Was Ingo Nommsen in Hannover in Rausch versetzte
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Hat Hannover in guter Erinnerung behalten: Ingo Nommsen beim Fotoshooting an der Oper.
© Quelle: Ilona Hottmann
Hannover. Mit Bedacht tritt die Frau an der Außenterrasse des Rotonda an der Luisenstraße an einen Tisch heran. Dort sitzt Ingo Nommsen (50) mit der NP, trinkt einen Kaffee, ist vertieft in das Gespräch. "Entschuldigung", sagt die Dame, "darf ich kurz stören?" Nommsen nickt, steht auf: "Natürlich." Sie atmet erleichtert auf. "Ich vermisse Sie und Ihre Art bei ,Volle Kanne'. Das wollte ich Ihnen nur sagen."
Der 50-Jährige lächelt und bedankt sich bei der Passantin. Viele Menschen in der ganzen Republik verbinden ihn immer noch mit der Vormittagssendung im ZDF. Kein Wunder: Nommsen war 20 Jahre lang Moderator bei „Volle Kanne“, ehe er im Dezember 2020 nach 3000 Sendungen den Job kündigte. „Es war ein guter Moment, aufzuhören“, sagt er der NP und gesteht gleichzeitig: „Anfangs konnte ich die Sendung nicht mehr gucken. Sie war ja 20 Jahre lang mein Wohnzimmer.“ Eines, das er sehr lieb gewonnen hatte.
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Lange Jahre ein Team: Mit Nadine Krüger moderierte Ingo Nommsen die ZDF-Sendung „Volle Kanne“. Am 4. Dezember 2020 war er zum letzten Mal zu sehen.
© Quelle: dpa
Doch andere Dinge, für die sein Herz ebenfalls schlägt, hatten sich nach und nach immer mehr in den Vordergrund gedrängt, einen Platz in seinem Leben gesucht: Bücher schreiben, Musik machen, länger in New York sein, mit eigenem Live-Programm auf die Bühne gehen. Doch aufgrund der täglichen Fernsehsendung hatte es diesen Platz bis dahin nicht gegeben. Schließlich war es die Arbeit an seinem aktuellen Buch „Hilfe, ich bin zu nett!“ (Ariston, 208 Seiten, 18 Euro), die den Moderator zu dem entscheidenden Schritt gebracht hat.
„Das Buch war eine spannende Reise, plötzlich passten Bausteine ineinander“, erinnert er sich an den Prozess. Nommsen beschloss, der sicheren Bank „Volle Kanne“ den Rücken zu kehren. „Ich bin heute mehr mit mir im Reinen, als ich es jemals zuvor gewesen bin“, resümiert er.
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Ingo Nommsen: „Hilfe ich bin zu nett“, Ariston, 256 Seiten, 18 Euro.
© Quelle: Verlag
Womöglich kann er sich da bei Fernsehkollege Frank Elstner (79) bedanken. Der hatte nämlich mal zu ihm gesagt: „Sie sind viel zu nett!“ Nommsen fing irgendwann an, darüber nachzudenken. „Ich war immer zu allen freundlich, habe nie etwas getan, was das Harmoniegefüge hätte stören können“, beschreibt er offen sein Seelenleben von einst. „Meine Interessen habe ich immer hinten angestellt.“ Er kramte tief in seinem Inneren, um zu verstehen, wo dieses Verhalten herrührte.
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War auch bei „Volle Kanne“ sein Gast: Im Jahr 2018 begrüßt Ingo Nommsen die Ex-Landesbischöfin und frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann.
© Quelle: Facebook/Ingo Nommsen
„Ich hatte ein sehr harmonisches Elternhaus, da gab’s nie Stress. Eine echte Bullerbü-Kindheit.“ Eine, die er übrigens in Teilen auch in Hannover verbracht hat – dazu später mehr. Nommsen war von klein auf stets darauf bedacht, „all das, was sich nach Konflikt anfühlt, von mir wegzuhalten“. In der Lebenswirklichkeit war das alles andere als gut, auch Beziehungen schadete es. „Ich konnte lange Zeit nicht Schluss machen. Das macht man schließlich nicht, wenn man nett ist.“ Also hat er halt in solchen Situationen einfach so lange gewartet, bis seine Freundin sich von ihm trennte.
Die Angst vor Konflikten ist Thema im neuen Buch
Mit professioneller Hilfe platzte der Knoten irgendwann. Nommsen verstand, dass Dinge, bei denen er Angst hatte, sie anzusprechen, am Ende gar kein Problem darstellten. „Heute weiß ich, dass eine klare Haltung sehr geschätzt wird und den Umgang miteinander vereinfacht. Und erst das lässt richtige Harmonie entstehen. Ich habe lernen müssen, dass man Meinungsverschiedenheiten auch im Guten austragen kann.“ All das thematisiert er in seinem Buch.
