RND-Interview

Iran-Experte: „Leute haben die Nase voll von dieser Religion“

Iraner protestieren gegen das Regime, seitdem die 22-jährige Mahsa Amini in Haft der Sittenpolizei verstarb.

Iraner protestieren gegen das Regime, seitdem die 22-jährige Mahsa Amini in Haft der Sittenpolizei verstarb.

Seit mehr als zwei Monaten gehen die Menschen im Iran auf die Straße. Als einen ersten Teilerfolg werten manche die angekündigte Abschaffung der Sittenpolizei. Doch es geht den Iranerinnen und Iranern längst um viel mehr, meint Feryad Fazil Omar, der an der Freien Universität Berlin am Institut für Iranistik arbeitet sowie Präsident des Instituts für Kurdische Studien in Berlin ist. Im RND-Interview spricht er auch über die Bedeutung der dreitägigen Streiks und vergleicht die Situation mit der Islamischen Revolution 1979.

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Feryad Fazil Omar arbeitet an an der Freien Universität Berlin am Institut für Iranistik und ist Präsident des Instituts für Kurdische Studien in Berlin.

Feryad Fazil Omar arbeitet an an der Freien Universität Berlin am Institut für Iranistik und ist Präsident des Instituts für Kurdische Studien in Berlin.

Herr Omar, wie schätzen Sie die angebliche Abschaffung der Sittenpolizei ein?

Die Regierung versucht, die Menschen mit dieser kleinen, unbedeutenden Maßnahme abzulenken. Die Menschen haben die letzten fast drei Monate so viele Opfer gebracht, es wurden so viele Menschen in Gefängnisse gesperrt, es gibt so viele Verletzte. Sie sind nicht nur mit dem Ziel auf die Straße gegangen, den Kopftuchzwang abzuschaffen. Die Abschaffung der Sittenpolizei ist eine lächerliche Maßnahme. Die Menschen in Iran sind klug genug, um zu verstehen, dass sie nicht nur für Kopftuchabschaffung gekämpft haben. Das ist kein Erfolg und die Menschen lassen sich durch so eine „Beruhigung“ der Regierung nicht von den Protesten abbringen.

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Die Justizbehörde werde sich „weiterhin mit der gesellschaftlichen Herausforderung“ auseinandersetzen, die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zu kontrollieren. Ist das nicht dasselbe wie vorher, nur unter anderem Namen?

Die Regierung verzichtet nicht auf den Kopftuchzwang, will die Menschen also immer noch als Sklaven sehen. Und die iranischen Frauen und Männer sind qualifiziert genug, selbst zu entscheiden. Sie wollen das nicht. Es geht wie gesagt nicht nur um ein Kopftuch. Es geht nicht darum, dass die Sittenpolizei abgeschafft wird und eine neue Institution aufgebaut wird, die genau die gleiche Aufgabe hat, unter einem anderen Namen. Die Menschen sind klug genug, das zu erkennen.

Von diesem Montag an bis Mittwoch sind große dreitägige Streiks angekündigt. Was kann damit erreicht werden?

Die Hoffnung der Menschen im Lande ist, dass dieser Streik eine breite Schicht im Iran trifft. Die Revolutionären wünschen sich, dass sich wie damals in der Schah-Zeit 1979 die Arbeiter der Raffinerien im Südwesten des Irans und die Händler, die Macht und Geld haben, anschließen. Wenn die sich ernsthaft an der Revolution beteiligen, kann nichts mehr schiefgehen. Dann wäre es genau wie 1979, als alle Schichten gegen den iranischen Machthaber Schah rebelliert und ihn abgeschafft haben. Natürlich darf man aber nicht vergessen, dass so eine Revolution ohne Waffen dauern kann. Damals hat es ein Jahr gedauert, bis der Schah abgesetzt wurde.

Man kann also den Vergleich zu 1979 ziehen?

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Die einfachen Menschen sind jetzt auf die Straße gegangen, Jugendliche und Studierende haben sich dieser Revolution angeschlossen. Sie haben nichts mehr zu verlieren, wollen kein Leben als Sklaven mehr führen, sie wollen ein Ende. Das ist vergleichbar mit dem Schah-Regime damals, als die Menschen alle auf die Straße gegangen sind. Aber man darf nicht vergessen, dass die Mullahs, die im Iran an der Macht sind, im Namen der Religion, des Islams, regieren. Es gibt immer noch Menschen, die verbunden sind mit diesem Machthaber und teilweise die Regierung unterstützen. Der einzige Unterschied zwischen damals und jetzt ist, dass die Religion im Spiel ist. Aber die Leute haben die Nase voll von dieser Religion und den Maßnahmen der religiösen Sitten.

Wie lange halten die Menschen so eine Revolution durch?

Die Menschen im Iran haben trotz des hohen politischen Drucks bewiesen, dass sie nicht aufgeben möchten. Was diese Revolution beispiellos macht, ist, dass die Menschen noch nicht zu den Waffen gerufen haben. Sie sind klug, zu wissen, dass ihre Waffen nicht vergleichbar wären mit den Waffen, die die Regierung einsetzt. Die Rede ist schon jetzt von 500 bis 600 Toten, Tausenden Verhaftungen, Tausenden Verletzten. Man redet sogar darüber, dass die Apotheken im Iran kontrolliert werden, um zu wissen, in welchen Familien Verwundete sind. Die Menschen sind ernsthaft mit ihrer Revolution und wollen ein Ende dieses Regimes.

Steht die Regierung Ihrer Meinung kurz vor dem Zusammenbruch?

Die Regierung steht leider noch nicht vor dem Kollaps, weil die Machthaber in der Region die Regierung unterstützen. Von den regionalen Regierungen im Nahen Osten kriegen die Revolutionäre keine Unterstützung.

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Wie kann Deutschland etwa auch bei der Revolution helfen?

Die Menschen brauchen Solidarität. Was wir in den vergangenen Monaten und Wochen auch in Deutschland von bekannten Menschen erlebt haben, dass sie den Satz „Frau, Leben, Freiheit“ wiederholen, ist beispiellos. Das hat eine Wirkung auf die Bevölkerung im Iran. Das ist das, was sie brauchen. Sie sind dankbar für die Solidarität. Aber die Regierungen in Deutschland und europäischen Ländern müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie sie mit der Regierung im Iran umgehen. Von den Regierungen brauchen wir mehr Maßnahmen gegen die iranische Regierung. Die Bevölkerung im Iran hatte in den vergangenen Jahrzehnten während der Präsidentenwahlen immer die Hoffnung, dass ein vernünftiger neuer Präsident an die Macht kommt und Reformen durchführt. Daran glauben sie jetzt nicht mehr. Es wird nicht mehr nach Reformen in der Regierung gerufen, sie wollen den Tod der Regierung. Im Westen wird auch über das Szenario eines Putsches gesprochen. Das will die Bevölkerung auch nicht, denn ein Putsch wäre nur möglich von jemandem, der bereits in der Regierung ist und Macht hat. Ich gehe davon aus, dass diese Revolution am Ende erfolgreich sein wird. Die Geschichte zeigt uns, dass Revolutionen nicht immer schnell das Ziel erreichen, aber die Iranerinnen und Iraner haben schon viel erreicht und haben keine Angst mehr. Wenn man keine Angst mehr hat um sein Leben, opfert man viel mehr.

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