Feministische Außenpolitik: kein Grund zum Hyperventilieren
Außenministerin Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze wollen die Arbeit ihrer Häuser künftig unter feministischen Gesichtspunkten aufstellen.
© Quelle: Reuters
Berlin. Es gibt jetzt also Leitlinien für eine feministische Außenpolitik und obendrauf eine feministische Strategie fürs Entwicklungshilfeministerium. Feminismus, Gendermainstreaming, Genderbudgeting in der Regierung – wer angesichts der Begriffe zum Hyperventilieren neigt oder zu einem der richtig lustigen Schenkelklopferwitze unter der zumindest gedachten Überschrift „Gedöns“, dem sei Durchatmen empfohlen.
Es geht darum, Frauen weltweit mehr Mitsprachemöglichkeiten zu verschaffen, frauenspezifische Themen und Probleme sichtbarer zu machen: Vergewaltigung, Misshandlungen, Unterdrückung, Fluchtbedingungen sind nur einige Beispiele. Es geht darum, Frauen weltweit Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen, um Gleichstellung und Gleichberechtigung also. Das ist nicht furchtbar witzig, sondern eine Selbstverständlichkeit und eher furchtbar bedauerlich, dass darum gerungen werden muss.
Feminismus: Auch heute noch ist der Bundestag zu zwei Dritteln männlich
Zur Erinnerung: Feminismus gibt es, weil immer dafür gekämpft werden musste, dass Frauen gegenüber Männern nicht benachteiligt werden. Auch hierzulande. Und auch heute noch. Ein Konto eröffnen, ohne Erlaubnis des Ehemanns arbeiten gehen, den Ehemann bei Vergewaltigung anzeigen können – all das dürfen Frauen in Deutschland gerade mal seit ein paar Jahrzehnten. Wer stellte noch mal die störrische gesetzgebende Mehrheit? Nicht die Frauen. Und auch heute noch ist der Bundestag zu zwei Dritteln männlich.
Nicht der Feminismus ist also die Zumutung, sondern die Zustände, gegen die er angeht. Mittlerweile haben im Übrigen die Unionsparteien eingesehen, dass ohne Quote kaum anzukommen ist gegen Platzhirschgebaren. Gegen eingespielte Machtstrukturen helfen freundliche Bitten leider oft weniger als Druck. Und ja, Leistung ist wichtiger als das Geschlecht. Aber es lässt sich nun mal kaum behaupten, dass an allen Hebeln der Welt nur blitzgescheite Männer sitzen.
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Die Befürchtungen des Markus Söder
CSU-Chef Markus Söder, der Plattitüden für Bierzeltreden gut gebrauchen kann, befürchtet, dass die Außenministerin die Welt missionieren wolle. Mit einem solchen Anwurf, der praktische Überlegungen als Ideologie diskreditiert, ist es leicht, sich jeder Debatte zu entziehen. Söder müsste dann die Frage beantworten, ob die deutsche Außenpolitik lieber gleich ganz auf alle Werte verzichten sollte. Ob es egal ist, wenn Frauen in Ländern wie Afghanistan den Zugang zu humanitärer Hilfe verlieren, weil ihnen der Kontakt zu Männern genauso verboten ist, wie die eigene Arbeit in Hilfsorganisationen? Ob er weiß, dass Frauen häufiger Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden als Männer, dass sie häufiger hungern, weniger Zugang haben zu Geld, Krediten oder Ackerflächen?
Alles Punkte, die natürlich berücksichtigt werden müssen?
Na eben. Wo ist also das Problem?
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Der weibliche Blick: Wie Annalena Baerbock das Außenministerium verändert
Fachwissen, Forschheit, Emotionen sind die Zutaten für die Politik von Außenministerin Annalena Baerbock. Sie ist lautstarker und klarer als Kanzler Olaf Scholz – und kann offenbar von dem Gegensatz profitieren. Nun stellt die einstige Grünen-Chefin eines ihrer Herzensanliegen vor: die Leitlinien zur feministischen Außenpolitik.
Nebenbei ist es auch noch so, dass die Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen deren Erfolgschancen erhöht, dass die Wirtschaft wachsen würde, wenn mehr Frauen arbeiten dürften. Aber auch ohne Nützlichkeitserwägung, ohne den volkswirtschaftlichen Bilanzstrich ist die Beteiligung und Berücksichtigung von Frauen unabdingbar – als Menschenrecht.
Natürlich lassen sich in Baerbocks Konzept Kritikpunkte finden. Es gibt Redundanzen, nicht jede der zehn Leitlinien lässt sich scharf von den anderen trennen. Einiges haben auch frühere Außenminister bereits angeschoben, nur eben unter anderen, weniger aufsehenerregenden Überschriften wie „Geschlechtergerechtigkeit“.
Baerbock versieht das Thema durch Präsentation und Überschrift mit neuer Dringlichkeit. Dass der Begriff der feministischen Außenpolitik bei manchen allergische Reaktionen hervorruft, ist bedauerlich, erhöht aber die Wahrnehmung. Und schon das ist ein Gewinn.