Mehr als 1100 Tote

Unicef-Helferin berichtet von Flutkatastrophe in Pakistan: „Zerstörung ähnlich wie bei heftigem Erdbeben“

Pakistan, Jaffarabad: Häuser sind von Hochwasser durch Überschwemmungen in der Stadt Sohbat Pur umgeben.

Pakistan, Jaffarabad: Häuser sind von Hochwasser durch Überschwemmungen in der Stadt Sohbat Pur umgeben.

Die verheerenden Überschwemmungen in Pakistan haben jüngsten Angaben der Behörden zufolge bereits mehr als 1160 Menschen das Leben gekostet. Die Lage vor Ort ist weiter unübersichtlich, auch wenn das Hochwasser in diesen Tagen in vielen Teilen des Landes zurückging. Dennoch seien einige Orte durch zerstörte Straßen und Brücken noch von der Versorgung abgeschnitten, berichtet Gerida Birukila, Unicef-Außenstellenleiterin in Quetta, der Hauptstadt der besonders betroffenen Provinz Belutschistan, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) von vor Ort.

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Birukila lebt seit vier Jahren in Quetta. Mehrere Tage funktionierten Strom und Kommunikation auch dort nicht, nun ist sie wieder telefonisch erreichbar. „Die Zerstörung durch die Fluten ist ähnlich wie bei heftigen Erdbeben“, erklärt sie, „die Straßen wurden zum Teil weggespült oder haben große Risse.“ Dadurch hätten sie immer noch nicht Zugang zu allen betroffenen Orten. „Einige Gemeinden sind noch komplett von Wasser umgeben.“ Bei den betroffenen Gemeinden könnten sie noch nicht einschätzen, wie es den Menschen dort gehe.

Gerida Birukila von Unicef Pakistan

Gerida Birukila von Unicef Pakistan

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„Sorgen um Nahrung, Wasser und gesundheitliche Situation“

„Wir machen uns hauptsächlich Sorgen um Nahrung, Wasser und die gesundheitliche Situation“, erklärt Birukila von Unicef. In die zugänglichen Bereiche würden Unicef, aber auch die Regierung und weitere Nichtregierungsorganisationen Teams schicken, die helfen. „Die Menschen brauchen sauberes Wasser, weil das Wassersystem zerstört ist“, berichtet sie. Das Wasser werde etwa aus nicht so stark betroffenen Regionen in Wassertanks in die schwer betroffenen Orte befördert.

Außerdem brauchten die Betroffenen dringend Gesundheitsdienste. Die Folgen der Fluten sind dramatisch: „60 Prozent der Gesundheitseinrichtungen wurden beschädigt oder komplett zerstört.“ Deshalb versuchten sie aktuell, provisorische Gesundheitscamps einzurichten, in denen Menschen mit unmittelbaren Bedürfnissen geholfen werden könne.

Weit über 1000 Tote durch Überschwemmungen in Pakistan
 Torrential rains and storms cause flooding in Pakistan Torrential rains and storms cause flooding in Pakistan. Downpours and severe storms affected life in the Dagai Mukaram Khan region, near the city of Peshawar. Citizens made their way through the flooded streets with difficulty. Peshawar Pakistan Dagai Mukaram Khan Copyright: RanaxSajidxHussain

Nach wochenlangen Monsun-Niederschlägen werden die massiven Folgen für das Land sichtbar.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) drohen drastische Einschnitte bei der Gesundheitsversorgung. Millionen Menschen hätten den Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten verloren, teilte die WHO am Mittwoch in Islamabad mit. Demnach wurden 888 Gesundheitseinrichtungen beschädigt. Der für Pakistan zuständige Regionaldirektor Ahmed Al-Mandhari sagte, die Zerstörungen seien um einiges schlimmer als bei vergangenen Fluten in dem südasiatischen Land.

Betroffene holen Hilfsgüter mit der Aufschrift „Flood Emergency Response 2022“ ab, die von internationaler Hilfe an von der Flut betroffene Menschen verteilt werden.

Betroffene holen Hilfsgüter mit der Aufschrift „Flood Emergency Response 2022“ ab, die von internationaler Hilfe an von der Flut betroffene Menschen verteilt werden.

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Sorge vor Krankheiten wie Cholera und Ruhr

Außerdem geht in der Region die Sorge um, dass sich Krankheiten wie Cholera und Ruhr ausbreiten könnten. Bereits jetzt kämen weniger Verletzte, sondern eher Menschen mit Durchfallkrankheiten zur Behandlung, sagte Farhad Khan, der ärztliche Leiter einer behelfsmäßigen Klinik in der Stadt Charsadda in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa am Mittwoch. Es gebe allein in Khyber Pakhtunkhwa bereits Hunderte Ansteckungen mit Krankheiten, die über schlechtes Trinkwasser übertragen werden. Die Weltgesundheitsorganisation teilte mit, man beobachte genau, ob sich möglicherweise Krankheiten wie akuter Durchfall oder Cholera ausbreiteten. Das wolle man auf jeden Fall verhindern.

