Suche nach radioaktiver Kapsel in Australien: Rio Tintos lange Liste an Skandalen
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In Australien suchen die Behörden nach einer radioaktiven Kapsel, die der Bergbaukonzern Rio Tinto anscheinend bei einem Transport verloren hat. Es ist nicht der einzige Skandal des Konzerns.
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Canberra. In Australien sorgt gerade eine Nachricht für Aufsehen: Rio Tinto, einer der weltgrößten Eisenerzhersteller, hat im weitläufigen Bundesstaat Westaustralien während eines Transports eine radioaktive Kapsel verloren. Nun haben die Behörden ein Mammutprojekt in Angriff genommen und suchen eine 1400 Kilometer lange Straße nach dem winzigen Objekt ab, das einen Durchmesser von nur sechs Millimetern und eine Länge von acht Millimetern hat. Die Kapsel ist trotz ihrer winzigen Größe ausgesprochen gefährlich: Sie enthält Cäsium-137, das bei der Kernspaltung von Uran entsteht und eine Halbwertzeit von 30 Jahren hat.
Nachdem die Behörden einen Diebstahl ausschließen, steckt anscheinend große Schlamperei dahinter. Vermutlich ist die Kapsel aus ihrer Verpackung und durch ein kleines Loch im Lastwagen gefallen, nachdem sich ein Bolzen gelöst hat.
Für Rio Tinto ist dies jedoch bei Weitem nicht der erste Skandal: Der Bergbaukonzern hat sich in der Vergangenheit noch weitaus schwerwiegendere Fauxpas geleistet.
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Arbeiter suchen auf einer Straße in Australien nach der verschwundenen radioaktiven Kapsel.
© Quelle: PR IMAGE
„Entsetzliche Bandbreite von Verhaltensweisen“
Erst im Juni des vergangenen Jahres war der Konzern in den Schlagzeilen, als ein Bericht auf sexuelle Gewalt und Belästigung in australischen Minencamps aufmerksam machte. Auch hier war der Tatort Westaustralien, wo die Arbeiter und Arbeiterinnen aufgrund der extremen Distanzen für ihre Schichten ein- und ausgeflogen werden, und Rio Tinto war eine der Firmen, in denen Arbeiterinnen einer „entsetzlichen Bandbreite von Verhaltensweisen“ ausgesetzt waren, wie es damals hieß. Ein Opfer berichtete beispielsweise, wie sie „bewusstlos geschlagen“ worden sei und als sie aufwachte, „ihre Jeans und Unterhose um ihre Knöchel herum“ vorgefunden habe.
Dieser spezielle Vorfall muss sich nicht bei Rio Tinto abgespielt haben, doch die Firma gestand selbst ein, von derartigen Vorfällen besonders betroffen zu sein. Eine Untersuchung innerhalb des Unternehmens ergab, dass innerhalb von fünf Jahren mehr als 20 Frauen tatsächliche oder versuchte Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe gemeldet hatten. Der Konzern kündigte etwa einem Dutzend Arbeitern wegen Übergriffen auf Kolleginnen.
Kein Interesse an Kulturerhalt
2020 war Rio Tinto sogar über mehrere Monate hinweg in den Nachrichten gewesen. Damals sprengte der Bergbaukonzern eine bedeutsame indigene Kulturstätte: Die Höhlen der Juukan-Schlucht in Westaustralien zeigten nicht nur eine kontinuierliche menschliche Besiedlung seit 46.000 Jahren auf, sie waren auch Fundort bedeutender Artefakte wie ein 28.000 Jahre altes Tierknochenwerkzeug und ein 4000 Jahre alter Gürtel aus geflochtenem Menschenhaar.
Doch die Höhlen standen dem Abbau von etwa acht Millionen Tonnen hochwertigem Eisenerz im Weg, das einen geschätzten Wert von 132 Millionen Australischen Dollar oder umgerechnet über 85 Millionen Euro hatte. Finanzielle und wirtschaftliche Gesichtspunkte wurden demnach über den Kulturerhalt gestellt. Einige Monate später mussten drei Spitzenkräfte deswegen schließlich ihre Posten räumen, darunter der damalige CEO Jean-Sebastien Jacque. Auch die Kosten für den Wiederaufbau der Höhlen musste die Bergbaufirma tragen.
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Ex-Chef von Rio Tinto, Jean-Sebastien Jacques.
© Quelle: Will Russell/AAP/dpa
Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen
Weitere Eingeständnisse machte der Bergbaukonzern 2021. Damals erklärte sich Rio Tinto nach jahrzehntelangem Druck schließlich bereit, Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit seiner Mine auf der Pazifikinsel Bougainville untersuchen zu lassen. Diese operierte zwischen 1972 und 1989 und brachte die Einheimischen wegen der Umweltschäden und der Verteilung der Gelder so sehr gegeneinander auf, dass letztendlich ein Bürgerkrieg ausbrach. Es wird geschätzt, dass rund 20.000 Menschen damals ihr Leben verloren.
2016 war der Konzern wegen des „Verdachts auf Korruption“ in Äquatorialguinea ins Visier der Behörden geraten. Dort sollte eine Eisenerzlagerstätte erschlossen werden. Rio Tinto hatte sich letztendlich selbst angezeigt, nachdem eine interne Untersuchung zu dem Schluss kam, dass Millionen Dollar für sogenannte „Beratungsleistungen“ geflossen waren. Auch dieser Skandal kostete zwei Topmanagern ihren Job.
Die im Outback verlorene radioaktive Kapsel reiht sich damit in eine lange Liste an Skandalen ein, die sich der britisch-australische Konzern in den vergangenen Jahren geleistet hat. Ob dieser „winzige“ Fauxpas auch einen Topmanager seinen Job kosten wird, ist bisher noch unklar. Vonseiten Rio Tintos hat man sich zumindest bereits offiziell für das Versäumnis entschuldigt.