USA ohne Trump: Steinmeier besucht das gute alte Amerika

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede im Goethe-Institut in Boston.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede im Goethe-Institut in Boston.

Boston. Es ist eine politische Rarität und deshalb ein besonderes Ereignis, wenn ein deutscher Bundespräsident offiziell die Vereinigten Staaten besucht und dort eine Rede zum Zustand des transatlantischen Verhältnisses hält. Trotzdem kann man nicht sagen, dass Frank-Walter Steinmeier seine Beschreibung der deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Ära Trump in Watte packt, als er sich am Donnerstagabend (Ortszeit) in Boston an das erlesene Publikum wendet.

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Im Gegenteil: Schon im ersten Satz der zentralen Rede seiner dreitägigen Reise nach Neuengland spricht Steinmeier unumwunden aus, dass derzeit die „Differenzen das Alltagsbild der transatlantischen Beziehungen sehr viel mehr bestimmen als das, was uns verbindet“. Es sei „nicht mehr selbstverständlich“ für die US-Regierung, sich in „echter Partnerschaft und Freundschaft in gegenseitigem Respekt“ zu begegnen. In einer klaren Anspielung auf den US-Präsidenten verweist er auf den Schuldigen, der den „täglichen Fokus auf Tweets und Tiraden“ ziehe und immer wieder Empörung auslöse – die jedoch „so erwartbar wie fruchtlos“ bleibe.

Der Name Donald Trump taucht in der Rede jedoch ebenso wenig auf wie in Steinmeiers Besuchsprogramm: um die Aufmerksamkeit nicht schon wieder auf den Streit um Handel und Rüstung zu lenken. Steinmeiers Reise hat andere Ziele: „Gerade wenn in der Politik das Trennende überwiegt“, sagt er in seiner Ansprache, „brauchen wir die kulturellen, die wissenschaftlichen, die zivilgesellschaftlichen Bindungen umso dringender.“

Anlass für Reise: Das Ende des „Deutschlandjahres“

So ist der offizielle Anlass des Besuchs das Ende des „Deutschlandjahres“ in den USA, dessen Schirmherr Steinmeier ist und das er bereits als Außenminister mit initiierte: Der transatlantische Austauschmarathon erreichte mit 2000 Veranstaltungen in allen 50 Bundesstaaten mehr als 1,3 Millionen Amerikaner – nach eigenen Angaben „gerade auch im Herzen der USA“, wo im Gegensatz zur Ostküstenmetropole Boston die Trump-Wähler leben.

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Dennoch hält Steinmeier seine Rede, wie im Mai erst Angela Merkel nach der Verleihung der Harvard-Ehrendoktorwürde, hier in der Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturmetropole, zur Wiedereröffnung des zwei Jahre lang sanierten, heute mit 52 Jahren ältesten Goethe-Instituts der USA.

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Ein USA-Besuch ist für ein deutsches Staatsoberhaupt ohnehin keine Selbstverständlichkeit, weil es diplomatisch kein US-Pendant auf Augenhöhe gibt. So hatte es 18 Jahre gedauert, bis nach der Einladung von Roman Herzog durch Bill Clinton erst Joachim Gauck zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit einen Termin im Weißen Haus ergatterte, 2015 bei Obama. Für Steinmeier ist es der zweite USA-Besuch als Bundespräsident, erneut ohne Trump-Treffen.

Dass er einen Termin beim US-Präsidenten bekommen hätte, darf auch bezweifelt werden, nachdem der Deutsche, seinerzeit noch als Außenminister, den seinerzeit wahlkämpfenden Trump als „Hassprediger“ bezeichnete – und nachdem sich das deutsch-amerikanische Verhältnis noch rasanter verfinstert hat als sowieso befürchtet.

In Boston wendet sich der Bundespräsident ausschließlich an das andere Amerika: jenes, das sich als Leuchtturm der liberalen Demokratie sah und deshalb die Nazis mit niederschlug und das zumindest Westdeutschland danach eine neue Chance gab; das Amerika der Luftbrücke; das der Präsidenten von Kennedy bis Bush senior, die die deutsche Teilung überwinden halfen. „Diesem Amerika“ sei Deutschland „tief verbunden“, sagt Steinmeier: „Und wir bleiben es! Danke, Amerika!“

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„Es gibt keine Demokratie ohne Amerika.“

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Auch das sei Ziel des Besuchs: den USA im 30. Jahr des Mauerfalls Dankbarkeit zu zeigen, die gemeinsame Geschichte zu würdigen und für eine gemeinsame Zukunft zu werben. Für beides gelte: „Es gibt keine Demokratie ohne Amerika.“

In der Vergangenheit steht dafür der US-Unabhängigkeitskrieg, der 1775 bei Lexington ausbrach, wo Steinmeier vormittags eine historische Aufführung der „Freiheitskämpfer der ersten Stunde“ besucht – dafür steht aber auch die Liste der Emigranten, die vor den Nazis flohen: von Bauhaus-Gründer Walter Gropius, dessen als Museum gezeigtes Wohnhaus Steinmeier am Morgen besucht, bis zu Zwölftonkomponist Arnold Schönberg, dessen „Verklärte Nacht“ am Abend das Leipziger Gewandhausorchester gemeinsam mit dem Schwesterorchester Boston Symphony Orchestra aufführt.

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Für die Zukunft ruft Steinmeier zur Rückkehr zur engen Partnerschaft auf – die ihm nicht selbstverständlich erscheint, so wie er Trump nicht als Episode ohne Folgen sieht.

Dass das nicht seine einsame Einschätzung ist, zeigt eine hochkarätige Expertendiskussion am Donnerstagmorgen, die sich um „Populismus und Polarisierung“ dreht: auf beiden Seiten des Atlantiks. Die deutsch-amerikanisch besetzte Runde aus Politologen, Soziologen und Diplomaten ist sich in der Analyse in vielen Punkten einig: die wachsende Komplexität der Welt als Ursache für die Flucht in Zuspitzung und simple Wahrheiten; die Anfälligkeit der offenen Demokratie, die ja Bewegungen aus dem Wahlvolk nicht abwürgen wolle; die postfaktische Medienwelt. Aber die Runde wirkt auch etwas ratlos.

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Das deutsche Staatsoberhaupt klingt am Abend bisweilen alarmistisch, wenn er als „die große Frage unserer Zeit das Ringen um Demokratie und Freiheit“ bezeichnet und „die Gefährdungen der Demokratie“ nicht nur in autoritären Staaten ausmacht, sondern „mitten unter uns, hier in den USA und auch in Europa“. Wozu Steinmeier aufruft, ist, dass diejenigen zusammenhalten müssen, die an Demokratie und Partnerschaft glauben – „egal, wer gerade im Weißen Haus regiert“. Von der US-Ostküsten-Elite in Boston gibt es dafür viel Applaus.

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