Warum Moskaus Bürgermeister jetzt doch Kriegspropaganda macht
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Glückwünsche zum Amt: Zur Bürgermeisterwahl 2013 gratuliert Wladimir Putin Sergej Sobjanin.
© Quelle: picture alliance / dpa
Moskau. In den zwei Wochen zwischen Neujahr am 1. Januar und dem orthodoxen „alten Neujahr“ am 14. Januar scheint das öffentliche Leben in Moskau kaum stattzufinden. Die Straßen der Megastadt, die ansonsten nur allzu oft mit Autos verstopft sind, scheinen kurzfristig vom Verkehr befreit zu sein.
Die Moskauerinnen und Moskauer feiern im Privaten, mag man meinen. Aber das stimmt nicht. Die Bewohnerinnen und Bewohner der russischen Hauptstadt strömen in durchaus großer Zahl an bestimmte Orte. Das riesige Einkaufszentrum Salaris im Süden der Stadt ist so bevölkert, wie es üblicherweise kaum vorkommt. Und der Gorki-Park, das große Vergnügungsgelände unweit der Christi-Erlöser-Kathedrale, wimmelt nur so vor Menschen.
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Da fällt es umso stärker auf, dass am monumentalen Eingangsportal des Parks seit Neuestem Propaganda für Russlands Feldzug in der Ukraine betrieben wird. Das Z und das V, beides Propagandasymbole des Kremls für den Sieg in der Ukraine werden ebenso ausgestellt, wie die Schriftzüge „Sila w Prawde“ (Die Macht liegt in der Wahrheit“) oder „Mi wmjestje“ („Wir halten zusammen“).
„Kein einziges Porträt unserer Helden“
In Moskau war eine solche öffentliche Parteinahme für den Einmarsch Russlands in das Nachbarland bis jetzt eher nicht wahrnehmbar. Bürgermeister Sergej Sobjanin hielt sich mit öffentlichen Äußerungen in Bezug auf die Geschehnisse in der Ukraine auffällig zurück.
Im vergangenen Juni musste die Scheinoppositionspartei Gerechtes Russland sogar ein Banner von ihrer Parteizentrale entfernen, auf dem sie das Vorgehen Russlands in der Ukraine unterstützte. Parteichef Sergei Mironow war darüber gar nicht glücklich. Die Beamtinnen und Beamten hätten erklärt, dass die Forderung auf „zahlreiche Beschwerden von verärgerten Bürgern“ zurückzuführen sei.
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Kind posiert am Eingang des Gorki-Parks vor dem Propagandasymbol Z.
© Quelle: Paul Katzenberger
„Ich spreche ständig mit Journalisten und Freiwilligen, die aus den Konfliktgebieten in die Hauptstadt gekommen sind. Viele von ihnen sind überrascht, dass in Moskau nichts zu sehen ist, was an den Krieg erinnert, der über das Schicksal unseres Landes entscheidet. Kein einziges patriotisches Plakat, kein einziges Porträt unserer Helden, keine Zs, keine Vs. Wir wissen jetzt, dass dies kein Zufall ist, sondern das Ergebnis einer gründlichen Kontrolle durch eifrige Inspektoren. Ihr Standpunkt ist klar: Wen kümmert es schon, wenn sie sich da drüben gegenseitig erschießen und umbringen? Das ist nicht unser Problem, hier ist alles in Ordnung, wir leben so, wie wir gelebt haben, und wir brauchen Ihren Sondereinsatz nicht“, wütete Mironow.
Kein einziges patriotisches Plakat, kein einziges Porträt unserer Helden, keine Zs, keine Vs. Wir wissen jetzt, dass dies kein Zufall ist, sondern das Ergebnis einer gründlichen Kontrolle durch eifrige Inspektoren. Ihr Standpunkt ist klar: Wen kümmert es schon, wenn sie sich da drüben gegenseitig erschießen und umbringen?
