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Meeresbiologin freut sich über „mehr Meer im Fernsehen“

„Der Schwarm“-Beraterin Antje Boetius: „Menschheit lebt mit dem Rücken zum Meer“

"Wie könnten schlafende Wale aussehen?" - In solchen Fragen beriet die Meeresbiologin Antje Boetius das Team der Serie "Der Schwarm". Und so wurde ihr Input umgesetzt: In dieser Szene aus der Serie, die ab heute in der ZDF-Mediathek vorliegt, bringt der junge Walforscher Leon Anawak (Joshua Odjick) in einer riskanten Aktion einen Peilsender an einem schlafenden Grauwal an.

"Wie könnten schlafende Wale aussehen?" - In solchen Fragen beriet die Meeresbiologin Antje Boetius das Team der Serie "Der Schwarm". Und so wurde ihr Input umgesetzt: In dieser Szene aus der Serie, die ab heute in der ZDF-Mediathek vorliegt, bringt der junge Walforscher Leon Anawak (Joshua Odjick) in einer riskanten Aktion einen Peilsender an einem schlafenden Grauwal an.

Frau Boetius, was hat Sie an den Meeren fasziniert, dass Sie Ihnen quasi Ihr Leben gewidmet haben?

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Mich fasziniert, dass über 90 Prozent des belebten Raumes des Planeten Erde Ozean ist, und wir wissen so wenig über seine Lebensvielfalt, fast als wäre es ein fremder Planet in unserem Planeten Erde. Und mich interessiert, welche Rolle der Ozean für die Erde spielt und unsere eigene Geschichte - wie sich unsere Wirkung als Menschen auf den Ozean entwickelt und wie sie sein müsste für eine nachhaltige Zukunft.

Sie sind Beraterin für die Fernsehserie „Der Schwarm“ geworden. Wie ist es dazu gekommen?

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Ich habe einen Anruf erhalten und habe mich darüber gefreut, gefragt zu werden, weil es so wichtig ist, mehr Meer ins Fernsehen zu bekommen - sowohl in die Sparte Fiktion wie auch in die Sparte Dokumentarfilm. Und dann ist es ja auch ein besonderes Projekt gewesen, ein Film nach dem Bestseller von Frank Schätzing von 2004, der als unverfilmbar galt. Da ich auch eigentlich immer neugierig bin auf neue Formen von Wissenschaftskommunikation, habe ich dann zugesagt, Szenenberatung und dann auch Drehbuchberatung zu geben. Es haben zudem noch viele andere Meeresforscher mitgemacht. neben dem Alfred-Wegener-Institut haben auch die Institute Geomar, Marum, Hereon sowie auch europäische Partner geholfen, Technik und Unterwasserfilm bereitzustellen.

Nimmt man so etwas als Wissenschaftlerin gerne an – und sieht es als Auszeichnung? Oder überlegt man länger und trägt erstmal Sorge, mit dem Beitrag zu einem Stück Populärkultur vielleicht der eigenen Seriosität zu schaden?

Was kann es Seriöseres geben, als mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zusammenzuarbeiten? (lacht). Ich habe das einfach als Chance gesehen, Bilder der Wissenschaft - wie sie ist und sein könnte - unter die Leute zu kriegen. Es gibt da ja nicht so viel. Wenige Leute wissen, wie Forschung geht, wie international und divers sie ist. Und da bietet die Serie auch ganz neue Perspektiven.

Hat man da im Serienteam in Sachen wissenschaftlicher Korrektheit das letzte Wort - oder gibt es da widerstreitende Parteien, die sagen: Wir machen das jetzt trotzdem, weil es gut ausschaut?

