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Unfälle, Brände und Verletzungen

Böllerverbot: Wie wär‘s mit einem Kompromiss?

Dass das Böllern verboten wird, ist unwahrscheinlich. Gäbe es noch andere Lösungen, die Gefahr zu senken?

Dass das Böllern verboten wird, ist unwahrscheinlich. Gäbe es noch andere Lösungen, die Gefahr zu senken?

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Hannover. Mir ist nicht ganz klar wie das passieren konnte, aber: Die Diskussion um das Silvesterfeuerwerk ist zu einem ziemlich albernen Kulturkampf ausgeartet.

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Falls Sie die letzten Stunden des Jahres (aus vermutlich guten Gründen) anders verbracht haben als in hanebüchenen Meinungsthreads beim Kurznachrichtendienst Twitter, dann möchte ich ihnen immerhin einen kurzen Überblick über den Stand der Debatte liefern.

Der wohl heißeste Take zum Thema Böllern kam vor ein paar Tagen von einem Informatiker und selbsternannten „Böller-Freak“, der eine Collage von Kleintieren auf der Plattform postete: Fische, Hamster, Fledermäuse, diverse Singvögel. Alle tot und symmetrisch auf einem Tisch angeordnet. All diese Tiere seien Opfern von Katzen! Regelrecht „zu Tode gehetzt“ würden sie Jahr für Jahr! Er habe somit auch „kein Mitleid mit Katzen, die EINMAL IM JAHR in der #Silvester-Nacht wegen #Feuerwerk unterm Schrank hocken“, heißt es weiter.

Der Tweet ist offensichtlich adressiert an all die Tierfreundinnen und -freunde, die alljährlich darüber klagen, wie ihre Haustiere wegen der ganzen Böllerei völlig verängstigt durch die Wohnung schleichen. In einem weiteren Tweet veröffentlicht der Verfasser dann, wie zum Trotz, sein Arsenal an Silvesterraketen, das auf einem Flügelklavier liegt. Darunter etwa „16 Schuss Evil Eye“, „Wunschraketen“ und „Show Star“-Böller – Miau. Das Bild, der Tweet, die Reaktionen – sie sind ein Gesamtkunstwerk. Und leider aber auch stellvertretend dafür, wie die Debatte ums Böllerverbot inzwischen geführt wird.

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Freiheitskampf fürs Böllern

Schon in den vergangenen Jahren war die Diskussion immer mehr ad absurdum geführt worden. Insbesondere in den Corona-Jahren war die Böllerdebatte dann plötzlich keine Böllerdebatte mehr, sondern wurde zur Freiheitsdebatte hochgejazzt. Chefreporter von Tageszeitungen machten ebenso mit wie Politikerinnen und Politiker. Als stünde die Freiheit eines ganzen Landes auf dem Spiel, weil Jerome und Dennis ihre Raketen nicht mehr in Nachbars Hecke schießen dürfen.

Dummerweise, und das sei hier auch erwähnt, werden die Argumente der Gegenseite durch das Theater nicht zwangsläufig seriöser. Die ist inzwischen dazu übergegangen, das Böllern zu moralisieren: Mal soll das Knallen aus Rücksicht vor der Corona-Lage in den Krankenhäusern verboten werden, in diesem Jahr aus Rücksicht vor den Menschen aus der Ukraine – denn die würden schließlich tagtäglich ganz realen Bombenhagel erleben. Nächstes Jahr ist es dann irgendwas anderes.

Nichts davon jedoch bringt die Debatte weiter. Wenn die letzte Batterie abgeschossen, der letzte Rettungswagen im Krankenhaus eingetroffen, die letzte Hecke gelöscht ist, gerät der Kulturkampf ums Silvesterfeuerwerk wieder in Vergessenheit. Bis in 365 Tagen, wenn der nächste Jahreswechsel ansteht.

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Wir müssen übers Böllern reden

Dabei wäre eine seriöse Diskussion wichtig. Die Böllerei ist ein Thema, das die Nation buchstäblich spaltet: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung spricht sich seit Jahren für ein Verbot aus – das zeigen repräsentative Umfragen, in diesem Jahr etwa von der Verbraucherzentrale Brandenburg. Pyromantiker hingegen argumentieren seit Jahren leidenschaftlich dagegen an. Sie wollen sich den Spaß nicht verbieten lassen, schon gar nicht nach den vergangenen drei Krisenjahren – und abgesehen davon gehöre das Böllern zum Kulturgut dieses Landes, da es zu schützen gilt. Wie etwa auch das Auto, die Currywurst oder das „Layla“-Lied.

Und die Politik? Die zieht sich aus der Verantwortung und tastet das Thema lieber gar nicht erst an. Handhabe haben aktuell nur die Kommunen, die regionsbedingt Böllerverbote aussprechen. Zudem gibt es ein paar vage Regeln, etwa dass in der Nähe von brandempfindlichen Gebäuden, Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen nicht geknallt werden darf. Daran halten tut sich auch in diesem Jahr kaum jemand.

Rein nüchtern betrachtet ist es schon erstaunlich, dass hierzulande immer noch so frei und praktisch ohne Regeln geböllert werden darf. Die Konsequenzen des bunten Spaßes sind enorm, das müssten sich selbst die größten Pyrofans eingestehen: Die Stadt gleicht nach dem Silvesterabend einer Müllkippe, die Feinstaubbelastung ist hoch, neben den schon erwähnten Haustieren leiden auch alle möglichen Wildtiere – viele von ihnen sind sogar Vegetarier.

Tipps für den Notfall: Wie man mit Böllern und Feuerwerk umgeht
Symbolbild: Beschlagnahmtes Silvester-Feuerwerk aus Polen, das in Deutschland verboten ist.

