Urlaub mit Abstand: Ein Plädoyer für das Alleinreisen

Ein Backpacker steht in Norwegen auf einem Berg. (Symbolbild)

Ein Backpacker steht in Norwegen auf einem Berg. (Symbolbild)

Hannover. Es war wohl dieser eine Moment im walisischen Seebad Llandudno, der mich für immer zum Umdenken brachte. Ein lauer Frühsommerabend im Mai. Hinter mir lag eine Fahrt durch den Snowdonia-Nationalpark. Nun lagen die Berge hinter mir – und vor mir das Meer. Und entlang der Promenade die schneeweißen Häuser der viktorianischen Küstenstadt.

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Llandudno? Ein Ort, von dem ich zuvor nie gehört hatte und dessen Schönheit mich in diesem Moment völlig überraschte. Wäre ich hier jemals hergekommen, wenn ich in einer Gruppe gereist wäre? Vermutlich nicht.

Da war diese kleine Bushütte direkt am Strand. Sie hatte ein Fenster mit Meerblick – wo gibt’s denn so was? Hinter ihr ging langsam die Sonne unter – eine Szenerie, die ein Foto kaum festhalten kann. Und ich blieb mindestens eine Stunde da so sitzen. Überwältigt von der Ruhe und Friedlichkeit dieses Ortes, angetan von der neu entdeckten grenzenlosen Freiheit. Und felsenfest überzeugt davon, ab jetzt für immer Alleinreisender zu sein.

Bushaltestelle mit Meerblick im walisischen Seebad Llandudno.

Bushaltestelle mit Meerblick im walisischen Seebad Llandudno.

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Alleinreisen liegt laut Studien im Trend

So wie bei mir fängt es bei vielen an – und ein Großteil der Alleinreisenden kommt nicht mehr davon los. Galt der Solotrip früher allenfalls als Kompromiss für Singles, ist er heute bei vielen eine Lebenseinstellung.

Verschiedene Studien bestätigen den Trend zum Ego-Trip: Laut einer Umfrage der Reisewebsite Skyscanner reisen immer mehr Deutsche aus Überzeugung allein. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Reisebüro Abta. Auch international ist die Alleinreise ein großes Thema, wie eine Visa-Studie bestätigt.

Mein Solotrip nach Wales war damals eigentlich aus der Not heraus geboren. Jahrelang hatte ich meine Reisepläne den Vorstellungen anderer angepasst oder ganz zurück gestellt. Wer will schon im Frühsommer nach Wales? In ein Land, in dem es gefühlt sechs Tage die Woche regnet und am siebten nieselt. Meine Freunde jedenfalls nicht – ich aber schon. Während sie weiter in die Sonne reisten, stellte ich meine Urlaubsträume hinten an.

Bis eben zu dieser besagten Woche im Mai. Es brauchte ein bisschen Überwindung, doch dann buchte ich eine Fähre von Dünkirchen nach Dover, und fuhr einfach drauf los, einmal quer durchs Land. Ohne Zeitplan, ohne eingeplante Aktivitäten – und ohne Begleitung. Es sollten viele weitere dieser Reisen folgen.

Die perfekte Reiseform für die Corona-Pandemie

Doch warum ist die Erfahrung des Alleinreisens für mich und viele andere so attraktiv? Und warum sollte es jeder mal ausprobiert haben?

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Ein Pro-Argument für die Alleinreise liegt ganz aktuell auf der Hand: die Corona-Pandemie. Der Solotrip ist eine Reiseform, die überhaupt niemandem wehtut – denn Abstand gehört hier zum gewollten Grundkonzept. Viele Alleinreisende suchen die Natur, die Abgeschiedenheit, übernachten oftmals fernab jeder Zivilisation.

Das Hauptargument vieler Wiederholungstäter ist allerdings ein anderes: Unabhängigkeit. Das bestätigen auch die Studien: Männer reisen laut “Skyscanner” gern allein, weil sie das Abenteuer lockt. Frauen seien demnach oftmals auf der Suche nach Erholung und Selbstfindung.

Tatsächlich bietet die Alleinreise die größtmögliche Unabhängigkeit. Denn so schön ein Urlaub zu Zweit auch ist – er ist immer ein Kompromiss. Der eine will um 7 Uhr ans Frühstücksbuffet, während der andere lieber ausschlafen möchte. Der eine hat Lust auf eine ausgiebige Wanderung, der andere entspannt lieber in der Sonne. Das fällt bei einem Solotrip gänzlich weg. Hier gibt es nur eine Person, auf die man Rücksicht nehmen muss: sich selbst.

Als weiteren Aspekt nennen viele Gleichgesinnte die intensivere Wahrnehmung der Reise – womit wir wieder beim walisischen Seebad wären. Ein Sonnenuntergang zu Zweit kann zwar wunderschön sein, doch wer keinen Reisepartner an seiner Seite hat, nimmt seine Umgebung viel aufmerksamer wahr. Seien es die Wunder der Natur, urige Gässchen beim Städtetrip oder der der Besuch in einem skurrilen landestypischen Restaurant.

Alleinreisen als Selbsttherapie

Doch die Alleinreise verändert seine Anhänger auch darüber hinaus. Zum einen ist der Solotrip auch immer eine Bildungsreise: Wer zu Zweit oder mit Freunden reist, gibt die unangenehmen Dinge bei der Organisation oft an Leute ab, die sich besser damit auskennen. Wie komme ich zum Hotel? Was bedeutet diese Klausel da im Mietwagenvertrag? Wie viel Trinkgeld gibt man hier eigentlich? Auf der Alleinreise gibt es niemanden, der helfen könnte – und das ist gut so.

