Verteidigungsminister Pistorius will die Rüstungsindustrie ins Boot holen
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Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Truppenbesuch in Altengrabow (Sachsen-Anhalt).
© Quelle: Getty Images
Berlin/Altengrabow. Der neue Verteidigungsminister machte am Donnerstag auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow (Sachsen-Anhalt) da weiter, wo er am Vortag nach der Sitzung des Verteidigungsausschusses und in den ARD-„Tagesthemen“ aufgehört hatte. Der „Zielkonflikt“ einer gleichzeitigen Militärhilfe für die Ukraine und einer besseren Ausstattung der eigenen Streitkräfte könne nur zusammen mit der Rüstungsindustrie gestemmt werden, sagte Boris Pistorius bei seinem Antrittsbesuch. „Das Ziel muss sein, dass wir schnellere, nachhaltige und anhaltende Wiederbeschaffungswege und -zeiten haben.“ Vermutlich schon in der nächsten Woche wolle er darüber mit der Rüstungsindustrie sprechen.
Der SPD-Politiker greift damit eine Debatte auf, die bereits seit Längerem geführt wird. So sprach der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, davon, dass Deutschland eine „Art Kriegswirtschaft“ brauche. Der Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, fordert selbiges für die EU. Der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hatte die Vokabel im vorigen Jahr bemüht. Zuletzt stellte er fest: „Die Ukraine verschießt pro Tag so viel Munition, wie wir in einem halben Jahr produzieren.“
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Wohin geht es mit der „stärksten Rüstungsindustrie in Europa“?
Kaputte Panzer, fehlende Munition – genug Geld für die Ausrüstung der Bundeswehr ist da, doch die deutschen Waffenhersteller kommen nicht hinterher. Das liegt auch an der komplizierten Beziehung zwischen Politik, Industrie und Streitkräften.
Knappe Munition
Der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München sagt: „Ich würde es nicht Kriegswirtschaft nennen. Denn Kriegswirtschaft bedeutet ja, die gesamte Volkswirtschaft auf die Kriegsbedürfnisse auszurichten. Das klingt zwar knackig, ist aber unsinnig.“ Es gehe ja nicht darum, Leute aus anderen Wirtschaftszweigen abzuziehen und in die Rüstungsproduktion zu stecken.
Tatsächlich hatten dies im Zweiten Weltkrieg viele Staaten getan – mit dem Ergebnis, dass die Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland und seine Verbündeten obsiegten. Trotz mancher Eskalationsrisiken, die der Ukraine-Krieg birgt, sind sich die meisten Expertinnen und Experten einig, dass Europa sich heute nicht in einer vergleichbaren Lage befindet.
Der Ukraine-Krieg reißt Lücken
Klar ist aber ebenso, dass der Ukraine-Krieg Lücken reißt. Zunächst entstehen Lücken, weil Deutschland und andere Länder Waffen aus Beständen ihrer Truppen abgeben, wie jetzt beim Kampfpanzer Leopard, dessen Lieferung an die Ukraine erst am Mittwoch offiziell bekannt gemacht wurde. Die Bundeswehr kann diesen Materialverlust nicht ohne Weiteres ausgleichen. Ferner entstehen Lücken, weil die auf Auslandseinsätze getrimmten Streitkräfte plötzlich wieder können müssen, worauf sie vor 1989 trainiert waren: das sogenannte Gefecht der verbundenen Waffen gegen einen Aggressor an Land. Dies erfordert andere Systeme – nicht zuletzt die erwähnten Panzer. Munition muss ebenfalls wieder her, und das in großem Stil.
Die Munitionsfrage wurde Ende November diskutiert. Es gab einen Munitionsgipfel auf Beamtenebene, und zwar im Kanzleramt. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil erklärte seinerzeit an die Adresse von Rheinmetall, Krauss-Maffai Wegmann und anderen: „Abzuwarten und zu sagen, erst mal gucken wir, was die Politik uns bietet, das ist keine Haltung, mit der wir jetzt erfolgreich diese Defizite abbauen werden.“ Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Hans Christoph Atzpodien, erwiderte, die Bundesregierung habe ja bisher kaum etwas bestellt.
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Neue Töne zwischen Politik und Rüstungsindustrie
Nun gibt es neue Töne. Pistorius mahnte in Altengrabow wechselseitige Planungssicherheit an. Dies gelte bei der Politik für die Aufträge, bei Lieferzeiten stehe die Wirtschaft in der Verantwortung. Insbesondere beim Thema Munition gehe es um die „Mengenfrage“. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, sprach von Anschubfinanzierung und Abnahmegarantien. Atzpodien stellte seinerseits „kurzfristige Gespräche über verlässlichere Nachschub- und Nachbeschaffungswege“ in Aussicht.
Der Politologe Carlo Masala sagt, man müsse „die deutsche Rüstungsindustrie auf die Kriegssituation ausrichten. Dazu muss der Staat Geld in die Hand nehmen und der Rüstungsindustrie eine Perspektive geben. Das ist eine dringliche Aufgabe des neuen Verteidigungsministers“.