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Zusammenhang mit russischem Angriffskrieg?

Kriegsverbrechen verharmlosen gilt nun als Volksverhetzung – Union kritisiert „Hau-Ruck-Verfahren“

Wer Kriegsverbrechen leugnet, macht sich ab sofort strafbar. Auch Verurteilungen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wären so möglich.

Wer Kriegsverbrechen leugnet, macht sich ab sofort strafbar. Auch Verurteilungen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wären so möglich.

Berlin. Wer in Deutschland Kriegsverbrechen von russischen Soldaten in der Ukraine leugnet, könnte bald von einem Gericht verurteilt werden. Mitbekommen hat die Gesetzesänderung zunächst kaum jemand, die Ampelkoalition weitete den Volksverhetzungsparagrafen in der vergangenen Woche ohne jede Ankündigung und im Schnellverfahren aus. Das Leugnen, Billigen und Verharmlosen von Kriegsverbrechen und Völkermorden ist jetzt als Volkverhetzung strafbar, während dies zuvor lediglich für den Holocaust galt.

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Als „Hau-Ruck-Verfahren“ bezeichnete Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das plötzliche Vorgehen der Ampel. Die Umstände seien „ärgerlich wie bedenklich“, da es sich um einen wichtigen Straftatbestand handele. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FPD) hätte schon Anfang des Jahres auf ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Union gegen Deutschland wegen mangelhafter Richtlinienumsetzung reagieren müssen, sagte Krings am Dienstag dem RND. Die EU-Kommission wirft Deutschland vor, einen EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Rassismus aus dem Jahr 2008 nicht deutlich genug umgesetzt zu haben. „Die Ampel hat stattdessen monatelang nichts getan“, so Krings. Die Union habe dem Gesetzesentwurf dennoch zugestimmt, da die Verschärfung laut Krings „in der Sache richtig“ sei.

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Ali befürchtet Einschränkungen der Meinungsfreiheit

AfD und Linke stimmten gegen das Vorhaben. „Inhaltlich führt die Verschärfung dazu, dass nun deutsche Staatsanwaltschaften beurteilen müssen, ob ein Kriegsverbrechen vorliegt“, sagte Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, dem RND. Dies sei „gerade bei den aktuellen Vorgängen“ jedoch kompliziert. Mohamed Ali befürchtet, die Verschärfung könne zu „willkürlichen Anwendungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit“ führen. Thomas Seitz, rechtspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, kritisierte die Intransparenz des Verfahrens. Auch sei die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit weiterhin zu unbestimmt, sagte er dem RND.

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Die Verschärfung des Strafrechts beruht auf einer „Formulierungshilfe“ des Justizministeriums, die zunächst nicht bekannt war. Am vergangenen Mittwoch brachte der Rechtsausschuss der Bundesregierung den Vorschlag in einem unscheinbaren Gesetz zum Bundeszentralregister unter. Bereits einen Tag später beschloss der Bundestag die Änderung abschließend – als letzter Tagesordnungspunkt kurz vor 23 Uhr. Solch ein eiliges Vorgehen bei Gesetzesänderung ist sonst eher bei rein technischen oder besonders eiligen Projekten üblich.

25.07.2022, Ukraine, Irpin: Oleh Bondar (l), Bürgermeister von Irpin, Nancy Faeser (SPD, vorne), Bundesministerin für Inneres und Heimat, und Hubertus Heil (SPD, l), Bundesminister für Arbeit und Soziales, stehen vor zerstörten Gebäuden der Stadt Irpin. Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Eichwede: „Klarheit und Rechtssicherheit“

Die Ampelfraktionen wie auch das Bundesjustizministerium begründen das zügige Handeln mit dem Vertragsverletzungsverfahren der EU. Nun schaffe man „Klarstellung und Rechtssicherheit“, sagte Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, dem RND. „Die Gesetzesänderung führt nicht zu einer Verschärfung.“ Laut der Grünen-Rechtspolitikerin Canan Bayram sei das Verfahren mit dem bereits laufenden zum Bundeszentralregistergesetz zusammengelegt worden, damit das Gesetz schnell in Kraft treten kann, sagte sie dem RND.

Das Justizministerium betonte, die Verschärfung des Strafrechts habe nichts mit dem russischen Angriffskrieg zu tun. Schon bisher sei die Leugnung und Verharmlosung von Kriegsverbrechen als Volksverhetzung strafbar gewesen. Entsprechende Gerichtsurteile sind bisher allerdings nicht bekannt. Auch die Staatsanwaltschaften haben seit Februar zwar wegen Billigung des russischen Angriffskriegs ermittelt, aber nicht wegen Leugnung oder Verharmlosung von russischen Kriegsverbrechen.

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Polizeigewerkschaft: Grenze zur Strafbarkeit schwierig

Kritik kommt von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Scheinbar besteht selbst unter den politisch Beteiligten dieser ungewöhnlich eilig zu Stande gekommenen Gesetzesänderung Uneinigkeit über die inhaltliche Tragweite der beschlossenen Novelle“, sagte der Bundesvorsitzende Jochen Kopelke dem RND. Es sei schwierig, rechtssicher eine Grenze zwischen Meinungsäußerung und strafbaren Aussagen zu ziehen. Dies sei besonders für Beamte in Ad-hoc-Situationen eine Herausforderung.

Mit der Gesetzesänderung wird Paragraf 130 zur Volksverhetzung ergänzt. Demnach macht sich auch strafbar, wer andere Völkermorde sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen öffentlich leugnet oder „gröblich“ verharmlost. Einschränkend heißt es, die Äußerung müsse geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören und zu Hass oder Gewalt aufzustacheln.

Krieg gegen die Ukraine: Noch kein Gerichtsurteil

Diese eher schwammigen Begriffe könnten die Justiz jedoch vor Probleme stellen. Zudem stellt sich die Frage, was genau die Staatsanwaltschaft als Kriegsverbrechen einstuft und was nicht. Der EU-Rahmenbeschluss lässt dabei den EU-Staaten eigentlich mehr Spielraum: Ihm zufolge ist es ebenso möglich, nur die Leugnung und Verharmlosung solcher Kriegsverbrechen unter Strafe stellen, die bereits durch ein internationales Gericht endgültig festgestellt wurden.

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Im Falle des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist dies noch nicht geschehen. Dass es überhaupt zu einer Verurteilung durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kommt, ist keineswegs sicher. Eine UN-Untersuchungskommission hat im September jedoch verschiedene russische Kriegsverbrechen in der Ukraine festgestellt.

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