Regierung übersteht Misstrauensvotum

Ausschreitungen nach Macrons Rentenreform: der Präsident in der Sackgasse

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Paris. Paris, in der Nacht auf Dienstag: Sicherheitskräfte verfolgen mit Steinen werfende Männer, versuchen, sie einzukreisen, zücken die Schlagstöcke. Auf den Bürgersteigen brennt der Müll. Barrikaden aus Kartons und Styropor versperren Straßeneingänge. Sirenen heulen. Es ist die geballte Wut der Protestler über die Regierung und über Präsident Emmanuel Macron, die sich in dieser Nacht Bahn bricht, nicht nur in der französischen Metropole, sondern auch in anderen Städten, von Straßburg bis Nantes, von Lyon bis Marseille. Die Bilanz am nächsten Morgen: 287 Festnahmen, überwiegend leichte Beschädigungen am Stadtmobiliar und Beunruhigung darüber, wie sich die Lage weiterentwickeln wird. Frankreich steckt in einer politischen wie sozialen Krise.

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Groß ist die Empörung darüber, dass die Regierung am vergangenen Donnerstag ihre umstrittene Rentenreform ohne finale Abstimmung in der Nationalversammlung durchdrückte, weil das Ergebnis bis zuletzt auf der Kippe stand. Das Risiko einer Ablehnung wollte Macron nicht eingehen, da seine Reform ein Defizit der Alterssicherungssysteme abwenden soll. Sie sieht die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vor, gekoppelt mit der Beschleunigung eines Gesetzes, nach dem die für den Bezug einer vollen Rente notwendige Einzahldauer auf 43 Jahre steigt. Kritikern zufolge werden vor allem Menschen benachteiligt, die früh ins Berufsleben eingestiegen sind.

Nächtliche Proteste in Frankreich hinterlassen Spur der Verwüstung
dpatopbilder - 21.03.2023, Frankreich, Paris: Ein Feuer brennt auf einer Straße während Menschen nach der Verabschiedung einer umstrittenen Rentenreform protestieren und die Polizei im Einsatz ist. Nach Verabschiedung der umstrittenen Rentenreform in Frankreich ist es in Paris zu gewalttätigen Protesten gekommen. Foto: Gerard Cambon/Le Pictorium via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

In Paris wurde mancherorts eine Spur der Verwüstung hinterlassen: Müll wurde in Brand gesetzt, Fahrzeuge wurden demoliert, Haltestellen entglast.

In der Folge gingen zwei Misstrauensanträge gegen Premierministerin Élisabeth Borne ein, die sie am Montag zwar überstand, in einem Fall aber deutlich knapper als erwartet. 278 Abgeordnete aus allen Oppositionsparteien votierten für einen Antrag der liberalen Liot-Fraktion. Damit fehlten nur neun Stimmen zum Sturz von Borne und ihrer Regierung.

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Die Gegner der Reform sind entschlossener denn je

Die Ohrfeige, die die Premierministerin einsteckte, galt eigentlich dem Präsidenten. „Borne ist transparent“, sagte der sozialistische Abgeordnete Boris Vallaud. „Wen sieht man hinter ihr? Macron.“ Der 45-Jährige hat durch seinen autoritären Regierungsstil und die Missachtung des Parlaments fast alle gegen sich aufgebracht: die Opposition und darunter auch die Republikaner, die er nicht geschlossen auf seine Seite zu bringen vermochte, eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung und die Gewerkschaften, die acht große Streik- und Protesttage organisiert haben. Der neunte steht am morgigen Donnerstag an.

Die Gegner der Reform sind entschlossener denn je. Sie setzen noch auf eine Entscheidung des Verfassungsrates, der das Gesetz prüfen muss, bevor es verkündet wird. Derweil droht Benzinknappheit durch andauernde Streiks in Raffinerien und Öldepots. Der Chef der radikalen Linken, Jean-Luc Mélenchon, rief zu massivem Widerstand auf: „Da die parlamentarische Blockade des Gesetzes nicht funktioniert hat, ist der Moment für die Blockade durch das Volk gekommen.“

Dass Macron nach einem monatelangen Machtkampf noch nachgibt und sein Gesetz zurückzieht, ist unwahrscheinlich. Er stünde als schwacher Präsident da, der nicht einmal eine im internationalen Vergleich moderate Reform durchbringt, während die französischen Staatsschulden zu Jahresbeginn die Rekordmarke von mehr als 3000 Milliarden Euro überschritten haben. Viele Optionen bleiben ihm nicht. Eine Regierungsumbildung würde wenig ändern – sein Kabinett setzt lediglich die von ihm vorgegebene Politik um. Dasselbe gilt für die mögliche Absetzung von Élisabeth Borne. Bleibt nur die Schadensbegrenzung. Am Mittwoch um 13 Uhr gibt Macron eine Fernsehansprache. Seine Kritiker sehen darin den nächsten Fauxpas, denn diejenigen, die seine Reform vor allem betrifft, arbeiten um diese Uhrzeit. Dass er den richtigen Ton trifft, um die Lage zu beruhigen, scheint so gut wie ausgeschlossen.


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