Aldi-Streit: Infoabende entzweien Aligse
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Mitstreiter der Bürgerinitiative weisen an der Peiner Heerstraße auf ihren Infoabend in der Scheune hin
© Quelle: Achim Gückel
Alise. Der Streit um die Ansiedlung eines Aldi-Logistikzentrums bei Aligse hat am Dienstagabend einen neuen denkwürdigen Höhepunkt erreicht. Während in der örtlichen Sporthalle die von der Stadt einberufene und von Pressesprecher Fabian Nolting moderierte Einwohnerversammlung mit einem dicht besetzten Podium mit Experten stattfand, ging ganz in der Nähe in einer leeren Scheune eine Veranstaltung der Bürgerinitiative gegen das Aldi-Projekt über die Bühne. In der Sporthalle saßen etwa 60 Gäste auf der Tribüne, bei den Aldi-Gegnern nahmen etwa 150 Bürger auf den Bierzeltbänken Platz oder standen dahinter – darunter auch Aligses Ortsbürgermeister und Aldi-Gegner Frank Seger. Beide Versammlungen begannen um 19 Uhr und endeten kurz nach 20 Uhr.
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Mitstreiter der Bürgerinitiative weisen an der Peiner Heerstraße auf ihren Infoabend in der Scheune hin
© Quelle: Achim Gückel
Die Bürgerinitiative (BI) hatte nach Aussage ihres Sprechers Otto Lüders am Montagabend spontan den Entschluss gefasst, die eigene Infoveranstaltung parallel zur offiziellen Einwohnerversammlung auf die Beine zu stellen. Eine öffentliche Ankündigung dafür gab es nicht. Wer aber am Dienstagabend auf dem Weg zur Sporthalle war, um den lang angekündigten Infoabend der Stadt zu besuchen, traf schon früh auf Mitglieder der BI, die mit Plakaten und Hinweisschildern auf die eigene Veranstaltung hinwiesen und viele der Aligser quasi umleiteten.
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Wulf Hahn stellt das von der Bürgerinitiative in Auftrag gegebene Gutachten von RegioConsult vor.
© Quelle: Achim Gückel
In der Scheune hörten sie dann einen etwa halbstündigen Vortrag des Verkehrsexperten Wulf Hahn vom Unternehmen RegioConsult, das unlängst ein Gutachten zu den Verkehrsauswirkungen des Aldi-Logistikzentrums vorgelegt hatte. Darin werden dem bisher vorliegende Gutachten, das auch in den Bebauungsplan für das Großprojekt einfließen soll, massive Fehler vorgeworfen. Hahn legte dar, dass die Anzahl der Auto- und Lastwagenfahrten, die das Aldi-Zentrum erzeugen wird, nach seiner Rechnung bis zu 3,5-mal höher anzusetzen ist als bisher angenommen. Er sprach davon, dass das bisher genutzte Gutachten „nicht dem Stand der Technik“ entspreche, die Berechnungen darin „hinten und vorne nicht passen“, und das Papier auch rechtlich entscheidende Mängel aufweise. Auch Verkehrszunahmen durch den Megahub und den Autohof seien nicht berücksichtigt worden. Auf der Grundlage des bisher diskutierten Papiers zur Verkehrsentwicklung sei jedenfalls „keine Abwägung möglich“, meinte Hahn.
BI-Sprecher Lüders sieht das Aldi-Bebauungsplanverfahren angesichts der Ergebnisse des von ihm persönlich bei RegioConsult in Auftrag gegebenen Gutachtens als gescheitert an. Auf die Frage einer Besucherin, ob die Aldi-Bauherrn nicht schon „mit dem Spaten in der Hand“ dastehen, sagte er, der Spaten sei „jetzt abgebrochen“, das nun vorliegende Gutachten zerstöre das laufende Bebauungsplanverfahren vollständig. Zuvor habe Aldi die Verkehrszahlen so lange runterrechnen lassen, bis die Sache passe. Das Gutachten der BI hingegen präsentiere die „wirklichen Zahlen“. Lüders ging in seiner konfrontativen Rhetorik noch weiter. Die Stadt wisse nun angesichts der neuen Zahlen nicht mehr, was sie tun solle, und die Lehrter Kommunalpolitiker seien über einen langen Zeitraum hinweg „alle hinters Licht geführt worden“.
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Bei der Einwohnerversammlung der Stadt informieren sich rund 60 Gäste über den Stand der Dinge in Sachen Aldi-Logistikzentrum.
© Quelle: Achim Gückel
Dass es überhaupt zu der Veranstaltung der BI in der Scheune kam, ist einem heftigen Konflikt im Vorfeld um die Einwohnerversammlung in der Sporthalle geschuldet. Die BI hatte Einfluss auf deren Ablauf nehmen wollen, das eigene Verkehrsgutachten darstellen und auch den Moderator des Abends wählen lassen wollen. Darauf war Lehrtes Bürgermeister Klaus Sidortschuk nicht eingegangen. Er hatte betont, dass er vom Ortsrat per mehrheitlichem Beschluss offiziell aufgefordert wurde, die Einwohnerversammlung zu planen und durchzuführen. Laut Kommunalverfassungsgesetz müsse er die Veranstaltung persönlich leiten.
