Streit um Nato-Beitritt: Warum Schweden und Finnland keine Eile haben
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Wollen in die Nato: Ulf Kristersson (links), Ministerpräsident von Schweden, und Sanna Marin, Ministerpräsidentin von Finnland.
© Quelle: Anders Wiklund/TT News Agency/AP
Recep Tayyip Erdogan bleibt hart. Seit Monaten blockiert der türkische Präsident in Ankara den Nato-Beitritt Schwedens – trotz der offensichtlichen Bedrohung der skandinavischen Länder durch Russland. In den vergangenen Tagen hegte die Regierung in Stockholm zwar die leise Hoffnung, mit der prompten Erdbebenhilfe mehr Milde in der Türkei zu erreichen, doch vergebens.
So weit geht die Dankbarkeit in der internationalen Diplomatie nicht. Und es hilft auch nichts, dass die Regierung in Stockholm den türkischen Forderungen nach einem härteren Vorgehen gegen kurdische Terroristen in ihrem Land bereits weit entgegenkommt. Erst kürzlich hat sie ein Gesetz vorgelegt, das mehr Aktivitäten militanter kurdischer Gruppen unter Strafe stellen soll.
Das sollte doch nun genügen, sagte auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, selbst Norweger, als er am Donnerstag in Ankara auf eine zügige Ratifizierung des Nato-Beitritts von Schweden und Finnland drängte. „Bis jetzt haben wir noch nicht die konkreten Schritte gesehen, die wir sehen wollen,“ entgegnete ihm der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu.
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Besonderen Anstoß nimmt die Türkei daran, dass ein schwedischer Rechtspopulist in Stockholm öffentlich einen Koran verbrennen durfte – gedeckt von der Meinungsfreiheit. Die Aktion hatte in weiten Teilen der islamischen Welt für Empörung gesorgt, und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wetterte daraufhin: „Wenn ihr der türkischen Republik oder dem religiösen Glauben der Muslime keinen Respekt zollt, dann könnt ihr von uns in Sachen Nato auch keine Unterstützung bekommen.“ Zuletzt wurde spekuliert, dass der Rechtpopulist womöglich von russischer Seite zu der Koranverbrennung angestiftet wurde – um ebenjenen Keil in die Nato zu treiben.
Die meisten Beobachter sind überzeugt, dass Erdogans eigentliche Motive für die Blockadehaltung in der Innenpolitik liegen. Im Mai soll die Türkei eigentlich das Parlament und den Präsidenten neu wählen, und Erdogans Umfragewerte lassen eine Niederlage möglich erscheinen. Mit seinen Tiraden gegen Schweden kann er sich bei seiner religiös-nationalistischen Stammklientel als Vorkämpfer des Islam profilieren.
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan empfängt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
© Quelle: IMAGO/APAimages
Daher ist auch kaum damit zu rechnen, dass Erdogan vor dem Ende des türkischen Wahlkampfs seine Haltung ändert. Alle Hoffnungen richten sich deshalb schon jetzt auf den nächsten Nato-Gipfel im Juli. Spätestens dann, im litauischen Vilnius, will das Bündnis den Beitritt der beiden skandinavischen Neuzugänge verkünden. Doch auch dieser Termin wackelt. Denn möglicherweise will Erdogan das Erdbeben zum Vorwand nehmen, um den für ihn gefährlichen Wahlgang zu verschieben. Bis auf Weiteres bleibt die Norderweiterung der Nato also ein schwebendes Verfahren.
Für die Nato ist das ärgerlich und sendet die falschen Signale, gerade an Russlands Präsident Wladimir Putin, der sich bei jedem Riss in der Allianz ins Fäustchen lacht. Zudem war bereits in den ersten Diskussionen um den Nato-Beitritt der beiden Länder darüber nachgedacht worden, dass die Zeit vom Beitrittsgesuch bis zum tatsächlichen Nato-Beitritt eine neuralgische Phase werden könnte, da Schweden und Finnland zwar Partei ergreifen, aber nicht durch die Nato-Beistandspflicht geschützt sind.
Alles andere als schutzlos
Doch auch ohne Mitgliedschaft in der Nato sind Schweden und Finnland nicht schutzlos. Tatsächlich haben beide Länder seit ihren Beitrittsgesuchen bilaterale Sicherheitsgarantien von mehreren Nato-Staaten erhalten – als Überbrückungslösung bis zur Vollmitgliedschaft.
Am weitesten ging Großbritannien. Bereits im Mai vergangenen Jahres unterzeichnete der damalige Premier Boris Johnson mit Schweden und Finnland gegenseitige Sicherheitsgarantien. Die Länder versprechen sich darin, im Falle eines Angriffs einander beizustehen, „auch mit militärischen Mitteln“.