In der Silvesternacht haben die Notaufnahmen Hochkonjunktur. Nicht ohne Grund.

Pyrokleinkrieg in Berlin

Jahr für Jahr kommt es wegen der Knallerei zu Verletzungen oder sogar Todesfällen. Bleibt man beim Freiheits-Spin könnte man zwar argumentieren, dass jeder für sein eigenes Leid und seine eigenen Körperteile verantwortlich ist – so einfach ist aber auch das nicht: Jedes Jahr brennen wegen des Silvester­feuer­werks ganze Häuser, Wohnungen oder Firmengebäude von Unbeteiligten ab, weil sich Raketen verirren.

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Dieser Tage geht, ebenfalls auf Twitter, ein Video aus Berlin-Schöneberg um. Darauf zu sehen sind ein paar halbstarke junge Männer, wie sie Silvesteraketen auf Häuser, auf Autos, auf Menschen schießen. Die Gruppe scheint keinerlei Hemmungen zu haben, keinerlei Grenzen zu kennen. Der rbb berichtet später, zwei rivalisierende Gruppen hätten sich mit Böllern beschossen. Eine Hundertschaft der Polizei, die ebenfalls beschossen wird, kann die Lage erst nach zwei Stunden beruhigen – festgenommen wird niemand.

Es ist bei weitem nicht der einzige Fall dieser Art. In Rheinland-Pfalz wirft ein Unbekannter einen Böller auf einen elfjährigen Jungen – er wird schwer verletzt. Im Südharz wird eine Frau verletzt, weil Unbekannte einen Böller auf ihren Balkon werfen. Im Sauerland werfen zwei Jungen einen Böller auf eine Seniorin – ihre Kleidung beginnt zu brennen. All das sind Fälle, die sich in diesem Jahr schon kurz vor dem Jahreswechsel ereignet haben – viele weitere folgten in der Silvesternacht folgen. Der vorsätzliche Missbrauch der Silvesterknallerei, häufig in Kombination mit viel Alkohol, gehört dazu, Jahr für Jahr.

Die Sache mit der Tradition

Rechnet man all das zusammen, dann braucht es gar keine Scheinargumente wie Corona oder die Ukraine oder Katzen, um zu dem Schluss zu kommen, dass das so nicht weitergehen kann. Mit Eigenverantwortung funktioniert es ganz offensichtlich nicht, der Schaden durch Silvesterfeuerwerke jedes Jahr ist enorm. Was also tun?

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Sicherlich würde ein flächendeckendes Böller(verkaufs)verbot die Probleme auf einen Schlag lösen – dass es kommt, ist aber unwahrscheinlich. Insbesondere die FDP in der Ampelregierung hält davon nichts. Finanzminister Christian Lindner hat kurz vor dem Jahreswechsel betont, dass es ein Verbot aus seiner Sicht nicht brauche. Vielmehr solle jeder verantwortungsbewusst mit dem Feuerwerk umgehen, dann spare man sich künftige Diskussionen über ein Verbot.

Zudem ist die Gruppe der Feuerwerkfans groß – selbst wenn die Zustimmung schwindet. Man darf nicht vergessen, dass dazu auch ganz normale Familien zählen, die keinerlei Ambitionen haben, andere Leute mit Raketen zu beschießen oder einen Pyrokleinkrieg in Berlin-Schöneberg vom Zaun zu brechen. Die meisten wollen einfach nur das bunte Treiben zum Jahreswechsel genießen. Die Tradition zu untersagen dürfte auf mindestens genauso viel Unverständnis stoßen wie ein Sendeverbot für „Dinner for One“.

Wie wär‘s mit einem Kompromiss?

Wie wäre es stattdessen mit einem Kompromiss? Es würde die Situation enorm entschärfen, würde man die Böllerei zumindest stärker regulieren. Wer in Deutschland ein potenziell gefährliches Auto fährt, der braucht ja auch einen Führerschein. Wer eine Waffe besitzt, der braucht einen Waffenschein. Wer einen Kampfhund besitzt, braucht einen Sachkundenachweis. Wer nur eine winzig kleine Kameradrohne in die Luft jagen will, muss sich inzwischen EU-weit registrieren lassen – wer eine größere fliegen will, braucht einen Kompetenznachweis. Und warum bitte braucht man für Silvesterraketen und Böllerbatterien, die potenziell Menschen verletzen oder ganze Häuser anzünden können ... ähm ... gar nichts?

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Man könnte so einen Kompetenznachweis auch fürs Feuerwerk einführen. Echte Pyroliebhaber dürften keine Schwierigkeiten damit haben – sie würden ihn locker bestehen. Jerome und Dennis allerdings ließen künftig die Finger von der Knallerei. Wer keinen Nachweis hat, dürfte künftig keine Böller mehr kaufen. Und wer Silvesterfeuerwerk missbräuchlich benutzt, dem würde die Lizenz entzogen.

Freiheitsfans auf Twitter dürften den Vorschlag lieben, denn verboten würde das Feuerwerk nicht. Auch Tierfans und die Umwelt könnten aufatmen – denn durch die zusätzliche Hürde würde das Feuerwerk zum Jahreswechsel drastisch reduziert. Am meisten freuen dürften sich jedoch all diejenigen, deren Hab und Gut, deren Balkone und Häuser ganz bleiben – würde Feuerwerk nur noch von Profis durchgeführt, sinkt auch die Gefahr von Unfällen und Bränden.

Es würde sich lohnen, über Lösungen zu sprechen mit denen sowohl die eine als auch die andere Hälfte der Bevölkerung zufrieden ist. Mehr jedenfalls als ein alberner Kulturkampf ums Böllern, den sowieso niemand gewinnen wird.

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