Zu Haftstrafe verurteilt: Erdogan-Rivalen Ekrem Imamoglu droht das politische Aus
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Der Bürgermeister von Istanbul und mögliche Erdogan-Herausforderer Ekrem Imamoglu.
© Quelle: picture alliance / AA
Istanbul. Ein Gericht in Istanbul hat am Mittwoch den Oberbürgermeister der Bosporusmetropole, Ekrem Imamoglu, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Damit droht dem populären Politiker, der als Herausforderer von Staatschef Recep Tayyip Erdogan bei der Präsidentenwahl im nächsten Jahr gehandelt wird, ein Verbot jeder politischen Betätigung – wenn das Urteil rechtskräftig wird. Erdogan hätte damit einen gefährlichen Gegner ausgeschaltet.
Die Staatsanwaltschaft warf Imamoglu vor, die Mitglieder der obersten Wahlbehörde beleidigt zu haben. Es geht dabei um die Kommunalwahl in Istanbul vom März 2019. Bei dem Urnengang konnte sich Imamoglu als Oberbürgermeisterkandidat der größten Oppositionspartei CHP mit einem Vorsprung von knapp 14.000 Stimmen gegen Binali Yildirim von der Regierungspartei AKP durchsetzen, einen ergebenen Getreuen von Staatschef Erdogan. Bis dahin hatte die AKP 25 Jahre lang ununterbrochen die größte Stadt der Türkei regiert.
Für Erdogan war der Wahlausgang auch eine persönliche Niederlage: Er betrachtet Istanbul als seine Stadt. Hier begann er 1994 mit der Wahl zum Oberbürgermeister seine politische Karriere. „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, hatte Erdogan noch vor der Wahl erklärt. Obwohl Imamoglu bereits als neues Stadtoberhaupt vereidigt worden war, annullierte der Oberste Wahlrat YSK am 6. Mai 2019 die Wahl – auf massiven Druck Erdogans, wie es heißt. Doch das ging nach hinten los: Bei der Wiederholungswahl am 23. Juni konnte Imamoglu seinen Vorsprung auf 800.000 Stimmen ausbauen.
Imamoglu werden Chancen bei der Präsidentenwahl eingeräumt
In der Anklageschrift heißt es, Imamoglu habe die Mitglieder des Wahlrechts wegen der Annullierung als „Idioten“ bezeichnet. Was nicht in der Anklage steht: Die Äußerung hat eine Vorgeschichte. Als Imamoglu sich bei einer Veranstaltung des Europarats über die Annullierung der Wahl beschwerte, bezeichnete ihn der türkische Innenminister Süleyman Soylu als „Idioten“. In einem Fernsehinterview darauf angesprochen, erwiderte Imamoglu, Idioten seien jene, die die Wahl annullierten. Wegen „Beleidigung des Obersten Wahlrats“ forderte deshalb die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren für Imamoglu.
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Imamoglus Anwälte wollen gegen das Urteil Einspruch einlegen. Der Oberbürgermeister könnte im Amt bleiben, bis ein Berufungsgericht über den Fall entschieden hat und das Urteil rechtskräftig ist. Wie lange das dauern kann, ist ungewiss.
Dem 52-jährigen Imamoglu werden Chancen eingeräumt, bei der Präsidentenwahl im kommenden Juni gegen Erdogan zu gewinnen. Ob er antritt, ist aber noch unklar. Die CHP, der Imamoglu angehört, hat sich mit fünf kleineren Oppositionsparteien zu einem Wahlbündnis gegen Erdogan zusammengeschlossen. Bisher konnten sich sechs Parteien aber noch nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen.
Erdogan bestimmt seit 20 Jahren die Geschicke der Türkei, zunächst als Premierminister und seit 2018 als Staatspräsident mit einer Machtfülle, wie sie kein anderer Staatschef in der westlichen Welt besitzt. Viele Menschen in der Türkei, aber auch Regierungen in den Partnerländern der Türkei, setzten anfangs große Hoffnungen auf Erdogan. Er gab sich als Reformer, versprach mehr demokratische Rechte und eine Annäherung an die Europäische Union. Aber in den vergangenen zehn Jahren entwickelte sich Erdogan mehr und mehr zu einem autokratischen Herrscher, der die demokratischen Grundrechte immer weiter einschränkt, die Justiz gängelt und seine Kritiker unnachsichtig verfolgt.