Adidas und der wunde Punkt
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Ein Mann springt ins Wasser. Was trägt er? Ein Badeanzug, der von männlich wirkenden Models getragen wird, sorgt derzeit für Diskussionen.
© Quelle: picture alliance / blickwinkel/McPHOTO/M. Gann
Adidas hat einen neuen Badeanzug auf den Markt gebracht. Vorn hat er bunte Formen, an der Seite die berühmten drei Streifen, und hinten ein schwarz-weißes Muster, auf dem steht: „Loves Unites“. Liebe verbindet. Das ist der Stoff, der zum Skandal reicht, der Rechte in den USA auf die Palme bringen. Doch nicht etwa, weil der Badeanzug zu viel zeigt, zu freizügig ist oder primäre Geschlechtsmerkmale nicht bedeckt. Sondern eher das Gegenteil: Der Badeanzug wird kritisiert, weil er bei bestimmten Menschen zu viel verdeckt. Es geht um die Personen, die in dem Stoff stecken.
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Zwei Models tragen die Bademode, eins mit Brusthaar und eins ohne, beide mit einer Beule in der Hose. Es ist nicht bekannt, wie die Models ihr Geschlecht definieren. „Ich bin alt genug, um mich zu erinnern, als Frauen Damenbadeanzüge präsentierten und nicht Männer“, schreibt die republikanische Abgeordnete Nancy Mace bei Twitter.
Auch Twitter-Nutzer in Deutschland reden am Tag nach Himmelfahrt, der für viele als Vatertag gilt, über Männer und Männlichkeit. Einige sorgen sich, dass Frauen nur noch oben ohne baden gehen und Männer nur noch im Einteiler. Andere rufen zum Boykott gegen Adidas auf. Einer schreibt: „Männer tragen Unisex-Badeanzug anstatt Therapie zu machen.“ Andere weisen darauf hin, dass es Anfang des letzten Jahrhunderts durchaus für Männer üblich war, Badeanzüge zu tragen – und dagegen Badehosen Skandale auslösten. Wieder andere feiern das klare Statement von Adidas für die Rechte von LGBTQ-Personen. Der Kolumnist Maurice Conrad findet: „Wer die Fassung verliert und sich in seiner eigenen Männlichkeit angegriffen fühlt weil ein privatwirtschaftlicher Konzern einen Unisex Badeanzug verkauft, redet vor allem viel über seine eigenen Probleme.“
Adidas und der US-amerikanische Kulturkampf
Es ist nicht das erste Mal, dass Adidas eine Pride-Kollektion auf den Markt bringt. Doch es ist das erste Mal, dass sie eine solche Aufmerksamkeit erfährt: Seit 2020 gibt es jährlich zum Juni Artikel mit Regenbogenfarben oder Produkte, die von queeren Designerinnen und Designer entworfen wurde. Der fragliche Einteiler dieses Textes wurde vom Südafrikaner Rich Mnisi gestaltet. Das Stück soll Individualität, Vorstellungskraft und den Glauben feiern, dass Liebe alle verbindet.
Der politische Soziologe Jeremiah Castle erklärte 2018 die Frage um die Gleichberechtigung von Transmenschen zu einer der neuen Fronten im US-amerikanischen Kulturkampf. Er schreibt in einem Aufsatz, dass nach seiner Auswertung von Datensätzen die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner zu diesen Themen polarisierte Ansichten vertrete. Religion und die Identifikation mit der demokratischen oder republikanischen Partei seien bei der Polarisierung wichtige Faktoren. Dabei würden die beiden sich gegenüberstehenden Gruppen versuchen, jeweils die Deutungshoheit zu erhalten.
Traditionell tragen als Frauen erkennbare Models Badeanzüge. Und in vielen Grundzügen bedient die Pride-Kampagne von Adidas die traditionelle Codierung von Bademoden-Aufnahmen. Die Fotos konzentrieren sich auf typische Details tausender Bademoden-Aufnahmen wie den Ausschnitt oder den Hintern. Ebenso lässt das Model im Video beim Gehen die Hüften schwingen. Nur hat Adidas bei all der erwartbaren Codierung in diesen Fotos eben keine typisch weiblichen Models eingesetzt – und gerade dies trifft bei vielen Konservativen einen wunden Punkt. Als sogenanntes „hot button“-Problem wird eine Tatsache beschrieben, die bei Menschen starke Emotionen hervorrufen und davon geleitet miteinander über eben jene streiten.
Auch Frau trägt Badeanzug
Die US-Schwimmerin Riley Gaines, die sich gegen die Teilnahme von Trans-Menschen im Sport äußerte, twitterte zur Adidas-Pride-Mode: „Ich verstehe nicht, warum Unternehmen sich das freiwillig antun. Sie hätten zumindest sagen können, der Anzug sei ‚unisex‘, aber das haben sie nicht getan, weil es darum geht, Frauen unsichtbar zu machen. Haben Sie sich jemals gefragt, warum wir dies kaum in die andere Richtung sehen?“ In den USA ist das Exemplar in der Shop-Kategorie Frauen aufgelistet. Tatsächlich präsentiert dort aber auch ein weibliches Model den Badeanzug: ein Plus-Size-Model, deutlich sichtbar. Im deutschen Adidas-Shop wird der Anzug in der neutralen Kategorie „Sportswear“ angeboten. In den sozialen Medien ist die Debatte über den Badeanzug voll ausgebrochen, zwischen Unterstützerinnen und Unterstützern sowie Kritikerinnen und Kritikern.
Doch Adidas selbst, der Designer und die Models – sie alle schweigen und lassen die Bilder für sich sprechen.