Sergei Mironow,
Parteichef von Gerechtes Russland
Ein sehr pragmatisch orientierter Mann
Tatsächlich gilt Moskau als Stadt, in der sich ziviler Widerstand eher regt als in der Provinz. Sobjanin hatte also gute Gründe, die „Spezialoperation“ nicht allzu laut zu propagieren. Denn das könnte Straßenproteste auslösen. „In Moskau kann es ganz plötzlich und unerwartet zu Massenkundgebungen kommen“, sagt der Politologe Abbas Galljamow. „Das gab Sobjanin die formale Möglichkeit, sich aus dem Spiel zu nehmen. Er kann in jedem Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin einfach sagen: ‚Ja, wer bin ich, ich hänge morgen ganz Moskau mit dem Buchstaben Z zu, aber was ist, wenn die ganze Situation aus dem Ruder läuft?‘“ So wie es nach der Verhaftung des Investigativjournalisten Iwan Golunow im Jahr 2019 geschehen sei.
Als Russlands Präsident Wladimir Putin im September 2022 eine Teilmobiliserung anordnete, wurden nur 16.000 Moskauer Soldaten eingezogen. Gemessen an der Einwohnerzahl waren das prozentual deutlich weniger Mobilisierte als in anderen Regionen Russlands.
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Ist die Krim verhandelbar?
Russlands Angriff auf die Ukraine hat nicht erst im Februar 2022 begonnen, sondern schon 2014 mit der gewaltsamen Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Die russische Vergangenheit der Krim lässt immer wieder die Frage aufkommen, ob man Moskau die Halbinsel nicht einfach im Zuge von Verhandlungen zugestehen sollte. Vieles spricht auch dagegen. Nicht zuletzt das Völkerrecht.
Sobjanin ist ohnehin ein sehr pragmatisch orientierter Mann, der vor allem seine Stadt voranbringen will, was die Infrastruktur, Grünflächen oder den Nahverkehr angeht. Die Wüterei über die angeblichen Faschisten in der Ukraine geht ihm allein schon von seinem Naturell her gegen den Strich. „Er mag keine virtuellen Gebilde, er liebt die realen Dinge. Dies ist ein tiefer Grund für die Wahrung einer gewissen Distanz“, erklärt Galljamov. „Er hat von Anfang an verstanden, dass der Krieg ein völlig unnötiges Abenteuer ist, das zu nichts Gutem führen wird.“
Propagandazeichen jetzt in der ganzen Stadt
Aber er ist auch jemand, der schnell merkt, dass er sich mit seiner reservierten Haltung bezüglich der Kampfhandlungen in der Ukraine zu sehr an die Seitenlinie im politischen Establishment Russlands begeben hat. Das erklärt wohl, dass in Moskau nun die Zs und Vs an prominenter Stelle doch zu sehen sind. Vorher wurden diese Propagandazeichen in der russischen Hauptstadt nur sehr vereinzelt ausgestellt, etwa am Tabakow-Theater. Jetzt sind sie in der ganzen Stadt zu sehen.
„All dies deutet darauf hin, dass die Behörden gezwungen sind, den Grad der Hysterie zu erhöhen, wenn die Zahl der militärischen Fehlschläge steigt und die öffentliche Meinung immer mehr demobilisiert wird“, erklärt Galljamow die Veränderungen in der Hauptstadt. „Und in dieser Situation ist es für Sobjanin unmöglich, am Rande zu bleiben. Denn für den Rest der Militärs sieht das bereits nach Verrat oder Defätismus aus.“
Und so sah sich Sobjanin Anfang Dezember 2022 gezwungen, Moskauer Soldaten an der ukrainischen Front zu besuchen: „Wir helfen unseren Jungs am Gefechtsfeld, die Verteidigungslinien auszustatten“, schrieb er auf seinem Telegram-Kanal. „Panzergräben, Schützengräben, Bunker und Unterstände. Wir installieren Generatoren, Öfen, sorgten für Beleuchtung. Wir bauen medizinische Stationen. Tausende von städtischen Arbeitern arbeiten an der Front. Ich habe heute die Baustelle besucht. Ich habe mit Bauarbeitern und Militärangehörigen gesprochen. Ich habe die aus Moskau mobilisierten Kämpfer getroffen. Die Stimmung ist kämpferisch“, schrieb Sobjanin in seinem Posting.
