Richter gegen Pate – die eigentlich beendete Serie „Your Honor“ geht weiter
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Kaum noch wiederzuerkennen: Der frühere Richter Michael Desiato (Bryan Cranston) wird nach seiner Haftentlassung mit Fidel Castro verglichen. Szene aus der zweiten Staffel der Mafiaserie „Your Honor“, die am 3. Februar bei Paramount+ startet.
© Quelle: Andrew Cooper/SHOWTIME
„Ich will für niemanden je wieder eine Last sein“, sagt der frühere Richter Michael Desiato (Bryan Cranston) seiner Schwiegermutter Elizabeth (Margo Martindale). Aber das wird wohl nichts werden, denn die Assistenzstaatsanwältin Olivia Delmont (Carmen Ejogo) hat ihn aus dem Gefängnis geholt, damit er dem Obermobster von New Orleans ganz massiv zur Last fällt. Dem Mafioso soll der Garaus gemacht werden.
Der tragische Held Desiato wirkt völlig gebrochen
Desiato frei? Damit hätte man nach den Ereignissen der ersten Staffel von „Your Honor“ eher nicht gerechnet. Und wie Häftling 2326 da durch die Zellenflure wankt, wirkt er auch wie einer, der sich vollends aufgegeben hat, sozusagen dem Tod entgegenlebt. Keiner von den üblichen TV-Knastis, die auf 200 Sit-ups 250 Liegestütze folgen lassen, um fit zu bleiben. Man muss Desiato sogar mit einem Schlauch durch die Nase ernähren. Er will nicht mehr.
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Der ehrenwerte Richter schützte seinen Sohn vor der Mafia
Eigentlich hielt man Desiatos Geschichte auch für abgeschlossen. Wir erinnern uns (und wer die erste Staffel noch nicht gesehen hat, der sollte diesen und die folgenden Absätze tunlichst überspringen!), wie sich der nette Mann, der aufrichtigste und philantrophischste Richter des ganzen Big Easy, immer tiefer in ein Netz von Lügen verstrickte, bis eine Gefängnisstrafe bis zum Sankt-Nimmerleinstag oder der Tod als einzig mögliche Wege für ihn erschienen.
Nach einer Fahrerflucht seines Sohnes Adam hatte er diesen gesetzestreu und zum Zwecke eines Geständnisses zum Polizeirevier begleitet, um dort anhand zweier in Wut und Trauer aufgelöster Elternteile zu erkennen, dass es sich bei dem toten Unfallopfer um den jüngsten Spross des New-Orleans-Mafiosos Jimmy Baxter (Michael Stuhlbarg) und seiner Frau Gina (Hope Davis) handelte. Leute, denen Mord leichter fällt, als einen Joghurtbecher leer zu löffeln. Die Entscheidung einer Sekunde setzte eine Tragödie von altgriechischer Unerbittlichkeit in Gang.
Hinter den Episoden der ersten Staffel stand klar ein „The End“
Wir sahen, wie das unschuldige schwarze Gangmitglied Kofi für Adams Tat verurteilt und im Zuchthaus von Baxters älterem Sohn Carlo (Jimi Stanton) umgebracht wurde. Ein Bombenattentat auf Kofis Familie überlebte allein dessen jüngerer Bruder Eugene (Benjamin Flores Jr.), der dann in einem getürkten Prozess auf den freigesprochenen Mörder Kofis schoss, dabei aber Adam Desiato tödlich traf. Der – obzwar er sich in Baxter-Tochter Sofia (Lilli Kay) verliebt hatte – eigentlich sowieso keine Chance hatte, den Hass der Mafiosi zu überleben.
Für Michael Desiato war es der Kollaps von Karriere und Lebenssinn. Und hinter den zehn Episoden stand ganz klar ein „The End“. Während man sich nach und nach von seiner Zuschauerdepression erholte, fragte man sich nur, wie Showrunner Peter Moffat und seine vielköpfige Autorenschar eine Figur bloß mit so viel Unglück beladen konnten. Man wollte ihnen die Lektüre von Lesley Pole Hartleys „Der Gast aus dem Buch“ (1952) empfehlen. Wer als Schriftsteller eine Figur zu sehr quält, bei dem klopft sie schon mal an die Tür – so war das jedenfalls in der Gänsehautgeschichte des moralischen britischen Methodisten.
Auch diese Geschichte ist eine in Moll
Aber wenn eine Geschichte genug Zuschauende anzieht, dann muss die Show weitergehen. Der Plan nun, Desiato herauszuholen, um das Imperium von Jimmy und Gina Baxter zu Fall zu bringen, war offenbar direkt nach Desiatos Geständnis gefasst worden, denn verurteilt wurde der Richter nur wegen Steuerhinterziehung. Weil jenes Geständnis auch einen Nebensatz enthält (Spoileralarm!), der Desiatos besten Freund, den frisch gewählten Bürgermeister Charlie Figaro (Isiah Whitlock Jr.), hinter Gitter bringen könnte, lässt sich der Häftling widerstrebend auf den Deal ein.
