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Premierministerin vor dem Aus

Liz Truss’ Regierung erreicht die nächste Chaosstufe

Auf diesem vom britischen Parlament zur Verfügung gestellten Foto spricht Liz Truss, Premierministerin von Großbritannien, während der Fragestunde der Premierministerin (Prime Minister’s Questions) im Unterhaus.

Auf diesem vom britischen Parlament zur Verfügung gestellten Foto spricht Liz Truss, Premierministerin von Großbritannien, während der Fragestunde der Premierministerin (Prime Minister’s Questions) im Unterhaus.

London. Gelächter und Buhrufe. Es geht oft laut zu im britischen Parlament. Am Mittwoch war die Stimmung in Westminster jedoch besonders aufgeladen. Schließlich stellte sich die Nochpremierministerin Liz Truss zum ersten Mal den Fragen von Oppositionschef Keir Starmer, nachdem der neu ernannte Finanzminister Jeremy Hunt am Montag in einer Erklärung fast alle ihre politischen Versprechungen zurückgenommen hatte, um die Märkte zu beruhigen.

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Starmer ließ die Gelegenheit zum Angriff nicht verstreichen und zählte unter anderem die Steuersenkungen auf, die nun nicht mehr gelten, begleitet von einem im Chor ausgerufenen „gone“, „weg“, der Labour-Abgeordneten. „Ich bin eine Kämpferin, keine Drückebergerin“, betonte Truss im Verlauf der Fragerunde. Nur um dann erneut eine Kehrtwende hinzulegen. Die staatliche Rente solle ab April nun doch mit der Inflation steigen. Die Boulevardzeitung „The Mirror“ bezeichnete den Auftritt als „chaotisch“.

80 Prozent der Briten lehnen Truss ab

Auch wenn die Stunde im Parlament gemeinhin als Stimmungstest gilt, so hätte Truss wohl auch mit einer besseren Performance nichts mehr geändert. Denn in Westminster redet man dieser Tage vorrangig über eines: Wann und vor allem wie man sie aus dem Amt heben und durch einen Nachfolger ersetzen kann. Schließlich ist sie nach ihrem katastrophalen Start in ihre Amtszeit am 6. September die unpopulärste Premierministerin aller Zeiten.

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Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass ihr 80 Prozent der Britinnen und Briten ablehnend gegenüberstehen. Die Mehrheit der rund 150.000 Parteimitglieder, jener kleine Teil der Bevölkerung, der sie in einer Abstimmung im Sommer ins Amt gehoben hatte, stimmt mittlerweile dafür, dass sie zurücktritt.

Gesteigert wurde das Ausmaß des Chaos durch den Rücktritt von Innenministerin Suella Braverman am späten Mittwochnachmittag. Medienberichten zufolge hatte die 42-Jährige gegen Sicherheitsregeln verstoßen, indem sie Informationen über ihr privates Telefon weitergab. Braverman gehört zum extremen rechten Flügel der Partei. Sie sprach sich gegen die Sterbehilfe und gleichgeschlechtliche Ehen aus und forderte immer wieder ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen. Ihr Nachfolger wird der früherer Verkehrsminister Grant Shapps, wie das Büro der Premierministerin am Mittwochabend mitteilte.

Hoch gepokert und verloren

Für Truss jedenfalls war es ein Scheitern mit Ansage. Viele Expertinnen und Experten hatten sie im Vorfeld davor gewarnt, ihre neoliberalen Pläne in der aktuellen wirtschaftlichen Lage durchzuboxen, welche die Märkte in den vergangenen drei Wochen in Aufruhr und die Menschen im Land in Panik versetzten. Um die Lage in den Griff zu bekommen, kassierte Hunt diese Woche fast alle von ihr angekündigten Steuersenkungen und darüber hinaus auch das Versprechen, die Energierechnungen für einen Zeitraum von zwei Jahren zu deckeln, ein.

Weitere Maßnahmen sollen Ende des Monats bekannt gegeben werden, wenn das „Halloweenbudget“ verkündet wird. Truss hatte mit ihren Plänen für mehr Wachstum sehr „hoch gepokert“, wie die britische Boulevardzeitung „The Sun“ schrieb. Zu hoch, wie sich jetzt zeigte.

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Doch wie könnte ein Wechsel ablaufen? Klar ist, dass sich die konservativen Abgeordneten eigentlich gerne schnell auf einen gemeinsamen Kandidaten oder eine gemeinsame Kandidatin einigen und so verhindern wollen, dass erneut die Parteimitglieder über den Nachfolger oder die Nachfolgerin entscheiden können. Schließlich würde das einen wochenlangen Wahlkampf nach sich ziehen. Um den Prozess zu beschleunigen, müssten allerdings die Regeln geändert werden.

Der Chef des zuständigen Komitees, Graham Brady, soll an einer Lösung arbeiten. Eine Möglichkeit wäre, die Hürde der benötigten Stimmen für den Kandidaten oder die Kandidatin auf das Amt des Parteichefs so hochzusetzen, dass nach der Abstimmung der Abgeordneten nur noch einer oder eine übrig bleibt. Es ist eine schwierige Aufgabe, die dazu führen könnte, dass Truss noch eine Weile im Amt bleibt.

Wer könnte auf Truss folgen?

Ein schneller Wechsel ist auch deshalb schwierig, weil es aktuell keinen Kandidaten oder keine Kandidatin gibt, auf den oder die sich die konservativen Abgeordneten einigen können. Ein möglicher Nachfolger ist Rishi Sunak. Der 42-Jährige schied im Sommer im Zweikampf gegen Truss aus. Gegen ihn spricht laut Fachleuten allerdings, was schon damals galt: Er wird durch seinen Rücktritt vom Amt des Finanzministers Anfang Juli maßgeblich für den Sturz von Ex-Premier Boris Johnson verantwortlich gemacht.

Weitere Favoriten sind der als moderat geltende Hunt sowie die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt. Die Mehrheit der Parteimitglieder hätte gerne Johnson zurück. Dieser gilt unter vielen Abgeordneten jedoch mittlerweile als Persona non grata, sodass Experten und Expertinnen seine Rückkehr für unwahrscheinlich halten.

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