Hannovers Deal mit der Letzten Generation: So unterschiedlich fallen die Reaktionen aus
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Fünf Klimaaktivisten der Letzten Generation blockieren eine Straße in Aalen.
© Quelle: IMAGO/onw-images
Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) hatte als erstes Stadtoberhaupt in Deutschland Vertreter der Letzten Generation ins Rathaus eingeladen und einen Deal ausgehandelt: Die Aktivisten verzichten auf weitere Proteste in Hannover, dafür unterstützt Onay verschiedene Forderungen, etwa ein 9-Euro-Ticket einzuführen und einen Bürgerrat auf Bundesebene zu bilden. Zwar lehne er die Protestformen der Gruppe ab, betonte Onay, aber im Ziel stimme man überein: mehr Klimaschutz wagen.
Ist diese Vereinbarung nun ein Erfolg? Und für wen? Die Reaktionen auf den Deal zwischen Onay und der sogenannten Letzten Generation fallen höchst unterschiedlich aus.
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Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) hat sich mit der Letzten Generation geeinigt.
© Quelle: Tobias Woelki
Während die Arbeitgeberverbände Niedersachsen Onay vorwerfen, sich mit Straftätern gemeinzumachen, loben die Grünen im Stadtrat die Dialogbereitschaft ihres Oberbürgermeisters. Und die Letzte Generation verbucht die Vereinbarung als Erfolg des „zivilen Widerstands“.
Koalitionspartner sieht Vereinbarung skeptisch
Für Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Niedersachsen, ist die Sache klar: „Der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover unterstützt die politischen Forderungen von Straftätern“, sagte Schmidt der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (HAZ). Damit offenbare Onay ein zweifelhaftes Rechtsverständnis.
Die Aktivisten werden für ihre Protestformen belohnt.
Lars Kelich,
SPD-Fraktionschef in Hannover
Auch die SPD in Hannover, Koalitionspartner der Grünen, bleibt weiterhin skeptisch. „Die Aktivisten werden für ihre Protestformen belohnt“, sagt der hannoversche SPD-Fraktionschef Lars Kelich. Alle, die unter den Straßenblockaden gelitten hätten, fühlten sich jetzt veräppelt.
Die Letzte Generation sieht sich bestätigt. „Würde die Bundesregierung der existenziellen Bedrohung des Klimakollaps mit derselben Vernunft begegnen wie die Stadt Hannover, wären wir beim Schutz der Bevölkerung einen großen Schritt weiter“, sagt Theodor Schnarr, Sprecher der Gruppierung. Er rufe jetzt alle Bürgermeister auf, dem Beispiel Hannovers zu folgen.
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Leipzigs Bürgermeister findet klare Worte
Gefolgt ist Onays Beispiel bislang niemand. Die Oberhäupter anderer Städte äußern sich eher zurückhaltend. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung hingegen findet klare Worte: „Demokratie lebt von der Debatte, von öffentlichen Austausch der Argumente. Eine Lösung findet sich im Für und Wider der Argumente, niemals dadurch, dass eine Seite die andere erpresst“, sagte Jung der „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ).
Ähnlich äußerte sich Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert: „Man gewinnt die Herzen der Menschen für den Klimaschutz nicht, indem man gegen Recht und Gesetz verstößt und sich auf Straßen festklebt oder Kartoffelbrei auf Bilder schmeißt“, sagte Schubert auf Anfrage der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (MAZ).
Konkretere Gesprächspläne in Göttingen
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) teilte der „Stuttgarter Zeitung“ mit, dass er für Gespräche grundsätzlich offen sei. „Für Gegengeschäfte – politische Forderungen an den Bund gegen Stillhalten der sogenannten Letzten Generation – aber nicht.“
Konkretere Gesprächspläne gibt es bereits in Göttingen. Die dortige Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) werde sich in Kürze mit Vertreterinnen und Vertretern der Letzten Generation treffen, verkündete Dominik Kimyon, Pressesprecher der Stadt Göttingen.
Aktivisten kleben Onays Brief an den Bundestag
Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation hatten den Brief von Onay, den er an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag adressiert hatte, Anfang der Woche in Plakatgröße an den Bundestag geklebt. „Indem wir den Brief direkt an die Tür des Bundestags tragen, kann die Bundesregierung die Nachricht nicht ignorieren“, sagte die Sprecherin der Letzten Generation, Carla Hinrichs. Noch während des Anklebens eines zweiten Plakats griff eine Polizistin ein und riss das Papier von der Wand.
Zudem verteilten die Aktivistinnen und Aktivisten Onays Brief an Abgeordnete sowie Besucherinnen und Besucher des Bundestags. Polizisten sicherten die Plakate und stellten die Personalien der Demonstranten fest. Hannovers Oberbürgermeister distanzierte sich von der Aktion: „Ich lehne die Proteste in dieser Form weiterhin ab. Einer solchen Aktion hätte es nicht bedurft“, sagte er.
Onay weist darauf hin, dass er die Gespräche mit der Letzten Generation aufgenommen hatte, um die Proteste zu beenden. Strafbare Protestaktionen seien für die Letzte Generation selbst nicht förderlich, so Onay. „Ich halte es nicht für besonders klug, was dort gemacht wurde.“
Deal mit der Letzten Generation Thema bei Markus Lanz
Das breite Medienecho führte Hannovers Oberbürgermeister Onay am Donnerstag auch in die ZDF-Talkshow „Markus Lanz“, wo er gemeinsam mit FDP-Fraktionschef Christian Dürr und Journalistin Petra Pinzler unter anderem über Klimapolitik, Tempolimit und Elektroautos debattierte. Lanz wollte von dem Grünen-Politiker wissen, ob er einzelne Forderungen aus dem Deal mit der Letzten Generation selbst umsetzten könne. „Nein“, räumte der OB ein. „Mit anderen Worten: Sie haben die richtig über den Tisch gezogen“, meinte der Moderator. Onay verneinte das.
Mit anderen Worten: Sie haben die richtig über den Tisch gezogen.
Markus Lanz,
ZDF-Moderator
Kritik musste sich Onay in der Sache vor allem von FDP-Fraktionschef Christian Dürr gefallen lassen. „Ich finde es nicht in Ordnung, sich von diesen Leuten erpressen zu lassen“, sagte er. Die Letzte Generation habe für ihn „teilweise totalitäre Tendenzen“.
Onay fühlt sich nicht erpresst
Unterstützung bekam Onay von der Journalistin Petra Pinzler, die für die Wochenzeitung „Die Zeit“ vor allem zu Umwelt- und Klimathemen recherchiert. Sie sah in der Vereinbarung von Hannovers Oberbürgermeister mit den Aktivisten „einen smarten Move“ und „fast eine Entzauberung der Bewegung“. Und Onay betonte: Bei einer Erpressung handele man gegen seinen Willen. „Das war hier nicht der Fall.“
Die Straßenblockaden in Hannover sind unterdessen tatsächlich zum Erliegen gekommen. Karen, eine Klimaaktivistin der Letzten Generation, die ihren Nachnamen nicht nennen will, machte bei einem öffentlichen Austausch in Hannover am Donnerstag jedoch deutlich, dass die Letzte Generation keine Ruhe geben wird: „Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie wir unsere Lebensgrundlagen zerstören. Wir wollen die Menschen wachrütteln.“