Das geschah dann auch am Dienstagabend. In der Sporthalle stellte der mit den Aldi-Planungen befasste Fachmann erneut den Stand der Dinge für das Aldi-Zentrum vor, danach gab es noch einige Fragen aus dem Publikum. Kontroversen gab es bei der von vielen Lehrter Kommunalpolitikern besuchten Veranstaltung nicht, alles blieb ruhig. Nach etwas mehr als einer Stunde war die Sache in der Sporthalle beendet. Wer noch von der BI-Veranstaltung in der Scheune zur Veranstaltung der Stadt in der Halle stoßen und dort Fragen stellen wollte, kam zu spät.
Sidortschuk betonte allerdings ausdrücklich, dass das neue Verkehrsgutachten der BI offiziell als Einwendung in das förmliche Verfahren zum Aldi-Bebauungsplan einfließen werde. Zum Inhalt des 36-seitigen Papiers äußerte er sich nicht. Das Gutachten werde ebenso abgewogen wie alle anderen Einwendungen auch. Die Einwendungsfrist läuft noch bis Ende August. Bei der BI wurden nach der Veranstaltung in der Scheune Formblätter verteilt, auf denen die Bürger ihre Bedenken niederschreiben und dann an die Stadt schicken können.
Debatte über demokratische Spielregeln
In dem immer heftiger werdenden Aldi-Streit gibt es jetzt auch eine Debatte über demokratische Spielregeln, die nicht nur in sozialen Netzwerken tobt. Vertreter der Bürgerinitiative (BI) kreiden es der Stadtverwaltung und dem Bürgermeister an, im Vorfeld der Einwohnerversammlung jede Beteiligung von Aldi-Gegnern auf dem Podium unterbunden zu haben. Das sei undemokratisch. Andere Stimmen sagen, die BI habe mit ihrer kurzfristig anberaumten Parallelveranstaltung in der Scheune die Bürger von umfassender Information in der Einwohnerversammlung ferngehalten. Und sie bewerten eben diesen Umstand ihrerseits als undemokratisch und demagogisch. Bei der BI-Veranstaltung betonte deren Sprecher Otto Lüders, man habe es als „eigentlich selbstverständlich angesehen“, das eigene Gutachten bei der offiziellen Einwohnerversammlung zu präsentieren. Die Stadtverwaltung habe aber Gesprächsangebote ausgeschlagen und sei auch auf den Vorschlag, jede Seite bekomme während der Versammlung einen gleich langen Redebeitrag, nicht eingegangen. Daher habe man sich spontan dazu entschlossen, die eigene, zeitgleiche Parallelveranstaltung auf die Beine zu stellen. Bürgermeister Klaus Sidortschuk sagte indessen am Dienstagabend, man setzte bei dem Streit weiterhin auf Sachlichkeit, Ruhe und Informationen. Hätten sich beispielsweise zwei Verkehrsgutachter während der Einwohnerversammlung in einer kontroversen Fachdebatte verstrickt, hätte das niemandem genützt. Im Übrigen handele es sich beim Verkehrsaufkommen auch nur um einen von vielen Aspekten im Aldi-Bebauungsplan. Während es bei der BI-Veranstaltung in der Scheune viel Applaus und Lob für die Aktivitäten der Aldi-Gegner gab, wurden an der Sporthalle auch andere Stimmen laut. Man habe sich dadurch, dass die BI viele der Gäste sehr forsch in die Scheune geleitet habe und dabei auch recht rüde Worte gefallen seien, unwohl gefühlt, sagte eine Besucherin. Diese Aktion störe die sachliche Diskussion und spalte die Ortschaft Aligse noch mehr also sie es ohnehin sei.
Die Angst vor dem Industriegebiet
Die Bürgerinitiative (BI) gegen das Aldi-Logistikzentrum bemängelt insbesondere, dass es sich bei dem laufenden Verfahren um einen sogenannten Angebots-Bebauungsplan für ein Industriegebiet und nicht um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan handelt, der allein für Aldi Gültigkeit hätte. Das öffne etwa einem späteren Verkauf oder einer Vermietung des Aldi-Zentrums an andere Firmen Tür und Tor. Und durch eine neue Nutzung der Halle wären auch alle Angaben von Aldi zu Verkehrsmengen sowie Lärm hinfällig. Dieser Umstand werde etwa in dem neuen Verkehrsgutachten von RegioConsult berücksichtigt, in dem auch die Mitarbeiterzahlen und Verkehrsmengen eines Zalando-Verteilzentrums bei Leipzig als Vergleichsgröße herangezogen werden. Sprecher von Aldi versicherten am Rand der Einwohnerversammlung am Dienstagabend, dass man das Logistikzentrum bei Aligse über Jahrzehnte hinweg betreiben wolle, Verkauf oder Vermietung keine Option seien. Darüber hinaus erfordere jede neue Nutzung für die Logistikhalle auch einen neuen Bauantrag und eine Betrachtung etwa der zu erwartenden Verkehrsmengen. Und ein Bauantrag könne auch abgelehnt werden. Den Zalando-Vergleich ließen die Aldi-Vertreter nicht gelten. Diese Unternehmen nutzen üblicherweise deutlich größere Logistikzentren als jenes, das Aldi bei Aligse bauen will. ac
Von Achim Gückel