Ingo Nommsen
*7. Februar 1971 in Nürnberg. Im Personalausweis steht Ingo Nikolaus Reinhard Werner Nommsen. Die Familie zieht oft um, da Nommsens Vater Berufssoldat ist. Ab 1983 leben sie für zwei Jahre in Hannover. Das Abitur absolviert er in Murnau (Landkreis Garmisch-Partenkirchen). Im Anschluss macht er Praktika, absolviert ein Volontariat bei Radio Oberland. Er wird Redakteur bei „Bayern 3“ und ist außerdem in Fernsehen zu sehen, spielt in Serien wie „Marienhof“ und „Samt und Seide“ mit. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität studiert er Kommunikationswissenschaft, Politik, Soziologie und Psychologie. Im Jahr 2000 ist Nommsen erstmals bei „Volle Kanne“ im ZDF zu sehen, sein erster Gast ist „Quatsch Comedy Club“-Gründer Thomas Hermanns (58). Gut 3000 Sendungen folgen, ehe er den Job kündigt. Nommsen ist verheiratet, lebt mit Frau und Kind in Düsseldorf und Berlin. Mehr Infos unter www.ingo-nommsen.de
Auch der Tod seines Vaters im September 2017 „schüttelte mein Leben komplett durch“. Nommsen entdeckte seine Träume von früher neu, er begann, ihnen mehr Platz einzuräumen. In New York sollte er sein Schlüsselerlebnis haben: Für vier Wochen ging er in den Big Apple, in die „Hauptstadt des Entertainments“, wie er die Metropole nennt. Er besuchte Workshops, lernte Drehbuchschreiben, tauchte in das Comedy-Writing ein.
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In New York: Auf den Comedybühnen der amerikanischen Metropole feierte Ingo Nommsen erste Erfolge.
© Quelle: Facebook/Ingo Nommsen
Das am American Comedy Institute Erlernte sollte er zum Schluss vorspielen. Und obwohl die Aufregung größer war als das abgelieferte Kurz-Programm, wurde der 50-Jährige von einem Comedy Club in den nächsten weitergereicht: "Ingo from Germany", so stellte er sich stets vor, landete schließlich sogar am Broadway. Mit der neu entdeckten Gabe "Stand-up-Comedian" kehrte er nach Deutschland zurück. Und wollte mehr davon.
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Kehrte ein bisschen nach Hause zurück: Ingo Nommsen mit NP-Redakteurin Mirjana Cvjetkovic im Experimentierraum an der Oper.
© Quelle: Ilona Hottmann
„Eigentlich müsste ich mich bei meiner Deutschlehrerin bedanken“, erzählt das Multitalent. „Sie hat bei mir mit der Aufforderung, doch in ihre Theatergruppe zu kommen, die Lust auf Bühne entfacht.“ Ab der siebten Klasse war Nommsen Schüler der Herschelschule. Sein Vater war Bundeswehroffizier, die Familie zog oft um, landete 1983 in Hannover. „Im Schultheater habe ich gemerkt, was das für Gefühle in mir auslösen kann.“ An sein erstes Stück erinnert er sich genau, es war „Sherlock Holmes“.
Die Zeit in der Landeshauptstadt, es waren etwa zwei Jahre, ist ihm gut im Gedächtnis geblieben. Als Teenager hat er hier viel erlebt: Im Langenhagener Tennisverein große Erfolge gefeiert, Handball gespielt, bei Musiker Herman Frank (62), einem Urgestein der deutschen Metal-Szene, Gitarrenunterricht genommen – eine Leidenschaft, die Nommsen bis heute begleitet. „In Hannover habe auch meine zwei ersten großen Räusche gehabt“, sagt er und grinst.
Wie kam es dazu? Nommsen hatte im einstigen „Hannenfass“ in der Altstadt Fußball geguckt und Meterbier getrunken, „das war gar nicht gut“. An einem anderen Abend war er in der ehemaligen Disco Rainbow unterwegs, kam sichtlich angeheitert nach Hause. Die Familie wohnte im Hagebuttenweg im Sahlkamp nahe der Stadtbahnhaltestelle Alte Heide, nur einen Steinwurf von der Kaserne entfernt. „Ich hatte die glorreiche Idee, noch einen Horrorfilm gucken zu wollen – ,Rosemaries Baby’“. Er lacht bei dem Gedanken daran.
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In Hannover: Ingo Nommsen besuchte Klaus Meine (links) im Studio im Peppermint Park, um den Rockstar für sein Buch nach seinem Erfolgrezept zu befragen.
© Quelle: Facebook/Ingo Nommsen
Auf dem Weg ins Wohnzimmer räumte er im Flur einiges von der Kommode ab, was für ordentlich Lärm sorgte. „Du bist doch besoffen“, warf ihn seine Mutter vor, leugnen zwecklos. „Sie sagte nur noch ,Leg’ dich hin, ich bringe dir einen Eimer’“ und das Thema war erledigt. Alkohol verträgt Nommsen bis heute nicht. Was er sehr mag, ist die Hard-Rock-Band Scorpions. „Mein erstes Album war von ihnen, das habe ich hier gekauft“, serviert Nommsen weitere Hannover-Anekdoten. „World Wide Live“ heißt das Doppelalbum, das er sich damals auf Vinyl zugelegt hat – „nach wie vor ein Meilenstein“.
Nommsen schwärmt von den Scorpions
Wie die späteren Begegnungen mit Frontmann Klaus Meine (73) es gewesen sind. Mit seinem Bandkollegen Rudolf Schenker (73) war Meine im Jahr 2015 Gast bei „Volle Kanne“. Vier Jahre später war der Sänger Protagonist in Nommsens Buch „Erfolgsmenschen: Was ich von meinen prominenten Gästen gelernt habe“, er traf ihn dafür im Peppermint Pavillon auf dem Expo-Gelände. „Was die Band mit ihrer Musik für ihre Heimat Deutschland in der Welt erreicht hat, ist der Wahnsinn. Es wird Zeit, dass das hierzulande noch mehr gewürdigt wird“, wünscht sich Ingo Nommsen noch, ehe er zum Bahnhof sprintet, um seinen Zug zu erwischen. Hat er übrigens geschafft – wie so vieles im Leben.
Von Mirjana Cvjetkovic
NP