„Das Regime ist in einer Sackgasse angelangt“
Es gibt allerdings auch Gerüchte, dass Sobjanins neue Kampfeslust mit der Ambition zusammenhängen könnte, Putin als Präsident Russlands zu beerben. Der Moskauer Bürgermeister würde das niemals selber so öffentlich anklingen lassen, sagt Galljamow, trotzdem hält der Politologe dieses Szenario nicht für ausgeschlossen: „Es würde Sobjanin sicher nicht stören, wenn Putin selbst ihn als seinen Nachfolger auswählt. Aber er wird den Präsidenten nicht zu dieser Entscheidung drängen. Dafür ist er zu klug und zu vorsichtig.“
Gleichzeitig sei der Moskauer Bürgermeister objektiv gesehen die Stimme der Vernunft und eigne sich für die Rolle des Nachfolgers. Er sei ein ernst zu nehmender Akteur, der die verfahrene Situation auflösen könne, die sich nach einem knappen Jahr in der militärischen Pattsituation in der Ukraine ergeben hätte.
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Eingangsportal des Gorki-Parks mit den Propagandaschriftzügen „Wir halten zusammen“ und „Die Macht liegt in der Wahrheit“ sowie dem Symbol V.
© Quelle: Paul Katzenberger
„Er wäre aufgrund seiner Seriosität in der Lage, sowohl mit der Ukraine als auch mit dem Westen in den Dialog zu treten“, sagt Galljamow. „Putin kann das Gerede von der Nachfolge nicht beenden, weil er schwächer wird, das Regime ist in einer Sackgasse angelangt. Und da Putin das System in eine Sackgasse gebracht hat und er es definitiv nicht mehr herausbekommen wird, ist die Suche nach Wegen aus der Sackgasse und die Suche nach jemandem, der sie herausführen kann, ein objektiv bestimmter Prozess. Wenn man sich in einer Sackgasse befindet, kann man nicht anders, als darüber nachzudenken, wie man da wieder herauskommt.“
Langjähriger Verbündeter Putins
Der Moskauer Lokalpolitiker Maxim Katz hält es ebenfalls für denkbar, dass Sobjanin der nächste russische Präsident werden könnte. Der Bürgermeister von Moskau stelle zwar immer eine potenzielle Gefahr für Putin dar, da in autoritären Systemen die Oberhäupter der Hauptstadtregionen oft zu Gegenspielern der Staatschefs würden, argumentiert er. In der Türkei sei etwa Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu in erster Instanz zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden, weil er als Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei der diesjährigen Wahl habe antreten wollen.
Überlebende nach Russlands Raketenterror in Dnipro gerettet
Am Tag nach dem russischen Angriff wurden in den Trümmern eines Wohnhauses noch Dutzende Menschen vermisst.
© Quelle: Reuters
Doch bei Sobjanin sieht Katz die Situation etwas anders: „Er ist Putins langjähriger Verbündeter, er war Leiter der Präsidialverwaltung. Vielleicht glaubt der Präsident, dass es für ihn persönlich nicht so gefährlich wird, wenn ein enger Getreuer sein Nachfolger wird“, sagt der Lokalpolitiker.
Als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl wäre Sobjanin außerdem gut vermittelbar, erklärt Galljamow. „Es reicht, wenn er sagt: ‚Ich habe Moskau wieder aufgebaut, ich werde auch Russland wieder aufbauen.‘ Er könnte bei der Wahl dann sicher mit 55 bis 60 Prozent der Stimmen rechnen. Er muss nicht einmal etwas vortäuschen. Der Slogan über den Wiederaufbau wird den Menschen geben, dass, wenn er an die Macht kommt, die ganze militärisch-patriotische Hysterie abebben wird.“
Aber derzeit muss Sobjanin auf der patriotischen Welle mitreiten. Und das könnte natürlich auch so bleiben.