Man macht Vorschläge – es ist ja ein kreativer Prozess von einem riesigen Team, mit vielen vernetzten Abläufen und es geht immer um Zeit und Geld – gerade bei diesem Projekt, das so viele VFX-Bilder, also „visual effects“-Bilder, hat. Dann man zwar sagen „In Szene X ist der Wal zu groß geraten“ – oder „Bitte nicht auf einem schaukelnden Schiff die Weinflasche auf den Rechner stellen, das machen Seefahrer nicht“ - aber ob dann noch Zeit ist, das zu ändern, bleibt natürlich Sache der Produktion. Zudem ist ja Fiktion sozusagen Pflicht, in der Geschichte eines Kampfes einer unbekannten Ozeanmacht gegen den Menschen, der zu viel Schaden anrichtet. Aber viele meiner Tipps, wie man wissenschaftliche Phänomene einbaut, die dann den Schreckensmomenten, den Waffen der Ozeanmacht, zugrunde liegen, sind eingegangen. Szenen haben sich dadurch auch verändert. Das war ein interessanter Prozess. Ich kann jedem Zuschauer empfehlen, da mitzuraten: Was ist wahr, was ist Fiktion und auch die Begleitdokumentarfilme zu sehen. Man lernt viel.

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„Als Zuschauer hat man oft den Blick eines Meereslebewesens“

Ist man initiativ oder kommentiert man eher?

Als Beraterin habe ich Fragen bekommen und Szenenausschnitte, durfte die Serien in ihren verschiedenen Stadien anschauen und herausarbeiten, wo noch mehr wissenschaftliche Grundlage eingehen kann. Das meiste war Bildberatung wie: Wie könnten schlafende Buckelwale aussehen? – Wie kann ein Eiswurm eine Bedrohung sein? - Wie sehen die Spuren von Tiefseebergbau aus? Oder dann auch einfach in der Synchron-Übersetzung der internationalen Dialoge: Wie nennt man auf Deutsch die Roboter-Technik der Meeresforscherinnen? Oder auch: Sind die Stresssituationen zwischen Doktoranden und Institutschefinnen real? (lacht) Es war sehr vielfältig.

Ist man da vor Ort am Set oder bekommt man Drehbücher geschickt?

Ich habe Drehbücher geschickt bekommen und auch eine Webseite, auf der ich die Filmszenen sehen konnte. Ich habe einmal dabei sein dürfen wie im Unterwasserstudio gedreht wurde, das war beeindruckend. Vorher hatte ich keine Ahnung wie überhaupt die für das Buch so typische Perspektive des Meeres eingefangen werden kann. Aber die Bilder sind wirklich toll. Als Zuschauer hat man ganz oft den Blick eines Meereslebewesens, das auf die Menschen und Schiffe schaut - von unten.

Kannten Sie den Roman?

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Ja, ich hab ihn damals gelesen, und es war natürlich spannend und unterhaltsam, die damals ganz aktuelle Forschung vorzufinden, und dabei sogar die Namen von Kollegen, mit denen ich bei den Expeditionen zusammengearbeitet habe, vorzufinden. Es waren sehr viele Details aus der wissenschaftlichen Arbeit, aber eben dicht verwoben zu einem Thriller.

„In der Tiefsee verstecken sich Millionen von Arten, die wir nicht kennen“

Es gibt die Aussage, auch in der Serie, dass man weniger über die Tiefsee weiß als über das All. Das ist aber ein Jahrzehnte alter Spruch. Hat sich das inzwischen geändert? Wächst das Wissen über diese Welt?

Der Spruch kommt daher, dass die Erde zu 70 Prozent wasserbedeckt ist und daher schwer zu „durchschauen“ – daher stimmt es, dass wir bessere Karten von Mars und Mond haben, deren Oberfläche man fernerkundlich vermessen kann - mittlerweile mit Genauigkeit von ein paar Metern. Mit dem Meeresboden, der durchschnittlich in 3,8 Kilometer Tiefe liegt, aber in großen Bereichen noch viel tiefer, geht das nicht. Zudem sind die Meere der Erde voller Leben, von dem wir erst einen Bruchteil beschrieben haben.

Gibt es in deren Tiefen tatsächlich noch unentdeckte Spezies?

Ja, es verstecken sich in der Tiefsee Millionen von Arten, die wir gar nicht kennen. Es können einem auf jeder Expedition neue begegnen, das macht Tiefseeforschung so aufregend.

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Wie fanden Sie die Idee von Frank Schätzing, dass eine völlig anders geartete superintelligente Spezies unerkannt in dieser Tiefe lebt?

