E-Paper
Fragen an einen Vampir

Sex mit Biss: „Interview with the Vampire“ geht jetzt in Serie

Wie fühlt sich das ewige Leben an? Louis de Pointe Du Lac (Jacob Anderson) wurde von Lestat de Lioncourt gebissen. Szene aus der Serie „Anne Rice’s Interview with the Vampire“, die am 6. Januar bei Sky Ticket/Wow startet.

Wie fühlt sich das ewige Leben an? Louis de Pointe Du Lac (Jacob Anderson) wurde von Lestat de Lioncourt gebissen. Szene aus der Serie „Anne Rice’s Interview with the Vampire“, die am 6. Januar bei Sky Ticket/Wow startet.

Ein versierter Interviewer lässt sich nicht so einfach abspeisen. Er fragt, hinterfragt, hakt nach und – wenn es geht – widerlegt. Hat er das Gefühl, man bindet ihm einen Bären auf, dann bindet er den Petz eben wieder los. Aber er bleibt auch nicht immer unbeeindruckt. Würde nachweislich Jesus vor ihm sitzen, der Ex‑Engel Luzifer oder auch nur ein waschechter Vampir, dann würde er vielleicht nur fragen und zuhören.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der alte Journalist Daniel Molloy ist schlecht drauf, als er den unverändert jugendlichen Louis de Pointe du Lac 49 Jahre nach seiner ersten Begegnung in Dubai wiedersieht. Was der zweifache Pulitzerpreisträger damals in San Francisco aus dem Leben eines Blutsaugers erfuhr, bedarf einer Revision. Wichtige Tagebücher waren ihm vorenthalten worden, zudem stimmte nicht alles damals, die Wahrheit war ein Narrativ, der Berichterstatter fühlt sich als Narr.

Molloy hatte das erste Interview freilich auch nie veröffentlicht, den Treff mit dem Monstrum noch nicht einmal in seinen Memoiren erwähnt. Darüber ist nun der Vampir nicht amüsiert. Und dass Louis „for your journalistic pleasure“ erzählt, glaubt man ihm keine Sekunde.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

In Neil Jordans Film wurden 1974 Vampirmythen dekonstruiert

Die neue Serie „(Anne Rice’s) Interview with the Vampire“ misst sich zwangsläufig mit Neil Jordans Film von 1994. Damals war Louis noch weiß gewesen, ein Plantagenbesitzer im amerikanischen Süden des 18. Jahr­hunderts, gespielt von Brad Pitt. Der kultivierte Predator, der ihn zum Vampir machte, Lestat de Lioncourt, war kein Geringerer als Tom Cruise. Das Amüsante des Streifens lag in der Weise, wie die beiden Hollywood­topstars mit vielen Dracula-Mythen aufräumten.

Das sowieso Fiktive um Kreuz, Knoblauch und Holzpflock wurde durch eine neue Fiktion korrigiert. Den homoerotischen Dampf, der Rice’ Vampirromane antrieb, regelte Neil Jordan damals allerdings deutlich herunter. 28 Jahre später nun gibt Serienmacher Rolin Jones deutlich mehr Druck auf den Libido-Kessel: ein schwules Paar, einer davon ein Schwarzer im New Orleans des noch blutjungen 20. Jahrhunderts – da hört man Kirche und Ku-Klux-Klan gleichermaßen mit den Füßen scharren und mit unentflammten und brennenden Kreuzen winken.

Ein Vampir residiert im Sonnenemirat Dubai

Daniel Molloy – ab hier begegnen Sie Spoilern! – trifft seinen alten Gesprächspartner in einem luxuriösen Apartment wieder, in dem die Bibliothek unter der Decke aufgehängt ist und in dem ein rot blühendes Kirschbäumchen Augenweide spielt. Mit der Frage, wo Louis’ Sarg sei inmitten eines Landes, in dem die für Vampire tödliche Sonne das Attribut „gnadenlos“ besitzt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Sie stehen mittendrin“, entgegnet Louis und verweist auf Fensterglas, dass die Untote einäschernden Bestandteile des Sonnenlichts ausfiltert. Auch Vampire profitieren vom Fortschritt.

Vor der Begegnung mit Lestat - Louis ist ein Familienmensch

Beim letzten Mal, in San Francisco, hatte Molloy Louis darum angefleht, ihn auch zum Vampir zu machen. Man sieht Narben an Molloys Hals, aber die Transformation hat offenkundig nicht funktioniert. Eigentlich steht er dem „do-over“, dem Projekt „Wahrheit und Aussöhnung“ eher kritisch gegenüber. Und die Geschichte, wie Louis mit 35 Jahren in sein Verderben lief, läuft denn auch ähnlich, aber immerhin nicht genauso ab, wie man es aus Roman und Film kennt.

Indem Rice und Jones die Geschichte zeitlich verlegen und Louis (Jacob Anderson, der „Graue Wurm“ aus „Game of Thrones“) zum „Unternehmer“ im Rotlichtviertel des „Big Easy“ machen, bekommt das „Interview“ neue Schwerpunkte. Louis hat eine Klinge im Gehstock, nicht jeder darf ihn ungestraft „nigger“ nennen. Er liebt seine Schwester Grace über alles, die gerade in Hochzeitsvorbereitungen steckt, und er verehrt auch seine strenge Mutter und sein moralisierendes Brüderchen Paul. Ziel ist es, die Familie eines Tages aus dem Rotlichtbusiness zu bekommen und ein ehrenwertes Unternehmen zu führen.

