Schuttberg würde Rügen meterhoch bedecken

Wohin mit den Tonnen an Trümmern nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien?

Trümmer, so weit das Auge reicht: Wie hier in Samandag in der Türkei sind durch die Erdbeben enorme Mengen an Schutt entstanden. Was passiert nun damit und wie könnte angesichts der Zerstörung ein Wiederaufbau aussehen?

Trümmer, so weit das Auge reicht: Wie hier in Samandag in der Türkei sind durch die Erdbeben enorme Mengen an Schutt entstanden. Was passiert nun damit und wie könnte angesichts der Zerstörung ein Wiederaufbau aussehen?

Hannover. Enorme Mengen Trümmer sind durch die Erdbeben in der Türkei und in Syrien entstanden. Das UN-Entwicklungs­programm (UNDP) schätzt, dass allein in der Türkei zwischen 116 und 210 Millionen Tonnen Schutt und Asche angefallen sind. Informationen aus Syrien sind nur schwer zugänglich, weil aufgrund des jahrelangen Bürgerkriegs und der Zerstörung durch das Beben viele Regionen für unabhängige Journalisten und Journalistinnen sowie Organisationen kaum zugänglich sind.

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Doch was passiert mit diesen Materialien? Und wie kann der Wiederaufbau gelingen?

Trümmer in der Türkei könnten Insel Rügen drei Meter hoch begraben

Würde man die vielen Tonnen Material bis auf eine Höhe von maximal drei Metern aufhäufen, bräuchte man laut UNDP dafür eine Fläche von 30 mal 30 Kilometern. Das entspricht in etwa dem Ausmaß von Deutschlands größter Insel Rügen in der Ostsee.

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Entsorgt werden muss von dieser Menge an Asche und Schutt aber nicht alles, erklärt Professor Hamid Sadegh-Azar. Er ist Bauingenieur, arbeitet an der Technischen Universität Kaiserslautern und hat nach dem letzten schweren Erdbeben 1999 in der Türkei beim Wiederaufbau mitgewirkt. Denn Teile der Trümmer können recycelt werden.

Aus dem Bauschutt kann laut Sadegh-Azar der Stahl herausgeholt, wieder eingeschmolzen und wiederverwendet werden. Wenn der Beton von guter Qualität ist, kann davon ein Teil gemahlen und gemeinsam mit neuem Material zu neuem Beton verarbeitet werden. Dass in der Türkei in Teilen bei der Beton­verarbeitung mit versalztem Wasser und minderwertigen Zusatzstoffen gearbeitet wird, erschwert das Recycling.

Materialen wie Mauerwerk, Putz oder minderwertiger Beton, die nicht weiter­verwendet werden können, werden auf Halden außerhalb der Städte oder auf freien Flächen gebracht. Aber wie bedenklich ist das für die Umwelt? „Größere Umweltrisiken birgt der Bauschutt nicht – es sei denn, es wurde Asbest verwendet.“ In der Türkei mache dies aber „nur einen kleinen Teil aus“.

Wiederaufbau nach Erdbeben in der Türkei: Wie lange wird es dauern?

Die Trümmer­beseitigung ist für die Menschen in der Türkei und in Syrien allerdings nur der erste Schritt. Im zweiten können sie ihre Häuser wieder aufbauen oder reparieren. In der Türkei ist Sadegh-Azar zuversichtlich: „Mit dem Wiederaufbau kann man theoretisch jetzt beginnen. Ich glaube, in zwei bis drei Jahren ist es zu schaffen, vieles wieder aufzubauen.“

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Besonders wichtig dabei: die Gebäude erdbebensicher wieder aufzubauen. Das Bewusstsein dafür habe sich nach dem Erdbeben 1999 in der Türkei gewandelt, sagt Sadegh-Azar. Es sei mehr auf Erdbeben­sicherheit geachtet und die Normen angepasst worden. Ein großer Teil der bisher vorhandenen Gebäude stamme aber noch aus der Zeit vor 1999 und sei deshalb noch schlecht gegen Erdbeben gesichert gewesen. Deshalb seien bei den Beben jetzt auch viele Häuser eingestürzt. Außerdem sei die Bauaufsicht oft zu nachsichtig oder korrupt gewesen.

