Mächtiger Ölboss und Ex-Agent

Igor Setschin: Der Oligarch, der plötzlich die Marktwirtschaft entdeckt

Rosneft-CEO Igor Setchin.

Rosneft-CEO Igor Setchin.

Moskau. Wenn einer nicht gerade als Gralshüter der Marktwirtschaft gilt, dann ist das Igor Setschin. Ganz im Gegenteil: Wenn es seiner ohnehin schier unerschöpflichen Macht dient, dann missachtet der Chef des größten russischen Ölkonzerns Rosneft die Spielregeln des freien Marktes ohne alle Skrupel.

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Besonders bekam das der russische Oligarch Wladimir Jewtuschenkow vor acht Jahren zu spüren. Der hatte plötzlich ein Problem, nur weil er legaler Eigentümer des gut geführten und profitablen Öl- und Gaskonzerns Baschneft war, den das russische Regime im Jahr 2014 allerdings plötzlich für sich beanspruchte.

Und der Kreml weiß seine Begehrlichkeiten durchaus durchzusetzen – im Zweifelsfall mit Gewalt: Im September 2014 wurde Jewtuschenkow wegen angeblichen Geldwäscheverdachtes unter Hausarrest gestellt, und nach drei Monaten war er dann so weichgekocht, dass er seine Mehrheitsbeteiligung an Baschneft zum Nulltarif an den Staat überschrieb, die dann schließlich bei Setschins Rosneft landete. Einzige Gegenleistung der russischen Regierungsgewalt für die milliardenschwere Zwangsabgabe: Jewtuschenkow war wieder ein freier Mann.

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Noch viel schlechter erging es dem damaligen Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew, der die erpresste Eingliederung des bis dahin privatwirtschaftlich geführten Unternehmens Baschneft in den staatlichen Rosneft-Konzern als Verstoß gegen die von ihm vertretene liberale Wirtschaftsordnung Russlands bewertete. Die staatliche Willkür, die hier zum Tragen kam, betrachtete er mit einigem Recht als schädlich für eine freie Marktordnung, für die Rechtssicherheit essenziell ist. Dass er das auch öffentlich äußerte, sollte ihn teuer zu stehen kommen.

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Setschin wirkte bei Komplott mit

Er wurde im November 2016 auf dem Betriebsgelände Rosnefts festgenommen, nachdem er vermutlich Opfer eines Komplotts geworden war, das der frühere Spionageagent Setschin mit seinen alten Spießgesellen vom Inlandsgeheimdienst FSB gegen ihn ausgeheckt hatte: Nach einer geschäftlichen Besprechung überreichte der Rosneft-Chef dem Minister zum Abschied als Geschenk einen Korb mit Würstchen sowie einen schweren Koffer.

Während des ganzen Vorgangs wurde Uljukajew von FSB-Agenten observiert und von ihnen festgenommen, als er sich im Auto auf den Nachhauseweg machen wollte. Die Staatsanwaltschaft behauptete, in dem Koffer hätten sich zwei Millionen Dollar befunden, die der Minister von Rosneft für seine Zustimmung zum Baschnet-Deal erpresst habe.

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Uljukajew bestritt diesen Vorwurf und sagte, er habe den Koffer nie geöffnet und Wein darin vermutet, den ihm Setschin angeblich als weiteres Geschenk in die Hand gedrückt habe.

Wie es wirklich war, wurde nie geklärt, doch das Gerichtsverfahren, das sich anschloss, lässt die die Version der Staatsanwaltschaft unglaubwürdig erscheinen. Die Überwachungsaufnahmen, die während des Prozesses abgespielt wurden, offenbarten einen eklatanten Mangel an Beweisen dafür, dass Uljukajew tatsächlich Geld gefordert hatte und sich auch nur im Entferntesten im Klaren darüber war, dass er dieses Geld in jenem Moment erhielt.

Setschin selbst wurde vier Mal vorgeladen – und erschien vier Mal nicht, obwohl er als einziger Belastungszeuge dazu verpflichtet gewesen wäre. Trotzdem wurde Uljukajew zu acht Jahren Straflager und einer Geldstrafe von 2,2 Millionen Dollar verurteilt. Der Quälgeist im Ministerrang war entsorgt. Er wurde damit ein weiteres Opfer der sehr speziellen Expansionspolitik Rosnefts. Der Staatskonzern, der bei seiner Gründung in den Neunzigerjahren eine unbedeutende Klitsche war, betrieb sein Wachstum, indem er sich mittels staatlichem Zwang die Trümmer privater Konzerne einverleibte, die oft gegen jedes westliche Rechtsverständnis zerschlagen wurden: Yukos, TNK-BP und eben Baschneft.

Eine westliche Obergrenze für russische Energiepreise verletzt die Souveränität einzelner Länder.

Igor Setschin,

Chef des russischen Ölkonzerns Rosneft

Bei dieser Vorgeschichte mutet es mehr als heuchlerisch an, wenn nun ausgerechnet Igor Setschin dem Westen vorhält, die von diesem stets so hoch gehaltenen marktwirtschaftlichen Prinzipien zu verletzen. Triebfeder seiner Kritik: der Gaspreisdeckel, den mehr als die Hälfte der 27 EU-Länder für das gesamte Gebiet des Staatenverbundes fordern: „Eine westliche Obergrenze für russische Energiepreise verletzt die Souveränität einzelner Länder“, sagte Setschin vergangene Woche bei einer Konferenz in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, „und spielt den Vereinigten Staaten in die Hände.“ Was er damit sagen wollte: Eine europäische Preisebremse würde Exportländern wie Russland das Recht streitig machen, ihr Gas oder Öl zu Marktpreisen zu verkaufen, und Importländern wie etwa Ungarn die Befugnis verwehren, diese Rohstoffe zu Marktpreisen zu kaufen, selbst wenn sie es wollten.

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Und Setschin fügte die Warnung hinzu: „Die ‚richtigen‘ Länder, denen die Ressourcen fehlen, brauchen sie mehr als die ‚falschen‘ Länder.“ Soll heißen: Die Länder, die die EU durch einen Höchstpreis vor zu hohen Kosten für Gas schützen will („die richtigen Länder“) könnten am Schluss ohne Gasversorgung dastehen, weil die im Sinne der EU „falschen Länder“ (also Russland) den Höchstpreis nicht anerkennen und einfach kein Gas mehr liefern.

Im ordnungspolitischen Sinne könnte man Setschin zubilligen, dass er mit dieser Argumentation zumindest zum Teil sogar richtig liegt. Doch der Rosneft-Chef ist nun mal kein Ordnungspolitiker, sondern einer der brutalsten Dirigisten, die es derzeit in Corporate Russia gibt. Die Annahme liegt daher nicht fern, dass seine Brandrede in Baku eigentlich der Gefahr verringerter Einnahmen für Energieausfuhren galt, die Russland empfindlich treffen würde. Denn das Land hat kaum andere Exportgüter und braucht das ausländische Geld für sein Öl und Gas allein schon um den von ihm entfesselten Feldzug gegen die Ukraine zu finanzieren. Ganz abgesehen davon, dass auch das bisher erreichte Wohlstandsniveau und das Maß staatlicher Sozialleistungen gefährdet wären.

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Bei einem europäischen Höchstpreis für Gaseinfuhren wäre diese Gefahr für Russland tatsächlich real: Denn Europa ist für die Russen immer noch der größte Abnehmer seines Gases. Nach Angaben des Europäischen Statistikamtes Eurostat nahm Moskau im zweiten Quartal 2022 im Durchschnitt 5,7 Milliarden Euro pro Monat für Gasausfuhren in die EU ein.

Es kommt noch immer viel russisches Gas in Westeuropa an

Sollten diese Einnahmen durch einen Preisdeckel erheblich schrumpfen, hätte der Kreml ein Problem. Denn aufgrund der bislang fehlenden Infrastruktur wäre es schwierig, auf andere Märkte auszuweichen. Seit 2019 besteht zwar die Pipeline „Kraft Sibiriens“, über die Gas aus der russischen Teilrepublik Jakutien nach Nordostchina strömt: „Doch deren Kapazitäten reichen nicht im Entferntesten an die russisch-europäische Jamal- oder South Stream-Pipelines heran“, sagt Klaus Jacob, Forschungsgruppenleiter beim Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Über diese Röhren gelange immer noch viel russisches Gas in Länder wie etwa Ungarn, Italien, Bulgarien und weitere Abnehmerstaaten.

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Kretschmer gegen langfristigen Verzicht auf russisches Gas

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat sich für eine Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen nach dem Krieg ausgesprochen.

Jacob betont außerdem: „Auch wenn „Nord Stream 1″ inzwischen versiegt ist und „Nord Stream 2″ wegen des Kriegs in der Ukraine erst gar nicht in Betrieb genommen wurde, dürfte auch Deutschland über das europäische Fernleitungsnetz noch mit russischem Gas versorgt werden, wenn auch in deutlich geringerem Umfang als bisher.“

Wenn sich Europa also auf einen Höchstpreis für russisches Gas verständigen könnte, wäre das eine empfindliche Sanktion des russischen Regimes, das dann nur noch die Wahl hätte, gar kein Gas nach Europa zu liefern – mit der Konsequenz, dass die Einnahmen daraus, die auf Null schrumpfen würden, nicht mit Lieferungen nach Fernost kompensiert werden könnten. Oder aber zähneknirschend den europäischen Preisdeckel zu akzeptieren – mit entsprechenden Mindereinnahmen.

Preiskartelle sind notorisch instabil.

Gunther Schnabl,

Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Leipzig

Allerdings spricht sich Deutschland gegen einen EU-weiten Gaspreisdeckel aus. Denn Berlin, das seine Priorität auf die Versorgungssicherheit setzt, fürchtet, dass nicht nur Russland, sondern auch Exportstaaten wie die USA oder Norwegen, die den EU-Höchstpreis auch akzeptieren müssten, auf andere Abnehmermärkte ausweichen würden.

Frankreich befürwortet den EU-Preisdeckel hingegen vehement. In dem Land herrschen starke soziale Spannungen und der Élysée, der sich schon mit ähnlichen Protestwellen wie denen der Gelbwesten 2018 konfrontiert sieht, will daher vor allen Dingen den Endverbraucher vor hohen Preisen schützen: „Sollte tatsächlich ein EU-weiter Höchstpreis für Gasimporte eingeführt werden“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Gunther Schnabl von der Universität Leipzig, „würden solche Interessengegensätze noch wachsen.“ Denn da der Preismechanismus als Regelungsinstrument dann wegfiele, müsste dann administrativ entschieden werden, welchem Land wie viel Gas jeweils zugeschlagen würde. Streit wäre damit programmiert. Schnabls Fazit: „Preiskartelle sind notorisch instabil.“

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