Interview mit dem Ex-Bundespräsidenten

Gauck: Größere Gefahr durch AfD als durch Reichsbürger

Joachim Gauck, Bundespraesident a.D., im Interview mit dem RND.

Joachim Gauck, Bundespraesident a.D., im Interview mit dem RND.

Der frühere Bundespräsident, Joachim Gauck, hat mit Blick auf die Razzia gegen die Reichsbürger vor zwei Wochen im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt: „Die Gefahr, die von der AfD ausgeht, ist größer als die Gefahr durch Reichsbürger. Denn in der AfD findet sich eine Mischung aus Feinden der Demokratie und Protestwählern, die nicht die Demokratie an sich, wohl aber Elemente der liberalen Moderne ablehnen.“ Aktuell drifte die Partei immer weiter nach rechts, die Professoren, die die AfD mitgegründet hätten, seien fast alle draußen. „Wir sollten diese Partei und ihre demokratiegefährdenden Angststrategien immer wieder öffentlich entlarven“, forderte Gauck. „Zudem werden Staatsanwaltschaften und unsere Sicherheitsorgane diejenigen sanktionieren, die unsere Rechtsordnung verlassen haben.“

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Zu den Reichsbürgern sagte Gauck: „Der Staat selbst wird durch diese Leute nicht gefährdet, die politische Mitte ist stabil. Aber wir wollen auch keinen Staat, der jedem Unfug tatenlos zuschaut.“ Der frühere Bundespräsident betonte, wer Hass und Feindschaft in die Gesellschaft trage, müsse mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpft werden. Vor allen Dingen dürfe man den teils skurrilen Vertretern einer antidemokratischen Denkweise nicht seine Angst schenken. „Sie werden niemals in der Lage sein, die Herrschaft an sich zu reißen.“

Gauck: Unterstützung der Ukraine „in unserem eigenen Interesse“

Der frühere Bundespräsident hat gemahnt, dass der Erfolg der ukrainischen Streitkräfte „auch in unserem eigenen Interesse“ sei. Die Unterscheidung zwischen Panzerhaubitzen und Kampfpanzern hat er als „etwas künstlich“ bezeichnet. „Wenn ich mit Militärexperten spreche, ist offenkundig, dass eine Panzerhaubitze eine wirkmächtige Waffe ist, auch im Vergleich zu Kampfpanzern“, sagte Gauck im RND-Interview. Deshalb sei es „etwas künstlich, dass wir ein Waffensystem mit großen Reichweiten und hohem Bedrohungspotenzial als lieferbar hinstellen, während wir es bei einem anderen verneinen, das den Gefechtswert des erstgenannten nicht grundsätzlich überbietet“.

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Die Debatten der letzten Tage hätten zudem gezeigt, dass die Amerikaner die Lieferung bestimmter Waffensysteme nicht grundsätzlich ausschlössen, betonte Gauck weiter. „Es wird also weiter darüber zu reden sein, wie wir die Ukraine militärisch unterstützen können. Der Erfolg der ukrainischen Streitkräfte ist auch in unserem eigenen Interesse“, sagte der frühere Bundespräsident.

Gauck: Von Putin ist „leider Schlimmes zu erwarten“

Gauck forderte weiter eine „starke Unterstützung“ der Ukraine. „Wir sehen zu deutlich die Absicht Putins, eine ganze Bevölkerung unterschiedslos zu terrorisieren, sie erfrieren zu lassen; sie um ihre Rechte, sogar um ihr Lebensrecht zu bringen“, sagte er und betonte: „Auch angesichts des imperialen Wahns, von dem dieser Mann offenkundig besessen ist, ist leider Schlimmes zu erwarten. Deshalb ist nach wie vor eine starke Unterstützung der Ukraine nötig.“

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Ukraine vor den Festtagen: Weihnachten im Krieg

Die Ukraine verschiebt den Festtag, um sich von Russland abzugrenzen. In Charkiw wird unter der Erde gefeiert. In Kiew helfen Lichterketten bei Stromausfall.

Einen Waffenstillstand hält der 82-Jährige aktuell nicht für erreichbar. „Für mich persönlich wäre ein Waffenstillstand heute besser als irgendwann. Ich möchte sehen, dass das Morden aufhört“, sagte der frühere Bundespräsident dem RND. „Wir müssen aber bedenken, dass ein Waffenstillstand im Moment dem übermächtigen russischen Aggressor die Gelegenheit gibt, seine Truppen neu zu organisieren und für Nachschub zu sorgen.“ Deshalb könne die Ukraine über einen Waffenstillstand nur mit der klaren Perspektive zu einem Frieden verhandeln. Die Ukraine brauche zuerst eine Versicherung, dass ein Waffenstillstand nicht zu ihren Lasten gehe.

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Verständnis für Kritik an Merkel

Für die Kritik an Merkels früherer Russlandpolitik äußerte Gauck im Interview mit dem RND Verständnis. „Ich kann die Kritiker in diesem Punkt verstehen und kritisiere auch Teile dieser Russlandpolitik.“ Nach 2014, also nach der Annexion der Krim durch Russland, Nord Stream 2 weiter als privatwirtschaftliche Sache zu betrachten, sei „gewagt“ gewesen. „Da hätte man besser auf die Stimmen unserer östlichen Nachbarn gehört, der Polen, der Balten und unserer atlantischen Partner.“

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Ex-Bundespräsident hat Sympathie für Klimabewegung

Schließlich äußerte Gauck Sympathie für die Klimabewegung. Er hält allerdings die Methoden von Fridays for Future für wirksamer als die der Letzten Generation. „Selbstverständlich ist die Klimafrage ein vordringliches Thema für jetzt. Bei einigen Aktivisten gibt es aber einen missionarischen Überschuss“, sagte der frühere Bundespräsident. Dass sich einige von ihnen irgendwo festklebten, halte er für einen „strategischen Fehler“. Diese Protestmaßnahmen seien nicht zielführend, weil die Mehrheit sie total ablehne und sage: „Euer Anliegen – akzeptiert. Aber eure Protestform, das könnt ihr mal vergessen.“ Wenn sie rufen wollten: „Liebe Eltern und Großeltern, begreift doch endlich, was passiert“, seien die Methoden von Fridays For Future wirksamer. „Sie können Sympathien mobilisieren.“

Gauck betonte, er habe sich „total gefreut“, dass eine junge Generation, der man unterstelle, nichts zu tun als ständig an ihren Smartphones rumzufummeln, auf die Straße renne und sage: „Wir sind hier!“ Sie fühlten sich nicht als Zuschauer, sondern wollten Akteure werden. „Bei einer solchen Selbstermächtigung dürfen sie auch mal übertreiben und anders sprechen als Erwachsene oder gar Großväter.“

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