Und wieder wird daraus eine Geschichte in der Tonlage Moll. Denn parallel ordnet die Gangchefin Big Mo (Andrene Ward-Hammond) die Ermordung des kleinen Eugene an, um den Zwist mit den Baxters nicht zum Mafiakrieg ausufern zu lassen – eine Tat, die ihr weichherzigerer Sohn Little Mo (Keith Machekanyanga) aber nicht ausführen kann. Was – natürlich – bittere Konsequenzen hat.
Und der Pate Baxter versucht über Desiato an Figaro heranzukommen. Baxters großer Stadtentwicklungsplan, noch unter Figaros Vorgänger mit dem Blut des einzigen Mitbewerbers abgesegnet, steht auf der Kippe, weil Figaro sich querstellt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das Wahlversprechen gegeben hab, die Reichen noch reicher zu machen.“
Tragisch: Die Tochter des Paten wendet sich dem Richter zu
Noch ein Pulverfass mit besonders kurzer Lunte gibt es. Sofia, alias Fia, Jimmy Baxters Augenstern, hat sich nach Adams Ermordung von der Familie losgesagt. Und wendet sich dem freigelassenen Desiato (auch und vor allem aus einem Grund, der auch in der Spoilerzone dieses Texts nicht verraten werden soll) so stark zu, dass ihres Daddys sowieso ausgeprägter Familiensinn auf ungute Weise gestärkt wird. Eifersucht ist in Mafiakreisen ein Gefühl mit Todesfolge. Wobei Baxter – erst mal – bezüglich des Ex-Richters nicht so grob kann, wie er gerne möchte.
Die Geschichte ist nicht frei von logischen Kinken, die von den Machern zwecks dramatischer Zuspitzung in Kauf genommen werden. Sie ist auch nicht ganz von der schwarzen Stringenz und Güte der ersten Staffel. Aber sie hält das Versprechen, das Publikum mit ihrem Sog zu erfassen und richtig schön runterzuziehen.
Der Cast hat Klasse – Michael Stuhlbarg erreicht Robert-De-Niro-Format
Das ist vor allem das Verdienst einer exquisiten Ensembleleistung. Cranston ist ein überzeugender lebender Toter, der – auch als er in ein schweres Gefecht geschickt wird – sein Ende sucht. Stuhlbarg, der als Gangster schon im HBO-Klassiker „Boardwalk Empire“ (2010-2014) ein Pfund war, hat als Jimmy Baxter Robert-De-Niro-Format. Und Hope Davis ist eine derart kalte Mafiamama, dass sie mühelos mit Laura Linneys Wendy Byrde aus „Ozark“ (2017-2022) mithalten kann.
Bis in die Nebenrollen wurde hier trefflich besetzt. Lilli Kay ist als Fia bis zur vierten Folge (nur so viele wurden zur Sichtung überlassen) die perfekte blütenweiße Unschuld mit Trauerflor, die von Desiato nur wissen möchte, ob Adam sie wirklich geliebt hat. Aber wir vermuten in Kenntnis von Moffats ruchlosem bisherigen Schaffen, dass ihr diesmal der explosivste Part zugewiesen wurde. Man darf gespannt sein auf die ausstehenden Episoden.
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„Convict poker“ mit Häftlingen und einem Stier gibt es wirklich
Man könnte glauben, dass die Serienmacher gelegentlich übertreiben – eines schockierenden Effektes wegen. Vor allem als sie Häftlinge, darunter Desiato, zur Volksbelustigung im blitzsauberen, schwarzweiß-gestreiften Sonntagsanzug in einer sandigen Arena an einem roten Pokertisch platzieren und dann einen 1000-Kilo-Stier auf sie loslassen.
Der Sieger, der als Letzter am Tisch sitzenbleibt, bekommt ein paar Dollar Prämie für die Familie. Als Zuschauer ist man geneigt, Fünfe gerade sein zu lassen, schließlich behauptet „Your Honor“ ja nicht, auf wahren Ereignissen zu basieren. Nur um bei einer kleinen Recherche festzustellen, dass das lebensgefährliche „convict poker“ bei „prison rodeos“ in Louisiana zu den Highlights zählt.
Die USA, so will es wieder einmal scheinen, sind – großer Seufzer – wirklich kein Land, in dem man gerne leben würde.
„Your Honor“, Serie, zweite Staffel, zehn Episoden, von Peter Moffat, mit Bryan Cranston, Michael Stuhlbarg, Lilli Kay, Hope Davis, Isiah Whitlock Jr., Andrene Ward-Hammond, Carmen Ejogo, Benjamin Flores Jr., (ab 3. Februar bei Paramount+)