Dann trifft er am Tisch seiner Freundin Lilly Lestat einen blonden Bonvivant mit attraktivem Silberblick, der amourösen Sonderkonstellationen wie einem „flotten Dreier“ nicht abgeneigt scheint und dabei auf seltsame Weise telepathisch kommuniziert. Mit Cunnilingus und Fellatio werden die Dinge angeheizt, dann folgt die Penetration durch Fangzähne. Sex mit Lestat ist Sex mit Biss und buchstäblich erhebend – auf dem Gipfel ihrer Vereinigung, bei der Lestat Louis zu einem Vampir macht, schweben sie nackt und wie aneinander­geschweißt über den Dielen.

Lestat macht seinem Liebsten ein Kind

Die Serie ist ein Fest für Designer: Kostüme, Ausstattung und Kulissen ergeben ein üppig wirkendes Horror­historienstück, in dem der quirlige Jazz in den Hallen und Straßen von Storyville nur so aus den Instrumenten spritzt und der damals berühmte Pianist Jelly Roll Morton mit dem Klavier zum Tanz bittet (und später zu einem vierhändigen „Wolverine Blues“ mit Lestat). „Interview“ ist vor allem eins – sehenswert bis zum letzten Restauranttisch-Lampenhut.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Irgendwann macht Lestat seinem Liebsten Louis dann noch ein Kind – er verwandelt Claudia, eine junge Schwarze, die Louis mit lebensgefährlichen Verletzungen aus einem brennenden Haus rettete, in eine Untote. Anders als die kindliche Kirsten Dunst in Jordans Film, geht der 14‑jährige Teenager Claudia mit Lippenstift und Charlestonkleidchen als Frau durch, was dem Trio infernale andere Möglichkeiten gibt. Natürlich will sie eine Romanze erleben – aber auch sie muss erkennen, dass in ihrem neuen Leben Begehren und Verzehren zu nah beieinanderliegen.

Während nun Claudia und Lestat bei aller Liebe zu schönen Dingen keinerlei Skrupel kennen, wenn es um das Stillen ihres Blutdursts geht, bewahrt sich der nicht minder mordlustige Louis seine Moral und seine Schuld­gefühle. Er saugt Füchse, Frettchen und Fische leer, statt mit Leichnamen menschlicher Opfer den haus­eigenen Krematoriumsofen zu füttern. Seine Familie verstößt ihn, weil sie spürt, dass etwas nicht mehr mit Louis stimmt. Und die gesellschaftlich anrüchige neue Familie bietet keine dauerhafte Erfüllung, zerstreitet sich zusehends, bis nach einigen Fluchtversuchen – bei Vampiren nicht so ohne Weiteres in die Tat umsetzbar – ein Mord auf dem Plan steht.

Das Stream-Team

Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Hat die Vampirin Sex, wiehern die Gäule

Die sehr ausdrucksstark erzählte Tragödie vom einsamen Ewigen wird konterkariert durch Witz – manchmal zu viel Witz. Die Ahnungen der Lebenden von ihrer Spezies amüsieren die drei, als sie sich Murnaus „Nosferatu“ im Kino ansehen, und Lestat äfft Vampirdarsteller Max Schrecks Grusel-Moves nach. Dass ist lustig. Dass beim Vampirsex die Kutschpferde scheuen und wiehern, erinnert dann schon ein wenig an Frau Blücher in Mel Brooks’ Klamauk „Frankenstein Junior“ (1974) und ist ein bisschen zu viel „comic relief“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Im Ennui der Ewigkeit wirken Lestat und Louis bald wie ein keifendes, Türen knallendes Pärchen. Und wenn sie bei der Morgendämmerung in die mitten im Zimmer stehenden Särge kraxeln – Claudias ist in Rosa ausgeschlagen – ist da zuweilen mehr „Tanz der Vampire“ (1967) als ernsthaftes Drama.

Was, wenn der Vampir wieder die Unwahrheit sagt?

Die sieben Folgen der ersten Staffel sind dennoch sehenswert, voller memorabler Momente und mit einer Schlusspointe, die man so nicht hat kommen sehen. Was einen etwas irritiert, ist das Narrativ. Was, wenn Louis Molloy neuerlich ausgetrickst hat und in 20, 40, 60 Jahren dem dann möglicherweise ebenfalls unsterblichen Journalisten (oder ist er es vielleicht schon) weitere Revisionen aufnötigt. Wenn uns bis dahin auch ein Vampir verwandelt hat, werden wir diesen Reboots vielleicht unser Ohr und Auge leihen.

„(Anne Rice’s) Interview with the Vampire“, Serie, erste Staffel, sieben Episoden, von Rolin Jones, mit Jacob Anderson, Sam Reid, Baily Bass, Eric Bogosian, Assad Zaman (ab 6. Januar bei Sky Ticket/Wow)

Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken