Überraschender Brexit-Deal: Wie Großbritannien auf die Einigung reagiert
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Premierminister Rishi Sunak mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
© Quelle: IMAGO/i Images
London. „Hat Rishi das Unmögliche geschafft?“, fragte gestern die britische Tageszeitung „Daily Mail“ und fasste damit das ungläubige Gefühl vieler Briten angesichts des Deals zusammen, welchen EU‑Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premierminister Rishi Sunak am Montagnachmittag in Windsor freudestrahlend präsentierten. Schließlich schien ein Kompromiss dieser Art jahrelang unmöglich. Die Fronten seien verhärtet, hieß es lange; eine Überarbeitung des Nordirland-Protokolls, mit dem eine harte Grenze zwischen dem britischen Landesteil und Irland verhindert werden sollte, indem man die Zollgrenze in die irische See verlegte, schien in weiter Ferne. Bis zuletzt.
Der Windsor Framework, wie das juristische Rahmenwerk mit 28 Seiten zukünftig genannt wird, beinhaltet nun jedoch eben genau solche weitreichenden Änderungen des 2019 von London und Brüssel unterschriebenen Deals, zumindest in der praktischen Umsetzung. So sollen unter anderem Kontrollen für Waren, die die Irische See überqueren und in dem Landesteil verbleiben, abgeschafft werden. Nordirland bleibt zwar de facto Teil des EU‑Binnenmarkts, doch kann das nordirische Parlament mit der Stormont-Bremse sein Missfallen über die Anwendung neuer Binnenmarktregeln ausdrücken und so deren Einführung stoppen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden, wie Sunak sagte.
Nur positive Reaktionen
Die Reaktionen auf den neuen EU‑UK‑Deal waren in Großbritannien bislang positiv. Eine befürchtete Rebellion innerhalb der Torypartei ist nicht in Sicht. Kein einziger Abgeordneter sprach sich bislang offen gegen die Übereinkunft aus, nicht einmal Ex‑Premier Boris Johnson, der Sunak nur zu gerne vom Thron stoßen würde. Drei Jahre, nachdem dieser den Brexit „erledigen“ wollte, liefert Sunak nun tatsächlich ein überarbeitetes Handelsabkommen, das funktionieren kann, resümierte die Tageszeitung „i“ nicht ohne Spott.
„Zunächst wurde Sunak dafür kritisiert, dass er Details zum Deal unter Verschluss hielt, weil er damit Teile der Partei ausschloss“, erklärte Stephen Hunsaker von der Denkfabrik UK in a Changing Europe dieser Zeitung. „Jetzt jedoch gehen viele davon aus, dass Geheimhaltung die richtige Strategie war. Hätten sich zwischendrin Medien, Brexit-Hardliner, Hinterbänkler der Torypartei oder die unionistische Democratic Unionist Party eingeschaltet, wäre es möglicherweise nicht dazu gekommen“, meinte er. Beobachtern zufolge hätten die Verhandlungen mit der EU unter Sunak überdies eine neue Dynamik erhalten. Während seine beiden Vorgänger Johnson und Liz Truss die EU als Feindbild inszenierten, wurde jetzt nach Lösungen gesucht.
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Überraschender Deal: Rishi Sunak und Ursula von der Leyen.
© Quelle: IMAGO/i Images
Brexit ist noch nicht erledigt
Wann der Deal eingeführt wird, steht noch nicht fest. Es könnte noch Wochen dauern. Die erzkonservative Partei DUP will sichergehen, dass die Souveränität des Landesteiles gesichert ist. Aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll weigerte diese sich bislang, die Regierungsarbeit mit der nationalistischen Sinn-Fein-Partei aufzunehmen. Eine spezielle Vereinbarung im Karfreitagsabkommen sieht vor, dass keine Partei allein regieren kann. „Durch die Stormont-Bremse lenkt die DUP nun jedoch möglicherweise ein“, sagte Hunsaker. Dafür müsste die Partei jedoch akzeptieren, dass der Europäische Gerichtshof in Streitfragen weiterhin das letzte Wort hat – und das bereitet nordirischen Unionisten große Probleme.
Zu behaupten, dass durch das Windsor-Abkommen der Brexit erledigt sei, hält Hunsaker jedoch für übertrieben. „Es gibt Bestimmungen des Handelsabkommens, die nun bis 2026 verschoben wurden. Erneute Gespräche mit der EU werden deshalb nötig sein.“ Der Deal sei dennoch ein großer Erfolg für Sunak, der die Torypartei aus ihrem Umfragetief helfen und den Einfluss Boris Johnsons überdies reduzieren könnte. Dass dies für einen Sieg bei den nächsten Wahlen, die spätestens im Januar 2025 stattfinden sollen, ausreicht, bezweifelte Hunsaker jedoch