ÖPNV, Spritpreis, Energiepreis: So will der Bund die Menschen in Deutschland entlasten
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Die Vorsitzenden der Ampelparteien (v. l.), Lars Klingbeil, Vorsitzender der SPD, Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, und Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, kommen zu einem Statement zum geplanten Entlastungspaket als Reaktion auf die gestiegenen Energiepreise vor dem Reichstagsgebäude.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
Eigentlich hatte die Ampel genau das anders machen wollen als die Vorgängerregierung: Die ganze Nacht verhandeln und sich ohne Schlaf in den nächsten anstrengenden Tat stürzen. Aber ihre guten Vorsätze haben SPD, Grüne und FDP kurzerhand über Bord geworfen, weil der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dramatische wirtschaftliche Auswirkungen auch auf Deutschland hat und Unruhe in der eigenen Gesellschaft verhindert werden soll.
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Um 21 Uhr am Mittwochabend kamen die Spitzen der Parteien zum Koalitionsausschuss zusammen, um 8 Uhr am Donnerstagmorgen sind sie wieder auseinandergegangen, verlautet aus dem Kanzleramt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe das Ringen um das zweite Entlastungspaket binnen weniger Wochen von der ersten bis zur letzten Minute mitgemacht.
Bei einem zweistelligen Milliardenvolumen ist das keine Überraschung. Nur: Scholz ist danach direkt nach Brüssel gereist, um von der nationalen zur internationalen Ebene zu wechseln, die über die Konsequenzen aus Wladimir Putins Krieg verhandelt. Bei den Nato-, EU- und G7-Treffen ist die Dimension noch einmal größer. Es geht darum, eine Eskalation des Kriegs zu einer direkten Konfrontation von Nato und Russland zu verhindern. Scholz ist ein Dreh- und Angelpunkt in Brüssel. Denn: Deutschland hat in diesem Jahr die G7-Präsidentschaft.
In Berlin verkünden am Vormittag um kurz nach 11 Uhr die Parteichefs Ricarda Lang (Grüne), Christian Lindner (FDP) und Lars Klingbeil (SPD) die Ergebnisse der Beratungen. Sie wirken erleichtert und loben sich für ihre Entscheidungen. Jede Partei hat etwas für ihre eigene Klientel bekommen.
Klingbeil sagt, bisher habe keine Regierung in den ersten 100 Tagen derartige Herausforderungen zu bewältigen gehabt. Lindner erklärt, sie hätten es sich in dieser Nacht nicht leicht gemacht, „aber es ist gelungen!“. Und Lang jubelt geradezu über eine „energiepolitische Unabhängigkeitserklärung“. Sie macht aber noch eine Bemerkung, die wie eine Vorwarnung klingt: „Wir wissen nicht, was alles noch auf uns zukommt.“ Nicht jede Belastung werde die Regierung auffangen können.
Hier eine Übersicht über die Beschlüsse:
Energiepreispauschale
Alle einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen bekommen einmalig eine sogenannte Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro als Zuschuss zum Gehalt. Der Betrag wird über die Lohnabrechnung des Arbeitgebers ausgezahlt. Die Pauschale muss wie das Einkommen versteuert werden. Gutverdiener bekommen unterm Strich also weniger ausgezahlt als Geringverdiener. Ob und wenn ja, in welcher Höhe Sozialbeiträge fällig werden, ist noch unklar.
Selbständige erhalten einen Vorschuss über eine einmalige Senkung ihrer Einkommensteuer-Vorauszahlung. Rentner erhalten die Pauschale nicht. Um in Zukunft einen einfachen und unbürokratischen Weg für Direktzahlungen an Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen – etwa beim geplanten Klimageld – will die Bundesregierung „möglichst noch in diesem Jahr“ einen Auszahlungsweg über die Steuer-Identifikationsnummer entwickeln.
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen schrittweise reduzieren.
© Quelle: Reuters
Familienzuschuss
Alle Empfänger von Kindergeld bekommen einen einmaligen Zuschlag von 100 Euro je Kind. Er wird auf den Kinderfreibetrag angerechnet. Dass bedeutet, dass Gutverdiener davon nicht zusätzlich profitieren.
Einmalzahlung für Grundsicherungsempfänger
Die bereits beschlossene Sonderzahlung für die Bezieher von Hartz IV, Grundsicherung und Sozialhilfe in Höhe von 100 Euro wird verdoppelt. Außerdem wird in Aussicht gestellt, dass die Regelsätze zu Anfang 2023 angesichts der hohen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln deutlich angehoben werden.
Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe
Für drei Monate werden die Steuern auf Benzin und Diesel auf das europäisch zulässige Mindestmaß abgesenkt. Das bedeutet eine Reduzierung bei Benzin um 30 Cent und bei Diesel um 14 Cent. Der von Finanzminister Lindner vorgeschlagene Tankrabatt kommt nicht. Durch eine Gesetzesänderung soll das Bundeskartellamt zudem mehr Rechte bekommen, um zu gewährleisten, dass sinkende Rohstoffpreise rascher als bislang an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden.
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Das Ifo Institut rechnet mit 5,1 bis 6,1 Prozent Inflation für 2022 statt der im Dezember erwarteten 3,3 Prozent.
© Quelle: Reuters
ÖPNV-Ticket
Für 90 Tage wird bundesweit ein verbilligtes Monatsticket für die öffentlichen Verkehrsmittel eingeführt. Es soll 9 Euro im Monat kosten. Details zur Umsetzung sind noch offen. Die Kosten übernimmt der Bund, indem er die sogenannten Regionalisierungsmittel für die Länder erhöht.
Energieversorgung
Die Ampelkoalition will den Umstieg auf erneuerbare Energie stärker vorantreiben, um die Abhängigkeit von Russland zu beenden. So sollen unter anderem die Genehmigungsverfahren für LNG-Terminals beschleunigt und Biomasse vermehrt für die Gaserzeugung genutzt werden. Kohlekraftwerke sollen länger als Notreserve in Bereitschaft gehalten werden. Am Kohleausstieg bis 2030 will die Koalition „idealerweise“ dennoch festhalten
Senkung des Energieverbrauchs
Die Bundesregierung will eine große Werbekampagne für das Energiesparen starten und auch kleinere Investitionen (intelligente Thermostate, hydraulischer Abgleich älterer Heizungsanlagen) finanziell fördern. Bei Neubauten gilt ab 2023 verbindlich der Effizienzstandard 55.
Zudem soll gesetzlich festgeschrieben werden, dass ab 2024 „möglichst“ jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss. Reine Gasheizungen sind damit zum Beispiel nicht mehr möglich. Parallel dazu soll das Gaskesselaustauschprogramm optimiert und eine „Wärmepumpen-Offensive“ gestartet werden.
Inkrafttreten
Wann die einzelnen Maßnahmen greifen, ist noch völlig offen. Zum Großteil sind Gesetzesänderungen notwendig, die erst in Bundestag und Bundesrat beraten werden müssen. Mit den Entlastungen ist frühestens Mitte/Ende April zu rechnen.
Kosten
Das gesamte Paket kostet nach Angaben von Lindner 16 Milliarden Euro – so viel wie das erste Entlastungspaket, zu dem unter anderem eine höhere Werbungskosten- und Fernpendlerpauschale gehört. Die Ausgaben sollen über neue Schulden im Ergänzungshaushalt 2022 finanziert werden.