Tagungsort nicht barrierefrei: Ortsratsitzung platzt
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Ortsbürgermeister Frank Seger (Mitte) erläutert, warum die Ortsratssitzung abgesagt wird .
© Quelle: Achim Gückel
Aligse. So kurzfristig ist im Lehrter Stadtgebiet vermutlich noch niemals eine politische Sitzung abgeblasen worden. Als sich am Dienstag gegen 19 Uhr bereits rund 40 Gäste vor dem Eventraum der Gaststätte Konstantinos in Aligse versammelt hatten, traten Ortsbürgermeister Frank Seger (SPD) und sein Stellvertreter Martin Schiweck (CDU) vor die draußen Wartenden und erklärten, die geplante Ortsratssitzung werde nicht stattfinden. Der Grund: Der Veranstaltungsraum ist nur über steile Metalltreppen erreichbar und daher nicht behindertengerecht.
Beschwere eines Rollstuhlfahrers
Über diesen Umstand hatte sich ein Aligser, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, zuvor beschwert. Ihm werde der problemfreie Zugang zu einer öffentlichen Sitzung verwehrt, hatte er argumentiert. Das sah der Ortsrat schließlich ebenso. Die Besucher, die unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten, zeigten für die kurzfristige Entscheidung des Gremiums Verständnis und applaudierten.
In der Sitzung des Ortsrats Aligse-Kolshorn-Röddensen sollte es erneut um die umstrittene Ansiedlung des Aldi-Logistikzentrums südwestlich von Aligse gehen. Eine Expertin von der Stadt wollte erläutern, welche Unterschiede zwischen einem allgemeinen und einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan bestehen. Die Gruppe aus CDU und Piraten im Lehrter Rat hatte erst vor einer Woche angeregt, zu überprüfen, ob der Plan vorhabenbezogen gestaltet werden könnte und man damit mehr direkten Einfluss auf das Vorhaben des Unternehmens Aldi habe. Das hatte der Bauausschuss einmütig befürwortet, womit das gesamte Verfahren vorerst wieder auf Eis liegt.
„Menschenwürde und gelebte Inklusion“
Doch zu den geplanten Erläuterungen im Ortsrat kam es nicht. Ein Tagungsort solle selbstverständlich so gestaltet sein, „dass ihn Rollstuhlfahrer würdevoll erreichen können“, sagte Seger am Dienstagabend. Daher zeige man Solidarität mit dem betroffenen Aligser, der selbst vor dem Eventraum wartete. Diesen samt Rollstuhl über die Treppe in den Tagungsraum zu hieven, komme nicht infrage. „Es geht hier um Menschenwüde“, sagte Seger. Schiweck betonte unterdessen, man verliere durch die Absage der Sitzung nichts., weil das Aldi-Verfahren derzeit sowieso vorerst gestoppt sei. Einen neuen Termin für ein Treffen des Ortsrats gibt es noch nicht.
Der Rollstuhlfahrer aus Aligse hatte bereits am Freitag im Zusammenhang mit einem Wahlkampfauftritt des CDU-Bürgermeisterkandidaten Frank Prüße im Konstantinos-Eventraum Kritik geübt. Er werde von der Veranstaltung ausgeschlossen, weil er nicht in den Raum gelangen könne, argumentierte er. Prüße betonte zwar, er habe angeboten, die Veranstaltung, zu der rund 80 Gäste kamen, nach draußen zu verlegen. Dazu kam es aber nicht. Mittlerweile habe er aber ein persönliches Gespräch mit dem auf den Rollstuhl angewiesenen Aligser gehabt.
Streit zwischen Ortsbürgermeister und Stadtverwaltung
Unterdessen hat sich ein Streit zwischen Ortsbürgermeister Seger und der Stadtverwaltung entwickelt. Seger sagte am Dienstagabend, die Verwaltung suche die Tagungsorte für die Ortsratssitzungen aus. Dem widerspricht Stadtsprecher Fabian Nolting entschieden: „Das ist nicht korrekt, die Stadtverwaltung entscheidet das nicht.“ Für Tagungsort und -zeit einer Ortsratssitzung sei allein der Ortsbürgermeister verantwortlich. Die Verwaltung greife bei Suche und Buchung des Raums allenfalls unterstützend unter die Arme. Der nicht behindertengerechte Konstantinos-Eventraum sei „von Seger abgesegnet“ gewesen, sagt Nolting. In dem Raum haben bereits mehrere Ortsratssitzungen stattgefunden.
Laut Nolting gibt es in der Niedersächsischen Kommunalverfassung und deren Kommentierungen auch klare Aussagen darüber, dass ein Veranstaltungsraum immer dann geeignet ist, wenn es sich gefahrfrei und ohne größeren Aufwand realisieren lässt, dass dort ein Rollstuhlfahrer hineingebracht werden kann. Rechtlich sei der Eventraum als Tagungssätte einwandfrei. Seger unterdessen sagte bereits am Dienstagabend, er gebe nicht viel auf zum Teil veraltete Kommentierungen im Kommunalverfassungsgesetz. Es geht ihm um „gelebte Inklusion“.
Wo der Ortsrat künftig tagen wird, ist offen. Als Versammlungsraum kommen etwa der Pavillion im Seniorenzentrum Sonnenhof oder die Grundschule infrage. Aber auch der Eigentümer des Konstantinos-Eventraums habe angedeutet, dass er in Sachen Behindertengerechtigkeit der Location etwas tun wolle, sagte Seger.
Von Achim Gückel