Ukraine-Krieges, dem kasachischen Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew sprichwörtlich die Haut rettete. Dem Regime waren nach Protesten, die sich zu einem Aufstand auszuweiten drohten, die Kontrolle über die Hauptstadt Astana und andere wichtige Zentren des Landes entglitten. Die Sicherheitsorgane waren kollabiert.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nur mithilfe einer „Friedenstruppe“ des von Russland angeführten Militärbündnisses OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) konnten die Unruhen befriedet werden. Offizielle Angaben gehen von 225 Getöteten und 4300 Verletzten aus.

Über 7600 Kilometer gemeinsame Grenze

Heute betont Kasachstan seine Eigenständigkeit, die Regierung ist deutlich zu Putins Krieg auf Distanz gegangen. Ein Drahtseilakt, denn Russland und Kasachstan teilen sich nicht nur eine über 7600 Kilometer lange Grenze, zudem sind knapp 24 Prozent der fast 19 Millionen Einwohner Kasachstans ethnische Russen, die vor allem in den Gebieten des neuntgrößten Flächenstaates der Erde wohnen, die an Russland Grenzen.

Zudem gehen fast 80 Prozent des kasachischen Exporte nach Russland, gleichzeitig beträgt der Anteil Kasachstans beim russischen Import 50 Prozent.

Nicht einmal die Hälfte spricht Kasachisch

Der Einfluss Russlands ist also gewaltig – politisch, ökonomisch, aber eben auch sprachlich. Einer offiziellen Statistik zufolge spricht nicht einmal die Hälfte der Einwohner Kasachstans im täglichen Leben Kasachisch, das mittlerweile neben Russisch Amtssprache ist. Fast jeder fünfte Bürger kann die Turksprache überhaupt nicht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Menschen wie der Lehrer Alexej Skalosubow wollen das ändern: „Wollen Sie tanzen?“, fragt er auf Russisch, während sich Dutzende Menschen an einem regnerischen Frühlingsnachmittag in Kasachstans größter Stadt Almaty versammelt haben, um ihre eigene Landessprache zu lernen.

Lehrer Alexej Skalosubow (links) unterrichtet Kasachisch in einer Sprachschule in der Stadt Almaty.

Lehrer Alexej Skalosubow (links) unterrichtet Kasachisch in einer Sprachschule in der Stadt Almaty.

„Und wie sagen wir das nun auf Kasachisch?“, fragt er in die Runde. Vor ihm sitzen Junge und Alte, Männer und Frauen. Eine ältere Dame hat ihren Enkel mitgebracht. Gleich mehrere Hände schnellen in die Luft. „Sisdin bi bileginis kele me“, beantwortet ein Kursteilnehmer die Frage richtig.

Russlands Krieg in der Ukraine hat sich sehr auf die Stimmung hier ausgewirkt.

Alexej Skalosubow,

Kasachisch-Lehrer

„Russlands Krieg in der Ukraine hat sich sehr auf die Stimmung hier ausgewirkt“, sagt der 21-Jährige. „Er hat auch viele Fragen aufgeworfen: Was sind wir für ein Volk? Was haben wir für eine Zukunft? Könnten wir uns auch irgendwann in einer solchen Situation wiederfinden wie die Ukraine?“ Der Entschluss zum Kasachisch­lernen sei also für viele auch eine Art Protest.

Seinen kostenlosen Sprachclub „Batyl Bol“, was auf Deutsch so viel bedeutet wie „Sei mutig“, hat Skalosubow im April 2022 gegründet. Knapp zwei Monate vorher hatte Kremlchef Wladimir Putin den Einmarsch in die Ukraine angeordnet. Der Andrang bei „Batyl Bol“ war gewaltig, erinnert sich Skalosubow, innerhalb von wenigen Tagen registrierten sich mehrere Hundert Menschen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Mittlerweile gibt es das Angebot in mehreren kasachischen Städten. Zu den Teilnehmern zählen in erster Linie russischsprachige Kasachen. Aber auch Ausländer sind dabei – etwa Russen, die vor einer Einberufung in die Armee geflohen sind und sich nun in ihrer neuen Heimat integrieren wollen.

Vor allem zu Beginn des Krieges sei die Sorge groß gewesen, dass ein so imperialistisch auftretendes Russland theoretisch auch Kasachstan überfallen könnte, sagt der Politologe Dimasch Alschanow im Interview. „Gerade ethnische Kasachen haben Angst.“

Wir müssen uns um sie kümmern und für ihre Sicherheit sorgen.

Kassym-Schomart Tokajew,

Kasachstans Präsident

Kasachstans Präsident Tokajew hieß die russischen Flüchtlinge im Land herzlich willkommen: „In den letzten Tagen kamen viele Menschen aus Russland zu uns. Die meisten von ihnen sind aufgrund der derzeitigen aussichtslosen Lage gezwungen, das Land zu verlassen. Wir müssen uns um sie kümmern und für ihre Sicherheit sorgen“, sagte er damals.

Drohung mit einem „Ukraine-Szenario“

Russland reagierte ungehalten. Im Umgang mit dem südlichen Nachbarn wurde medial ein Ton angeschlagen, der an den Umgang mit der Ukraine vor der Invasion erinnerte: Die ganze ehemalige Sowjetunion sei historisch gesehen russisch, hatte Präsident Wladimir Putin im Juni 2022 in einer Diskussion am Rande des Petersburger Wirtschaftsforums gesagt. Offen widersprach ihm der kasachische Autokrat Tokajew – es glich einem Affront.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der bekannte russische Propagandist und Putin-Vertraute Tigran Keosajan drohte Kasachstan daraufhin offen mit einem „Ukraine-Szenario“.

Kassym-Schomart Tokajew, Präsident von Kasachstan.

Kassym-Schomart Tokajew, Präsident von Kasachstan.

Tokajew versucht seitdem einen Spagat: In einer Rede vor Bürgern der Stadt Schymkent bekundete er, Kasachstan werde alle Anstrengungen unternehmen, um die Beziehungen zum Verbündeten Russland aufrechtzuerhalten. Aber auch die Partnerschaft mit der Europäischen Union stehe im Vordergrund, fügte er hinzu.

Für einen weiteren Krieg militärisch nicht gewappnet

Mittlerweile hat sich die Unruhe etwas gelegt – weil Moskau, das in der Ukraine etliche Niederlagen einstecken musste, in den Augen der Kasachen ganz offensichtlich für einen weiteren Krieg militärisch nicht gewappnet wäre, so der Experte Alschanow.

Doch auch abseits des Ukraine-Kriegs finden viele Kasachen, dass es längst Zeit ist für eine Stärkung ihrer nationalen Identität – und für eine Abkehr vom starken Einfluss des großen Nachbarn Russland.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die kasachischsprachigen können in der Regel Russisch, aber die russischsprachigen können kein Kasachisch.

Alexej Skalosubow,

Kasachisch-Lehrer

Es sei doch absurd, dass so viele Jahre nach der Unabhängigkeit noch immer quasi jeder Kasache Russisch könne, aber nur ein Teil die eigentliche Landessprache, meint Lehrer Skalosubow. „Die kasachischsprachigen können in der Regel Russisch, aber die russischsprachigen können kein Kasachisch.“

Diese „sprachliche Kluft“ müsse auch deshalb überwunden werden, damit die kasachische Gesellschaft als Einheit auftreten könne, ist er überzeugt.

RND/dpa/stu

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken