Verwaltungsgericht

Hannover: Leinehertz hört (wohl) bald auf zu schlagen

VERHANDLUNG: Die 7.Kammer am Verwaltungsgericht Hannover hat am Dienstag die Rechtmäßigkeit des Lizenzentzugs für Radio Leinehertz bestätigt.

VERHANDLUNG: Die 7.Kammer am Verwaltungsgericht Hannover hat am Dienstag die Rechtmäßigkeit des Lizenzentzugs für Radio Leinehertz bestätigt.

HANNOVER. Das Bürgerradio "Leinehertz" steht vor dem endgültigen Aus. Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts unter Vorsitz von Richter Michael Ufer hat am Dienstag den Lizenzentzug und die Einstellung der Förderung von jährlich bis zu 280 000 Euro durch die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) für rechtens erklärt und die Klagen von "Leinehertz" dagegen abgewiesen.

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Kammer lässt Beschwerde vor dem OVG Lüneburg zu

Die Kammer kam nach der mehrstündigen Beweisaufnahme zu der Erkenntnis, dass Leinehertz organisatorisch keine Maßnahmen gegen die seit Jahren vorherrschenden Mängel bei der Buchführung getroffen habe. Rechtlicher Maßstab für das Gericht war der 21.März 2019, an diesem Tag hatte die Versammlung der Landesmedienanstalt Entzug der Lizenz und Einstellung der Förderung beschlossen. Allerdings ließ die Kammer Beschwerde gegen die Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg zu, das Urteil ist somit noch nicht rechtskräftig.

NLM-Geschäftsführer Andreas Fischer kündigte bereits im Gerichtssaal an, bis zu einer endgültigen Entscheidung durch das OVG Radio Leinehertz weiter senden zu lassen. Doch wie lange dies aus wirtschaftlichen Gründen noch möglich sein wird, ist völlig ungewiss. Leinehertz steht bereits unter vorläufiger Insolvenzverwaltung. Eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nach Einschätzung des Insolvenzverwalters, die er in der Verhandlung abgab, unumgänglich bei endgültiger Einstellung der Förderung. Leinehertz, das seit 2008 sendet, hat noch eine Sendelizenz bis zum Jahr 2023. Laut Andreas Fischer gibt es eine Reihe Interessenten für die Nachfolge von Radio Leinehertz auf der Bürgerradio-Frequenz 106,5 MHz. Leinehertz hat laut der letzten Zählung durch die NLM einen Höreranteil von 1,9 Prozent.

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Leinehertz bleibt Belege über 35 000 Euro schuldig

Seit dem 1.April zahlt die Landesmedienanstalt bereits kein Geld mehr an Radio Leinehertz – weil die Geschäftsführung schon seit längerem die gesetzlichen Vorschriften für eine Förderung bei Buchhaltung, Belegführung und Haushaltsführung nicht einhält. Konkret ging es um Belege der Jahre 2016 bis 2018. Unterm Strich kann die Geschäftsführung aktuell Belege über 35 200 Euro nicht nachweisen, davon alleine für 2018 rund 10 000 Euro. Was in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zutage trat, lässt sich am besten mit chaotisch umschreiben. „Wir stecken freiwillig keinen Euro mehr in dieses Projekt. Das Geld versickert dort einfach. Geld, das vom Steuerzahler kommt“, so der NLM-Geschäftsführer. Er habe keinen Glauben mehr daran, dass Leinehertz noch geeignetes Personal finde.

„Belege wurden von uns falsch zugeordnet“

Sein Stellvertreter Christian Krebs, zugleich Leiter der Rechtsabteilung, führte aus, Belege seien pauschal verbucht worden ohne Angabe einer Kostenstelle. Manche Belege seien auch gar nicht Bestandteil der Förderung, da sie nicht zum Sendebetrieb erforderlich seien. „Und das schon sehr lange. Das macht die Prüfungsfähigkeit kaputt.“ Als Beispiel nannte Richter Ufer aufgeführte Posten wie „Prosecco Weihnachtsfeier“, „Karaoke Weihnachtsfeier“ oder „Rossmann Geburtstagskarten“. „Belege sind bei uns falsch zugeordnet worden“, räumte der aktuelle Geschäftsführer Udo Hetmeier ein. Der ist erst seit November 2017 Geschäftsführer, konnte das Buchhalterchaos bis heute aber auch nicht beseitigen.