Spannend. Das ist die Fiktion im Buch, die auch im Film aufgebaut wird. Man lernt Stück für Stück durch Katastrophen, die zunehmend miteinander zu tun haben, dass eine fremde Macht dahinter steckt. Ein intelligenter Einzeller hat genug von der Zerstörung der Ozeane und will den Menschen vertreiben. Im Grunde ist das die mikrobiologische Version eines uralten Menschheitsmythos, dass göttliche Mächte uns für unsere Fehler bestrafen - mit Sintfluten, Dürren, Krankheiten und anderem Übel.

„Einzeller, die miteinander kommunizieren, gibt es viele im Meer“

Wäre es vorstellbar - rein theoretisch - dass eine solche Lebensform existieren und unentdeckt bleiben könnte?

Einzeller, die miteinander und mit anderen Arten chemisch kommunizieren, gibt es viele verschiedene im Meer und die wenigsten sind genau bekannt. In den Begleit-Dokumentarfilmen zur Serie, die ich sehr gelungen finde, wird erklärt, was es da für wundersame Wesen und Kooperationen zwischen Arten gibt. Aber im Roman beziehungsweise der Serie geht es ja darum, dass diese Einzeller strategisch vorgehen, also intelligent sind, dass sie Sprachen können – und sogar Meeresströmungen umlenken. Das ist ganz klar Fiktion.

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Die Yrr wehren sich gegen den Menschen, der seine und ihre Welt verheert. Seitdem der Roman geschrieben wurde, 2004, hat man das Gefühl, dass Überfischung und Verschmutzung und andere Probleme der Meere nicht weniger sondern eher mehr geworden sind. Von den gigantischen „Plastikinseln“ hatte man zum Zeitpunkt des Erscheinens des Romans noch nichts gehört.

Ja, leider geht es den Ozeanen seit 2004 nicht besser. Die Klimakrise hat zugenommen, die illegale Fischerei und der Zusammenbruch von Beständen im Meer auch. In den letzten heißen Sommern sind Milliarden von Meerestieren an den Küsten des Pazifik verendet. Daher wundere ich mich auch, dass einige Medien nun schreiben, die Verfilmung wäre unrealistisch, da es bei solchen Katastrophen wie gezeigt ja weltweit Proteste geben würde und die sozialen Medien voll von Wissen wären. Ich habe oft das Gefühl, dass der Großteil der Menschheit mit dem Rücken zum Meer lebt und das Sterben darin ein stilles ist. Es fehlt an Stimmen für die Meere. Gerade erst gibt es einen neuen Ehrgeiz, mehr Schutz organisieren zu wollen, aber das steht am Anfang.

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Ist das Meer bisher schutzlos gewesen – weil aller verklappter Dreck sofort unter der Oberfläche verschwindet?

Viele der Probleme werden ja schon sehr sichtbar, man denke nur mal an die Verschleimung des Marmarameers und die vielen toten Meerestiere bei Hitzewellen. Oder die gigantischen Mengen an Müll, die je nach Wind und Strömung in Buchten und an Küsten getrieben werden. Aber ja, für sehr viele Fragestellungen, auch wie es der Tiefsee geht, braucht man High-Tech-Unterwasserforschung und die haben nur sehr wenige Länder. Wir müssten viel mehr darauf achten, wie Prozesse an Land auch auf das Meer wirken - sei es der Verbrauch von Plastik, das sich nicht abbaut, sei es die massive Überdüngung, die soviel Stickstoff ins Meer einträgt oder sei es eben die Klimakrise, die direkt auch auf die Meere wirkt, die zu sauer, zu warm, zu sauerstoffarm werden.

„Es ist ja nicht so, das wir Menschen Korallenriffe hassen“

Was müsste zum Schutz der Meere geschehen?