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Mit der Alleinreise geht darum auch immer ein Erfolgserlebnis einher: Wer nach erfolgreichem Solotrip nach Hause kommt, ist über seinen Schatten gesprungen, hat geschafft, was andere sich nie wagen würden. Ein kleiner Boost fürs Ego also.

Die Reisebloggerin Emily Mulligan beschreibt ihre Solotrips in einem Beitrag für das Portal “Hostelworld” gar als Selbsttherapie: “An alle da draußen, die das lesen und sich mit mentalen Gesundheitsproblemen herumschlagen: Ich möchte, dass ihr wisst, dass es sich lohnt, aktiv gegen die Verzweiflung vorzugehen; zu kämpfen, bis ihr euch mental stark genug fühlt, um alleine ein Flugticket zu buchen. Das Reisen ist ohne Zweifel der schnellste Weg, um als Person zu wachsen und Inspiration in das eigene Leben zu bringen. Meine wunderbaren Reisemärchen wurden erst durch die Arbeit an meinen psychischen Problemen möglich.”

Ihre Kollegin, die Bloggerin @JohannaW, glaubt derweil, dass eine Alleinreise sie mutiger macht: “Ich bezweifle, dass ich, wenn ich mit jemand anderem zusammen reisen würde, Bungee-Jumping in Neuseeland, mit Haien tauchen in Südafrika oder eine nächtliche Wanderung in einem Vulkankrater in Indonesien ausprobiert hätte. Alleine zu reisen bedeutet, ohne die Meinungen, Zweifel und Ängste einer anderen Person zu reisen. Alleine reisen macht dich mutig”, schreibt sie.

Warum Domian alleine reist

Als einer der bekanntesten Alleinreisenden gilt der Moderator Jürgen Domian. Er verbringt im Jahr oft mehrere Wochen in Lappland in Nord-Skandinavien, mietet sich eine Hütte im Wald und wandert durch die Natur – ganz allein, und sogar das Smartphone bleibt aus.

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Moderator Jürgen Domian reist gern allein.

Moderator Jürgen Domian reist gern allein.

Dem Podcast “Reisen Reisen” sagte Domian kürzlich: “Die ersten Tage, manchmal sogar die erste Woche, ist das die Hölle. Wir sind es ja gewohnt, uns ständig zuzuballern. Wir sind immer Eindrücken ausgesetzt, haben nie Langeweile. Sich von all dem zu befreien, bedeutet dass du dir selbst ausgesetzt bist. Und das ist nicht immer schön.”

Man blicke dabei auch in seine eigenen Abgründe, so Domian. “Alles brodelt hoch. Tausend Dinge des Lebens, Erinnerungen, Verletzungen, die man erfahren hat. Aber ich sehe auch das Unrecht, was ich anderen Menschen angetan habe. Ich war schon oftmals kurz davor zu sagen: Ach kommt – jetzt fahr ich irgendwo hin, wo es touristischer ist und gehe in eine Kneipe. Aber ich habe es immer durchgehalten, Gott sei Dank.”

Nach drei, vier Tagen in der Natur komme man dann allerdings in einen Zustand, der laut Domian “mit nichts zu beschreiben” sei. “Ich denke dann nichts”, so der Moderator. “Darum zieht es mich da immer wieder hin. Mit dieser gigantischen Einsamkeit und der tollen Natur. Einfach im Nichts zu sein, das ist viel wichtiger als Glück. Es gibt gar keinen richtigen Begriff dafür. Am nächsten kommt wahrscheinlich: tiefe Zufriedenheit.”

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Wie man eine Alleinreise plant

Zugegeben: Fünf Wochen allein in den Wäldern Laplands ist sicherlich die Pro-Version des Alleinreisens. Wer damit keine Erfahrung hat, kann sich von den Eindrücken und Emotionen möglicherweise erschlagen fühlen. Wer es erst mal nur ausprobieren möchte, sollte daher lieber klein Anfangen: Keine Weltreise, sondern vielleicht erst mal eine Rundreise durch Deutschland – das wäre schließlich auch im Sinne der Corona-Einschränkungen.

Zudem empfiehlt es sich, seinen Urlaub gründlich zu planen – denn im Zweifel gibt es niemanden, der einem aus der Patsche hilft. Das hat dann zwar wenig mit einem spontanen Abenteuer zu tun, doch es reist sich deutlich entspannter.

Viel wichtiger als das ist allerdings das richtige Mindset für den Solotrip: Vielen fällt es schwer, den Alltag loszulassen und zu akzeptieren, dass gerade überhaupt nichts zählt – außer man selbst. Den ganzen Tag im Bett bleiben und lesen ist genauso okay, wie morgens um 4 Uhr aufzustehen, um den Sonnenaufgang zu sehen. Es gibt niemanden, der das in Frage stellen könnte.

Der Gedanke, alleine in einem Hotel einzuchecken oder ins Restaurant zu gehen, ist für viele Menschen derweil immer noch höchst befremdlich. Oft schwingt die Angst mit, von anderen Reisenden als merkwürdig wahrgenommen zu werden. Auch hier gilt es, unsinnige Ängste abzustreifen.

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Denn die Wahrheit ist: Niemand schaut mitleidig auf Alleinreisende. Warum auch? Schließlich ist es die allerschönste Reiseform der Welt.

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