Wegen dieses Durcheinanders hatte die Landesmedienanstalt einen Vergleichsvorschlag der Kammer zu Beginn der Verhandlung auch abgelehnt. Der sah unter anderem eine Zweimonatsfrist vor, in der Leinehertz bis Ende Juni die 35 200 Euro an die Landesmedienanstalt zurückzahlt, eine neue Buchhalterin und eine neue Geschäftsführung installiert. Die stellte sich im Saal zur Überraschung des Gerichts postwendend vor: eine 64 Jahre alte Steuerfachgehilfin aus Seelze.

Ex-Buchhalterin: „Alle Dokumente lagen durcheinander“

Von Juli 2018 bis März 2019 war eine 42 Jahre alte gelernte Hotelfachfrau zuständig für die Buchführung, die auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters erklärte, sich im Rahmen ihrer damaligen Ausbildung mal mit Buchführung beschäftigt zu haben. Sie aber hatte offenbar versucht, Ordnung ins Buchhalterchaos zu bringen, scheiterte aber – und kündigte bei Leinehertz im März des Jahres entnervt. „Alle Dokumente lagen durcheinander, der Geschäftsführer hatte den Überblick verloren. Struktur ist nicht seine Sache.“ Im zweiten Quartal 2018 habe es gar keine Buchhaltung gegeben, führte die Zeugin weiter aus. Und: Jeder Mitarbeiter, der sich im Bürotrakt aufhielt, habe Zugang zu den Personalakten gehabt, die Geschäftspost habe jeder Mitarbeiter aus dem Briefkasten holen können. „Dass die Geschäftspost beim Geschäftsführer landete, war zu Beginn meiner Arbeit bei Leinehertz nicht sichergestellt.“ Konkret fehlten für das Jahr 2017 alleine 176 Belege.

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Gericht: Gremien haben Nachlässigkeiten unterschätzt

Im August 2018 hatte sich die Buchhalterin sogar direkt an die Landesmedienanstalt gewandt – mit der Bitte um Unterstützung. „Ich hatte auf Verständnis gehofft. Denn mir wurde klar gemacht seitens der Geschäftsführung, dass die Zukunft von Leinehertz von meiner Arbeit abhängt“, so die Frau. Nach dem Gespräch bei der NLM sei sie zur Rede gestellt und zur Verschwiegenheit verpflichtet worden. Die Kammer hält in ihrem Urteil fest: Es ergebe sich der Eindruck, dass die maßgeblichen Gremien der Betreiberin die aus den aufgetretenen Unregelmäßigkeiten beziehungsweise Nachlässigkeiten im wirtschaftlichen und organisatorischen Bereich folgenden Gefahren für die medienrechtliche Zulassung zum Sendebetrieb zu lange unterschätzt hätten.“

Jagau: Sender konnte notwendige Zuverlässigkeit nicht geben

Am Nachmittag war Radio Leinehertz aus Thema im Finananzausschuss der Region – die Behörde hatte als Gesellschafterin beim Bürgerradio zur Sicherstellung der juristischen Vertretung 9300 Euro zur Verfügung gestellt. Regionspräsident Hauke Jagau: „Es geht bei Leinehertz nicht weiter. Das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung, die nichts mit der Qualität der Sendung, sondern mit der Qualität des Senders zu tun hat.“ Dem Sender sei es nicht gelungen, die notwendige Zuverlässigkeit zu geben. Die Region habe sich lange aus der Entwicklung herausgehalten – ein Fehler, wie der Regionspräsident einräumte. Über die Fraktionsgrenzen hinweg wurde das nahende Aus des Bürgerradios bedauert.

Von Andreas Voigt

NP

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