Von Lichtenhagen bis Chemnitz: Hier tobte der rechte Mob
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Immer wieder demonstrieren Rechtsextreme gegen Asylheime.
© Quelle: dpa
Chemnitz. Chaoswochenende statt idyllisches Stadtfest in Chemnitz: Nach einer Messerattacke verstarb am Wochenende ein junger Mann. Die rechte Ultra-Fußballvereinigung Kaotic Chemnitz nahm den Mord zum Anlass, über das soziale Netzwerk Facebook zu einer Versammlung aufzurufen.
Sie endete in einer Hetzjagd auf vermeintliche Migranten und Polizisten. Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) zeigte sich entsetzt über die Vorfälle. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass sich ein wütender rechter Mob bildet und seiner politischen Überzeugung durch Taten Ausdruck verleihen will.
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Rostock-Lichtenhagen August 1992
Die massivsten rassistisch motivierten Ausschreitungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fanden 1992 in Rostock-Lichtenhagen statt. Sie werden auch als Pogrom bezeichnet.
Anlass: Zwischen dem 22. und dem 26. August versammelten sich über 1000 Rechtsextreme, um gegen die Aufnahmestelle und ein Wohnheim von Asylbewerbern zu demonstrieren.
Ablauf: Die Aufnahmestelle musste wegen der Unruhen evakuiert werden. Das angrenzende Wohnheim steckten die Demonstranten mit Molotowcocktails in Brand. Es befanden sich noch 100 Vietnamesen im Wohnheim. Da die Polizei zeitweise kapitulierte, waren sie sich völlig selbst überlassen, konnten sich aber retten.
Konsequenz: Die Asylbewerber erhielten keinerlei Entschädigung. Sie wurden nach langem Hin-und Her in eine ehemalige Kaserne der Grenztruppen der DDR in der Gemeinde Nostorf östlich von Hamburg untergebracht.
Rostocks Oberbürgermeister Klaus Kilimann trat im November 1993 zurück, ebenso Innenminister Lothar Kupfer. Polizeioberrat Jürgen Deckert, der polizeiliche Einsatzleiter während der Ausschreitungen, wurde an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung nach Güstrow versetzt. Die Ermittlungs-und Strafverfahren gegen sie wurden eingestellt.
Gegen 257 Personen wurden Verfahren vor dem Landgericht Rostock eröffnet, die meisten sind aber wieder eingestellt worden.
Nur 40 Jugendliche wurden 1993/94 wegen Landfriedensbruchs und Brandstiftung meist zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Elf von ihnen erhielten Jugendhaftstrafen von bis zu drei Jahren, von denen sieben auf Bewährung ausgesetzt wurden.
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Vor einem brennendem Trabi wirft ein Randalierer in Rostock-Lichtenhagen am 26.8.1992 Steine auf Polizisten.
© Quelle: Zentralbild/Archiv
Nachahmungstaten in 40 Wohnheimen
Das Pogrom dieser Tage führte zu einer Reihe von Nachahmungstaten. In der Woche nach den Ausschreitungen von Lichtenhagen bewarfen Neonazis 40 Wohnheime mit Brandsätzen und Steinen und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei.
In Mecklenburg-Vorpommern griffen Rechtsextreme in den folgenden Tagen die Asylbewerberheime in Wismar, Rostock-Hinrichshagen, Lübz und Neubrandenburg und Greifswald an.
In Wismar kam es zwischen dem 15. und dem 20. September zu sechstägigen Ausschreitungen vor dem Asylbewerberheim, die wie in Lichtenhagen den Beifall der Anwohner fanden.
Auch danach kam es beinahe täglich zu Überfällen. Asylbewerberheime in Güstrow, Ueckermünde, Kröpelin, Schwarzendorf (Kreis Malchin), Schwerin, Wismar und Retschow sind teilweise mehrfach im September mit Molotow-Cocktails angegriffen worden.
Freital bei Dresden seit 2015
Anlass: Am 22. Juni 2015 protestierte eine rechte Bewegung mit über 1500 Demonstranten in Freital gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in einem ehemaligen Hotel.
Ablauf: Sie belagerten den Gebäudekomplex. Später bildete sich aus dieser Gruppe die Bürgerwehr Freital (auch Bürgerwehr FTL/360 oder Gruppe Freital). In Freital und Dresden kam es nach den Protesten wiederholt zu Sprengstoffanschlägen auf Asylunterkünfte und linke Politiker.
Konsequenz:
Die Bundesanwaltschaft ermittelte gegen deren Mitglieder wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Sieben Männer und eine Frau wurden wegen unterschiedlicher Anschläge festgenommen und im November 2016 angeklagt. Alle bekamen Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren verhängt.
Die beiden Rädelsführer wurden zu neuneinhalb und zehn Jahren Haft verurteilt.
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Polizeikräfte kesseln in Heidenau etwa 100 Rechte ein.
© Quelle: dpa
Heidenau August 2015
Ablauf: Bei dem Protestzug wurden ausländerfeindliche Transparente und rechtsextreme Symbolik wie die Flagge des Deutschen Reiches gezeigt. Vor dem Privathaus des Bürgermeisters Jürgen Opitz (CDU) in der Ringstraße beschimpften die Demonstranten diesen als "Volksverräter"
Etwa 600 Demonstranten fanden sich vor der geplanten Erstaufnahmeeinrichtung ein und bewarfen Polizeibeamte mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern und Baustellenmaterial.
Konsequenz: Insgesamt wurden 41 Ermittlungsverfahren geführt. In 22 Fällen ist Anklage erhoben worden, unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Drei Demonstranten zwischen 20 und 32 Jahren sind zu Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden. Doch die meisten mussten nur eine Geldstrafe zahlen oder das Verfahren wurde gänzlich eingestellt.
Von Josefine Kühnel/RND