Auch Birukila von Unicef treibt diese Sorge um, wie sie dem RND berichtet: „Wir hatten schon vor den Fluten einen Choleraausbruch, und ich befürchte, dass die Fluten noch mehr wasserbürtige Krankheiten verursachen werden“, sagt sie. Sie würden alles dafür tun, das zu verhindern. Dafür würden sie aktuell in den betroffenen Regionen bereits gegen Cholera impfen. Azra Fazal Pechuho, Gesundheitsministerin in der besonders schwer betroffenen Provinz Sindh, sagte, in den Hochwassergebieten seien 4210 medizinische Versorgungseinrichtungen hochgezogen worden, wo vor allem Menschen mit Hauterkrankungen und sogenannten wasserbürtigen Krankheiten versorgt würden.

Pakistan, Charsadda: Ein Mädchen sitzt nach schweren Regenfällen in den Trümmern ihres Hauses.

Pakistan, Charsadda: Ein Mädchen sitzt nach schweren Regenfällen in den Trümmern ihres Hauses.

Notunterkünfte dringend benötigt

Was ebenfalls dringend benötigt werde, seien Notunterkünfte, sagt Birukila von Unicef. „Die Böden sind voller Wasser, es ist sehr schwer, in so einer Umgebung zu überleben.“ Dazu komme, dass ein Land wie Pakistan, in dem es sonst immer sehr heiß und trocken gewesen sei, nicht auf eine Katastrophe dieser Art vorbereitet gewesen sei. Sie selbst habe in den ersten zwei Jahren, in denen sie in Pakistan gelebt habe, kein einziges Mal Regen gesehen, berichtet Birukila. „Die Menschen haben keinen Regenschirm, keine Regenjacken, keine Gummistiefel. Sie haben das nie gebraucht, weil es immer heiß ist“, macht sie eindrücklich klar, wie wenig vorbereitet die Bevölkerung auf die Fluten war. „Das ist meines Erachtens eines der Probleme, mit denen wir uns befassen müssen, dass der Klimawandel unsere Lebensweise verändert und wir unsere Häuser anders bauen und uns darauf vorbereiten müssen, mit dem Gegenteil von dem umzugehen, was wir früher hatten“, sagt die Unicef-Angestellte.

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Neben Wohnhäusern und Krankenhäusern wurden auch viele Bildungseinrichtungen zerstört. „In einigen Distrikten sind 70 Prozent der Schulen beschädigt, was die Bildung viele Jahre zurückwerfen wird“, befürchtet Birukila. Daher sei es auch Aufgabe von Unicef, Übergangslösungen zu finden, durch die Kinder und Jugendliche weiter lernen könnten, während die Regierung die Schulen wieder aufbauen lasse. „Und das kann Jahre dauern“, so die Unicef-Außenstellenleiterin.

„Beispiellose Klimakatastrophe“: UN-Generalsekretär Guterres will nach Pakistan reisen

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat bereits mit Lieferungen erster Hilfsgüter in das vom Hochwasser schwer getroffene Land begonnen.

Rund ein Drittel der Todesopfer sind Kinder

Rund ein Drittel der Todesopfer sind Kinder. Zudem haben viele Kinder und Jugendliche, die die Katastrophe überlebten, ihre Familien verloren. „Ein Teil unserer Arbeit ist es auch, Kinder zu beschützen, die von ihrer Familie getrennt wurden“, sagt Birukila über die Aufgaben von Unicef vor Ort. Sie habe selbst mit Kindern gesprochen, die ihr berichtet hätten, wie sie aufgewacht seien, das Wasser gesehen hätten, das massenweise aus den Bergen herunterkam, und einfach gerannt seien.

„Wir richten ein System ein, um sicherzustellen, dass es Schutz gibt für Kinder, die von ihren Familien getrennt werden. Und dass sie eventuell wieder vereint werden können.“ Doch Birukila ist auch realistisch: „Einige der Bereiche existieren nicht mehr. Die Häuser wurden einfach weggespült. Es dauert noch etwas, bis wir das Ausmaß der Schäden beurteilen können.“ Was helfe, sei, dass Pakistan eine sehr traditionelle Gesellschaft habe, in der die Menschen aufeinander achtgäben. „Pakistan hat ein starkes System der Nachbarschaftshilfe und lokaler Unterstützung.“

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Weiterer Regen erwartet

Eine weitere ganz akute Sorge plagt das Land: Es wird mehr Regen erwartet, etwa ab dem 9. September. „Wir wissen nicht, wie schlimm es wird“, so Birukila. „Wenn wir noch mal so viel Regen bekommen, könnte es ein noch größeres Desaster werden.“ Die Regierung versuche, die Menschen in gefährdeten Regionen schon jetzt zu warnen.

mit AP/dpa/epd

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