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Ein anatolischer Aufsteiger

Mehmet Simsek: Dieser Mann soll die türkische Wirtschaft retten

Mehmet Simsek kehrt als türkischer Finanzminister zurück – hier im Jahr 2017.

Mehmet Simsek kehrt als türkischer Finanzminister zurück – hier im Jahr 2017.

In den langen Fluren des türkischen Finanzministeriums am Ismet-Inönü-Boulevard in Ankara kennt sich der 56-jährige Mehmet Simsek gut aus. Von 2009 bis 2015 war er hier der Chef. Vom Amt des Finanzministers stieg Simsek in das des Vizepremiers auf, bevor er 2018 die Regierung verließ. Noch Ende März hatte Simsek nach einem Treffen mit Erdogan versichert, er denke nicht an eine Rückkehr in die aktive Politik. Dass er sich nun doch von Erdogan überreden ließ, zeigt nach Einschätzung mancher Beobachterinnen und Beobachter, wie ernst die Finanzkrise ist.

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Bei der Entscheidung mag aber auch Persönliches eine Rolle gespielt haben. Hier der weltläufige Starökonom Simsek, der in London und New York lebte und lange mit einer US-Amerikanerin verheiratet war, dort Erdogan, der auch nach 20 Jahren an der türkischen Staatsspitze immer noch Schwierigkeiten hat, sich mit ausländischen Politikerinnen und Politikern ohne Dolmetschrtin oder Dolmetscher zu verständigen. Und doch verbindet beide Männer viel.

Simsek ist wie Erdogan ein anatolischer Aufsteiger

Wie Erdogan, der als Kind einer vom Schwarzen Meer zugewanderten Seemannsfamilie im schäbigen Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa aufwuchs, ist Simsek ein anatolischer Aufsteiger. Er selbst erzählt die Geschichte immer wieder gern: wie er im kleinen kurdischen Dorf Arica bei Batman aufwuchs, ohne Strom und fließendes Wasser. Seine Eltern waren Analphabeten. Er selbst sprach nur Kurdisch, aber kein Wort Türkisch, bis er in die Schule kam. Durch „pures Glück“, wie er selbst sagt, kam er aus dem Dorf heraus, konnte mit der Hilfe seiner acht Geschwister in Ankara Ökonomie studieren. Später arbeitete er für Merrill Lynch, UBS und die Deutsche Bank, bevor ihn Erdogan im Mai 2009 zum Finanzminister und sechs Jahre später zum Vizepremier berief.

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Die Erfolge seiner ersten Amtszeit können sich sehen lassen: Simsek drückte die Schuldenquote von 43,4 auf 28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die Inflation von 10,4 auf 6,4 Prozent. „Wir stehen auf soliden Fundamenten“, konnte Simsek 2011 feststellen.

Wirtschaftliche Lage der Türkei ist desolat

Heute ist die Lage desolat. Die Inflation – offiziell 44 Prozent, nach Berechnungen unabhängiger Ökonomen bei 105 Prozent – zehrt an den Einkommen. Seit 2018 hat die Lira gegenüber Dollar und Euro rund 80 Prozent ihres Werts verloren. Das Zahlungsbilanzdefizit wächst, ausländische Investorinnen und Investoren ziehen sich zurück. Viele Analystinnen und Analysten sehen die Gefahr, dass die Türkei schon bald ihre Auslandsschulden nicht mehr bedienen könne.

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Deutschtürken stimmen überwiegend für Erdogan: Kritik von Özdemir

Insgesamt wurde es diesmal knapp für Recep Tayyip Erdogan. Auf seine Wählerinnen und Wähler in Deutschland kann er sich aber weiter verlassen.

Für Simsek kommt es nun vor allem darauf an, das erschütterte Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Simsek gilt als „investorenfreundlich“ und „Liebling der Märkte“. Aber der gute Ruf allein wird nicht reichen. Die Frage ist: Wie viel Spielraum wird Erdogan seinem neuen Finanzminister lassen?

Kehrt mit Simsek wieder die ökonomische Vernunft zurück?

Simsek und Erdogan haben in den vergangenen Tagen mehrere lange Gespräche geführt. Dabei dürfte es um seine Kompetenzen als Finanzminister und um den künftigen Kurs in der Finanz- und Geldpolitik gegangen sein. Bleibt Erdogan bei seiner umstrittenen Überzeugung, dass man hohe Inflation am besten mit Zinssenkungen bekämpft, oder kehrt mit Simsek wieder die ökonomische Vernunft in die Geldpolitik zurück? Nur dann dürfte es dem neuen Finanzminister gelingen, den Verfall der türkischen Währung zu stoppen.

Erdogan hat allerdings vor der Wahl immer wieder beteuert, er werde an seiner unorthodoxen Politik der Zinssenkungen festhalten. Dafür spricht auch, dass im kommenden Frühjahr in der Türkei bereits wieder gewählt wird. Erdogan wird bei den bevorstehenden Kommunalwahlen alles daransetzen, die Großstädte Istanbul und Ankara, deren Rathäuser seine Regierungspartei AKP 2019 an die Opposition verlor, zurückzuerobern. Zinserhöhungen und eine Rezession passen da kaum in sein Konzept.

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