Nicht ganz so umfangreiche Zusagen kamen im selben Monat von den USA, sowohl an Finnland als auch an Schweden. Die damalige schwedische Außenministerin Ann Linde wollte nicht ins Detail gehen, behauptete aber, von den Amerikanern eine Sicherheitsgarantie bekommen zu haben – „keine konkreten“, die bekomme man nur als vollwertiges Nato-Mitglied, aber solche, die eine russische Bedrohung gegenüber Schweden „nicht ohne Antwort“ lassen würden. Derzeit verhandeln Schweden und Finnland über eine vertiefte Verteidigungskooperation mit den USA, die wohl auch schriftliche und formalisierte Sicherheitsgarantien enthalten sollen.
Auch Norwegen, Dänemark und Island haben sich öffentlich zur Verteidigung der beiden Nato-Kandidaten bekannt. Ebenfalls im Mai vergangenen Jahres veröffentlichten die Premierminister der drei skandinavischen Länder ein gemeinsames Statement. Darin heißt es: „Sollten Finnland oder Schweden zum Opfer eines Verbrechens auf ihrem Territorium werden, bevor sie die Nato-Mitgliedschaft erhalten haben, werden wir Finnland und Schweden mit allen nötigen Mitteln unterstützen“.
Dank dieser Sicherheitspakte könne Finnland beim Nato-Beitritt geduldig sein, sagte der finnische Außenminister Pekka Haavisto vergangene Woche in Helsinki. So sieht es offenbar auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Mitte Januar erklärte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos, Finnland und Schweden seien heute in einer ganz anderen Lage als vor ihrer Nato-Bewerbung. Denn seither „haben mehrere Bündnispartner, darunter die Vereinigten Staaten, bilaterale Sicherheitsgarantien erteilt und die Nato hat ihre Präsenz in diesem Teil Europas verstärkt.“ Die beiden Beitrittskandidaten würden an Beratungen der Nato teilnehmen und seien mehr und mehr in deren militärische Strukturen integriert. Es sei daher „absolut undenkbar, dass es eine militärische Bedrohung gegen Finnland oder Schweden gibt, ohne dass die Nato reagiert.“
Nicht nur bilateral, sondern auch multilateral sind Schweden und Finnland abgesichert. Die beiden Länder seien „bereits heute eingebettet in eine komplexe Sicherheitsarchitektur,“ erklärt Nato-Experte Göran Swistek von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). So hätten Schweden, Finnland und Norwegen zusammen die Nordic Defense Cooperation ins Leben gerufen, die inzwischen zu einer vertieften Sicherheitskooperation erweitert worden sei.
Bilaterale Garantien und regional begrenzte Kooperationsformen sind natürlich kein Ersatz für den Schutz in einem kollektiven Verteidigungspakt. Wären Schweden und Finnland Nato-Mitglieder und würden sie als solche angegriffen, träte automatisch der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags in Kraft – der attackierte Staat könnte dann auf den Beistand von 31 Partnern zählen, die untereinander interoperabel sind. Mit „Interoperabilität“ bezeichnen Fachleute die Fähigkeit verschiedener Systeme, auf technischer und organisatorischer Ebene nahtlos zusammenzuarbeiten.
„Das ist ein ganz wichtiger Aspekt“, erklärt Swistek. „Das fehlt bei den jetzigen bilateralen und multilateralen Vereinbarungen. Man kann nicht über mehrere Länder hinweg interoperabel agieren.“ Hinzu komme, dass in der Nato gleich mehrere Schwergewichte an Bord seien: „Man hat Amerika oder auch Frankreich und Großbritannien als Nuklearmächte in der Nato. Das ist noch einmal eine ganz andere Abschreckungskomponente.“
„Virtuelle“ Nato-Mitglieder
Nichtsdestotrotz: Schweden und Finnland sind seit Jahrzehnten eng mit den Nato-Strukturen verwoben. Bereits 1994 traten beide Länder der Nato-Partnerschaft für Frieden bei. In der Folgezeit beteiligten sich schwedische und finnische Truppen an den Einsätzen der Allianz in Afghanistan und auf dem Balkan. Auch in der Nato-Ausbildungsmission für die Sicherheitskräfte im Irak sind sie vertreten. Nach der russischen Krim-Annexion 2014 wurden Schweden und Finnland „Enhanced Opportunity Partners“, also besonders enge Kooperationspartner der Nato, und nahmen seither an zahlreichen gemeinsamen Manövern teil. Wegen dieser weitreichenden Verflechtung gelten Schweden und Finnland seit Langem als „virtuelle“ Nato-Staaten.
„Das weiß man in Russland auch“, erklärt Swistek. Auch in Moskau beobachte man, wie multilaterale und bilaterale Abkommen gefasst würden, und auch, wie sich die Präsenz der Nato im Ostseeraum erhöht habe. „Das nimmt man wahr. Und da wird man sich zwei- oder dreimal überlegen, ob man hier eine Aktion vom Zaun bricht.“