Zahl der Toten nach Erdbeben in der Türkei und Syrien steigt auf über 40.000

Es gibt auch gute Nachrichten. Mehr als eine Woche nach der Katastrophe werden noch Überlebende in den Trümmern gefunden.

Die Fachkenntnis für erdbebensicheres Bauen sei bei vielen türkischen Ingenieuren vorhanden, aber bei den Firmen und Arbeitern, die die Konstruktionen ausführen, lasse das Wissen nach, sagt Sadegh-Azar. Deshalb müsse man sie ausbilden und auch die Behörden schulen und deren Durchsetzungs­kraft stärken.

Wie kommt Hilfe in die ländlichen Regionen der Türkei und Syriens?

In den ländlichen Regionen kann aber auch das schwieriger sein. Dort müssten sich die Leute nach Natur­katastrophen oft selbst helfen, sagt Christoph Volkmar. Der Architekt im Ruhestand war nach den Erdbeben in Nepal im Jahr 2015 mit der Organisation Ingenieure ohne Grenzen sechsmal vor Ort, um bei der Sanierung von Häusern im Bergdorf Lurpung – 45 Kilometer Luftlinie von Kathmandu – zu helfen.

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Auf die Türkei und Syrien komme eine große Aufgabe zu, schlussfolgert er aus seinen Erfahrungen: „Der Staat wird den Wiederaufbau nicht alleine schaffen.“ Im ländlichen Bereich könnten Hilfs­organisationen dabei den besten Ansatz finden, sagt er – „von unten und am besten mit persönlichen Kontakten zu Menschen vor Ort“. Also zum Beispiel über Hilfs­organisationen, die bereits vor Ort sind, oder über Menschen, die Familien­mitglieder in den betroffenen Gebieten haben.

Bürgerkrieg in Syrien erschwert Zugang zu betroffenen Gebieten

Das dürfte aber besonders in Syrien schwierig werden. Ein jahrelanger Bürgerkrieg und Matchkämpfe zwischen verfeindeten Gruppen und der Regierung erschweren die Hilfen für Betroffene. „Es gibt nur eine rudimentäre technische Ausstattung und Gerätschaft, um die Häuser zu stabilisieren und den Schutt wegzuräumen“, berichtete in der vergangenen Woche Robert Chelhod, Missio-Projektkoordinator in der syrischen Stadt Aleppo.

Hinzu kommen in abgelegenen Regionen Heraus­forderungen, die Volkmar auch aus dem Bergdorf in Nepal kennt: Nicht immer sind Verkehrswege vorhanden oder in sehr schlechtem Zustand. Außerdem mangelt es oft an Baumaterial vor Ort. In Zusammen­arbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern haben die Ingenieure ohne Grenzen in Lurpung trotz der Widrigkeiten bisher 26 beschädigte Häuser saniert – etwa acht weitere sind noch geplant. Der Weg zur Normalität ist lang – das wird auch für die Türkei und Syrien gelten.

Türkische Architekten attestieren Regierung Mitschuld an Katastrophe

Die türkische Architekten­kammer TMMOB attestierte der Regierung große Mitschuld am Ausmaß der Erdbeben­katastrophe mit mehr als 43.000 Toten allein in der Türkei. Durch die nachträgliche Legalisierung Tausender ungenehmigter Bauten habe die Regierung das Leben etlicher Menschen aufs Spiel gesetzt, hieß es in einem Bericht der Kammer vom Donnerstag.

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Knapp die Hälfte der Gebäude in der vom Erdbeben betroffenen Region sei nach 2001 gebaut worden – einer Zeit, in der bereits scharfe Bauvorschriften zur Erdbeben­sicherheit in Kraft waren. Trotzdem sei auch die Hälfte der eingestürzten oder stark beschädigten Gebäude aus dieser Zeit. Die Bauaufsicht sei auf die Privat­wirtschaft übertragen worden, womit der Staat seine Verantwortung für die Allgemeinheit vernachlässigt habe.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Regierungs­vertreter hatten derartige Kritik von sich gewiesen. Erdogan hatte eingestanden, dass es in den ersten Tagen Probleme gegeben habe. Engpässe bei der Versorgung der Krisen­regionen etwa hatte die Regierung unter anderem mit der Größe des betroffenen Gebietes und der Schwere der Katastrophe begründet.

mit dpa

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