Kloakenstreit: Frankreich und Großbritannien geraten wegen Abwässern aus England aneinander
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Steve Bray, einer der bekanntesten Brexit-Gegnern aus Großbritannien, sitzt auf einer Toilette, die vor dem Cabinets Office steht, und liest Zeitung bei einem Protest gegen die Ableitung von nicht vollständig gereinigtem Wasser in Flüsse und ins Meer.
© Quelle: Frank Augstein/AP/dpa
Liz Truss hatte in Frankreich schon einen schlechten Ruf weg, da war sie noch gar nicht britische Premierministerin. Als sie ein paar Wochen vor ihrer Wahl bei einem öffentlichen Auftritt gefragt wurde, ob der französische Präsident Emmanuel Macron „Freund oder Feind“ sei, wich sie einer eindeutigen Antwort aus. „The jury is still out“, sagte Truss in einem scherzhaften Ton, was so viel bedeutet wie: Das ist noch nicht entschieden. „Wenn man unfähig ist zu sagen, ob wir unter Franzosen und Briten Freunde oder Feinde sind, werden wir ernsthafte Probleme haben“, erwiderte Macron erkennbar irritiert.
Probleme gibt es tatsächlich immer wieder zwischen den beiden Ländern, die der Ärmelkanal trennt – und manchmal betreffen die Konflikte auch die Meerenge zwischen ihnen, ob hinsichtlich der Fangrechte für die Fischer oder zuletzt aufgrund von Reisechaos an den Fährterminals. Der jüngste Streit dreht sich um den Vorwurf Frankreichs an Großbritannien, infolge starker Regenfälle, die das britische Kanalisationssystem überforderten, ungeklärtes Abwasser ins Meer zu leiten.
Berichten der BBC zufolge mussten Ende August in England und Wales Dutzende Strände gesperrt werden, nachdem Anwohner beim Schwimmen Exkremente in dem schmutzigen und übel riechenden Wasser entdeckt hatten. Auf der französischen Seite stellten hingegen weder die regionalen Gesundheitsbehörden noch Umweltorganisationen oder Fischer eine Wasserverschmutzung fest.
Dennoch schreckten die BBC-Meldungen drei französische EU-Abgeordnete aus Macrons Regierungspartei La République en marche auf. In einem Brief an EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius schrieb das Trio, es befürchte „negative Folgen für die Qualität des Meerwassers, das wir mit diesem Land teilen, für die Meeresbiodiversität, aber auch die Aktivitäten der Fischer und Muschelzüchter“.
Der Kanal und die Nordsee sind keine Müllhalde.
Drei französische EU-Abgeordnete
Das Vereinigte Königreich habe sich von europäischen Umweltschutzregeln losgesagt, obwohl diese auch unabhängig vom Brexit weiter gelten würden. Denn durch seine Unterzeichnung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und auch im Rahmen des Handels- und Kooperationsabkommens mit der EU habe sich das Land zum Schutz der Meere verpflichtet. Die drei Politiker forderten die EU-Kommission zum Eingreifen auf: „Der Kanal und die Nordsee sind keine Müllhalde.“
Tatsächlich haben Wasserunternehmen in England und Wales im Jahr 2021 laut Umweltbehörden rund 375.000-mal ungeklärte Abwässer in Flüsse und das Meer eingeleitet. Ein Grund hierfür ist die überalterte Kanalisation. Bei starkem Niederschlag stößt das teilweise noch aus der viktorianischen Zeit stammende Netz an seine Kapazitätsgrenzen.
Möchten Unternehmen das Wasser ablassen, müssen sie eigentlich die Behörden informieren und um Erlaubnis bitten. Eigentlich. Denn Experten zufolge gibt es keine ausreichenden Kontrollen. Umweltschutzorganisationen erklärten das Modell der Selbstregulierung deshalb für gescheitert. Doug Parr von Greenpeace drückte es gegenüber Journalisten drastisch aus: „Nach einem Jahrzehnt der Budgetkürzungen und der Deregulierung durch die Regierung sitzt die Umweltbehörde im wahrsten Sinne des Wortes ohne Paddel in der Scheiße.“
Für die Situation verantwortlich gemacht wird auch die neue Premierministerin Truss. Diese hatte in ihrer Rolle als Umweltministerin 2014 bis 2016 Mittel zur Bekämpfung der Wasserverschmutzung gekürzt. Vaughan Lewis, ein leitender Berater der Umweltbehörde, räumte ein, dass es dieser dadurch „unmöglich“ gewesen sei, das Problem ordnungsgemäß zu überwachen.
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Abwasser wird nahe des Hafens von Hampshire eingeleitet.
© Quelle: imago images/Cover-Images
EU-Kommissar Sinkevicius hat inzwischen auf den Brief der französischen Abgeordneten reagiert. „Wir zählen auf das Vereinigte Königreich, um alle seine gesetzlichen Pflichten zu respektieren, um gesundheitliche und Umweltschäden zu verhindern“, schrieb er auf Twitter. Konkretere Folgen gibt es demnach aber vorerst nicht.