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Es entwickelt sich langsam das Bewusstsein, dass wir die Kosten von Umweltschäden nicht mehr weiter externalisieren sollten, sondern dass es für alle industriellen Prozesse notwendig wird, zu verstehen, was sie für Folgen für die Natur und die gesamte Menschheit haben. Es ist ja nicht so, dass wir Menschen Korallenriffe hassen, aber dennoch sind wir an einer globalen Korallenbleiche schuld. Zum Schutz der Meere muss man mittlerweile im Großen wie im Kleinen aktiv werden. Die ganz große Idee ist, Klimaneutralität zu erreichen sowie einen umfassenden Meeresschutz von mindestens 30 Prozent der Fläche bis 2030. Derzeit laufen auch die Verhandlungen für den internationalen Schutz der hohen See und damit der Tiefsee, die ja keinem Staat gehört, sondern Erbe der Menschheit ist. Im Kleinen kann jeder was tun - indem die Küstenlebensräume gepflegt werden, Müll aufgesammelt und auf Schutzräume geachtet wird und auch wieder renaturiert wird

Wünscht man sich als Wissenschaftlerin manchmal, es gäbe tatsächlich so eine Lebensform wie die Yrr?

Nein, ich wünsche mir, dass wir Menschen es selbst hinkriegen, die globalen Gemeingüter wie Atmosphäre, Ozean, Wälder zu achten und mit ihnen nachhaltig umzugehen. Dafür sind nun immerhin schon mal ein paar große Verträge durch die Völkergemeinschaft unterzeichnet, und es gibt erste Zeichen, dass es in die richtige Richtung geht - wenn auch viel zu langsam. Zudem sieht man ja auch an der letzten Pandemie, dass unsere Lern- und Transformationsfähigkeit durch eine solche globale Krise einigermaßen beschränkt ist. Ich glaube nicht daran, dass wir durch Angriffe von außen besser im Naturschutz würden. Das ist aus meiner Sicht vor allem eine Sache unserer eigenen sozioökonomischen Regeln und auch unserer Werte in Bezug auf die Natur.

Meeresbiologin Professor Antje Boetius - hier bei der Verleihung des 15. Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2022 im Maritim Hotel. Düsseldorf - beriet das Team der Science-fiction-Serie "Der Schwarm".

Meeresbiologin Professor Antje Boetius - hier bei der Verleihung des 15. Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2022 im Maritim Hotel. Düsseldorf - beriet das Team der Science-fiction-Serie "Der Schwarm".

Antje Boetius (55) ist Professorin an der Universität Bremen und leitet seit November 2017 das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven - ein international anerkanntes Forschungsinstitut, das sich auf die Erforschung der Polargebiete und der sie umgebenen Meere spezialisiert hat. Von 1986 bis 1992 absolvierte die gebürtige Frankfurterin ein Diplom-Biologiestudium an der Universität Hamburg, zwischendurch - von 1989 bis 1991 - studierte Boetius an der Scripps Institution of Oceanography „biologische Ozeanographie“. Ihre Diplomarbeit verfasste sie über Tiefseebakterien, ihre Dissertation über „mikrobielle Stoffumsätze in der Tiefsee der Arktis“.

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Von 1996 bis 1999 war die Tochter des im Vorjahr verstorbenen Dichters Henning Boëtius am Institut für Ostseeforschung an einem Postdoktoranden-Projekt beteiligt, das sich mit der Tiefsee des Indischen Ozeans befasste. 1999 wechselte Boetius zum Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen, wo die Untersuchung untermeerischer Gasquellen sowie die Mikrobiologie des Methanumsatzes im Meer im Mittelpunkt ihres Forschens standen. Für die ZDF-Serie „Der Schwarm“ arbeitete sie als wissenschaftliche Beraterin.

„Der Schwarm“ in der ZDF-Mediathek: Die ersten drei Folgen der Science-fiction-Serie „Der Schwarm“ stehen seit dem 22. Februar in der ZDF-Mediathek zur Verfügung, (Mittwoch, 1. März, ab 10 Uhr. Folge 4, 5 und 6; Mittwoch, 8. März, ab 10 Uhr: Folge 7 und 8). Alle Folgen sind ein Jahr lang in der ZDF-Mediathek abrufbar.

„Der Schwarm“ linear im ZDF: Montag, 6. März, 20.15 Uhr: „Der Schwarm“, Folge 1 und 2; Dienstag, 7. März, 20.15 Uhr: Folge 3 und 4; Mittwoch, 8. März, 20.15 Uhr: Folge 5 und 6; Donnerstag, 9. März, 20.15 Uhr: Folge 7 und 8.

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